All
, Aller, alle, alles, ein Wort, welches in den meisten
Fällen den Begriff der Allgemeinheit ausdrucket, und in dreyerley Gestalt
üblich ist.I. * Als ein Umstandswort,welches dessen ursprüngliche
Gestalt ist, der Zahl, Menge und innern Stärke nach erschöpft. Der
Wein ist schon all, es ist kein Wein mehr da, er ist verbraucht. Sein
Vermögen all machen,erschöpfen, verzehren. Es wird bald alles all
seyn. Bis daß eure Leiber all werden in der Wüsten, 4. Mos. 14, 33.
Die Missethat der Ammoniter ist noch nicht alle, 1. Mos. 15, 16. Das
größte Vergnügen wird alle, wenn die Frau keine Wirthinn ist,
Gell. Eigentlich kann es hier nicht anders als all lauten; wird ihm zuweilen
das e angehängt, alle, so geschiehet es um des Wohllautes willen, die
harte Einsylbigkeit zu vermeiden. Doch dieses ganze Umstandswort ist in der
anständigen Sprech- und Schreibart der Hochdeutschen veraltet, und nur
noch im gemeinen Leben, und im gesellschaftlichen Umgange, besonders in
Niedersachsen, üblich. In der edlern Schreibart bedient man sich
dafür lieber einer Umschreibung.II. Als ein Adjectiv,welches durch die
Concretion aus dem vorigen gebildet worden, überhaupt den Begriff der
Allgemeinheit bezeichnet, aber so wohl in der Declination, als auch in seinem
Verhältnisse gegen andere Wörter viel von der Natur der Pronominum an
sich hat, und daher auch von einigen zu diesen, von andern aber richtiger zu
den allgemeinen Zahlwörtern gerechnet wird. Vermöge seiner Bedeutung
ist es keines Comparatives noch Superlatives fähig, und bestimmt die
Substantiva, die es bey sich hat, oder die darunter verstanden werden, so
genau, daß ordentlicher Weise kein Artikel mehr Statt hat. Es wird aber in
dieser Form auf eine gedoppelte Art gebraucht.1. Mit ausdrücklicher
Beyfügung des Substantivi und Pronominis, und da bezeichnet es die
Allgemeinheit.1) Der Zahl nach, oder distributive, in Rücksicht auf die
verschiedenen Individua einer gewissen Art, die als zusammen genommen
vorgestellet werden sollen, in welchem Falle es mit seinem Substantive und
Pronomine alle Mahl im Plural stehet. Alle Menschen müssen sterben. Der
Wechsel aller Sachen. Vor allen Dingen. Zu allen Zeiten. Wir alle, die wir hier
sind. Er wird noch leben, wenn sie alle todt sind. Das wußten wir alle.
Ich komme von ihnen allen. Plato, Seneca, und wie sie alle
heißen.Ordentlicher Weise stehet es alsdann vor dem Substantive oder
unmittelbar nach dem Pronomine, welches dessen Stelle vertritt. Wenn aber das
Substantiv einen Artikel bey sich hat, so tritt es hinter dasselbe, und oft
hinter das Verbum; oder vielmehr, wenn man das all um eines Nachdruckes willen
aus seiner Stelle reißen, und es hinter sein Substantivum setzen will, so
muß dieses den bestimmten Artikel bekommen. Die Leute alle sahen es. Die
Juwelen habe ich noch alle. Die Arten, wodurch man das Geld verthut, sind mir
alle zu beschwerlich. Die Narren sehen, wie die Menschen, alle einander
ähnlich. Im Genitiv findet diese Versetzung nicht Statt; nicht, die
Rechtschaffenheit dieser Menschen aller, sondern aller dieser Menschen.
Nothwendig hingegen ist sie bey allen Pronominibus, und zwar in allen Endungen.
Sie arbeiten alle. Sie lieben alle die Alten. Sie werden alle kommen. Wir
können nicht alle so gelehrt sprechen. Wir können nicht alle so
gelehrt sprechen. Wir haben alle unsere Fehler, Gell. Ihrer aller Freund, Unser
aller Vater.Besonders thut die Inversion nach Substantiven, welche doch nur um
eines besondern Nachdruckes willen geduldet werden kann, in der höhern
Schreibart gute Dienste, nur daß ein richtiges Gehör erfordert wird,
dem alle seine rechte Stelle anzuweisen. Wie hat dieser grausame Frevler die
Blumen alle zerstreuet! Die Stimme wird gelassener, die Glieder alle gerathen
in einen Stand der Ruhe, Less. Und die Thränen ihres Sohnes flossen alle
umsonst, Dusch. Erst werden die Welten alle vergehen, Klopst. [
199-200]
Nein! nein! die Weiber stechten alle, Wenn dieses Übel
schädlich wär, Gell. O Freund, der du die Sterne Des Himmels alle
zählst, Gleim. Die Weisen alle dienen, Die Völker lernen schon,
Raml.
Diese Wortfügung war schon den Alten bekannt. So singt
z. B. Ottfried,
Unio er fuar ouh thanne Ubar himila alle,
d. i. wie er auch von dannen fuhr über die Himmel alle;
und an einem andern Orte, thie odegun alle firliuze er itale, die Reichen alle
ließ er leer. Ingleichen, so fint thie thegana alle, so sind die Knechte
alle. Ferner, Minnisgon alle, alle Menschen. Alsam die toren alle tuont, Reimar
der Alte. Doch da es bey ihnen ganz etwas gewöhnliches war, die Adjectiva
den Substantiven nachzusetzen, so scheinet diese Inversion mit dem alle noch
ein Überrest davon zu seyn.Zuweilen, wo keine Nothwendigkeit vorhanden
ist, die Allgemeinheit besonders auszudrucken, stehet es um eines entweder
wahren oder eingebildeten Nachdruckes willen. Z. B. Und wer sind denn alle
diese feinen Leute? Sagen sie mir, was sie mit allen den vergeblichen Reden
haben wollen. Besonders geschiehet solches mit einigen Zahlwörtern. Alle
beyde. Sie kommen alle drey. Ich sah den Kutscher mit allen vier Pferden
ersaufen, Gell.Die Redensart auf alle Tage ist elliptisch, und bedeutet so
viel, als auf alle gemeine Tage, d. i. auf die Wochen- oder Werktage, im
Gegensatze der Fest- und Feyertage. Ein Kleid, ein Hut auf alle Tage.
S. auch Alltäglich und
Alltags.2) Der Quantität oder Menge nach,
collective, in Beziehung auf das Ganze, welches die entweder neben einander
bestehenden Individua, oder die auf einander folgenden Theile, ausmachen, und
da stehet es mit seinem Substantive im Singular und vertritt die Stelle des
Adjectives ganz. Alles Land in Contribution setzen, das ganze. Ich bin ihnen
dafür mehr verbunden, als für alle Wartung. Alle meine Freude hat nun
ein Ende. Ich arme Frau, komme um alle meine Freude, die ich mir eingebildet
hatte, Gell. Alle unsere Sorge wäre durch diese Schickung gehoben, ebend.
Es ist mir lieb, daß sie noch nicht alle Hoffnung von mir verloren haben,
ebend. Wollen sie uns denn um alle Sittsamkeit und um allen Wohlstand bringen?
ebend. Besonders liebt alle in dieser Bedeutung das Substantiv Welt, welches in
dieser Verbindung oft verschiedene Nebenbedeutungen bekommt. Alle Welt redet
davon, jedermann. Alle Welt fliehet seine Gegenwart. Er freuet sich, wenn es
aller Welt wohl gehet. Und wenn ich aller Welt Reichthümer
besäße. Das ist in aller Welt bekannt. Nun das begreife ich doch in
aller Welt nicht. Dann können sie alle Welt auslachen.
S. Welt.Auch in dieser Bedeutung war dieses Wort schon
den Alten bekannt. Alla so baurgs, die ganze Stadt, Ulphil. Alliu ruahha, alle
Sorge, Kero. Ellu sin giuualto, alle seine Gewalt, Ottfr. Allen dag, den ganzen
Tag, Notk. Und swiget allen einen tag, einen ganzen Tag, Reimar der Alte. Allan
thesan worolt thiot, alles dieses Volk der Welt, Ottfr.3) Der Intension, der
innern Stärke und Vollkommenheit dieses Ganzen nach. Sind sie ein Thor,
fing ich in aller Angst an, voller Angst. Er wollte mir es mit aller Gewalt
aufdringen. Ich kam noch zu allem Glücke dazu. Er hat alle Ursache dazu
gehabt. Ich sage es dir in allem Ernste. Ich redete mit ihm in aller
Gelassenheit. Ich sagte in allem Gu-ten zu ihm. Das Loos! das Loos! Um aller
Barmherzigkeit willen! Gell. Ich habe alle Hochachtung für sie. Ich that
mir alle Gewalt an. Mir muß er mit aller Achtung begegnen. Es ist mit
allem Fleiße gemacht. Aller Kürze unbeschadet. Der Plural kommt in
dieser Bedeutung wenig vor; doch sagt man: man kann einander in allen Ehren
lieben.Soll der Gegensatz von dem alle in dieser Bedeutung ausgedruckt werden,
so wird demselben das Vorwort ohne vorgesetzet. Ohne allen Zweifel. Ohne alle
Ursache. Ohne alles Bedenken. Das Leichenbegängniß wurde ohne alle
Pracht gefeyert. Ohne alle Barmherzigkeit. Ich will mich glücklich
schätzen, wenn sie mich nicht ohne alle Hoffnung fortreisen lassen, Gell.
Ich bin ja ohne alle Schuld, ebend.4) In Rücksicht auf das Gegentheil des
bezeichneten Ganzen, welches dadurch völlig ausgeschlossen und verneinet
wird, für nichts als. Ich ziehe euch zu allem Guten. Ich habe ihm alle
Wohlthaten erwiesen. Er redet alles Böse von mir. Einem alles Liebe und
Gute erweisen.
S. im folgenden die Anm.5) In Rücksicht auf jeden
einzelnen Theil, der das Ganze mit ausmacht, besonders; in welchem Falle es
für jeder stehet, und so wohl im Singular als Plural üblich ist.
Aller Anfang ist schwer. Aller Wollust (einer jeden Art von Wollust) ergeben
seyn. Alles Wasser ist dazu gut. Das muß ihnen Statt alles Beweises
dienen. Das Haus drohet alle Augenblicke (jeden Augenblick) einzufallen. Ich
dächte, daß er ihrer alle Stunden werth wäre, Gell. Eben
deßwegen singt und bethet sie alle Stunden, weil sie alle Stunden reicher
werden will, Gell. Sie ist eine Feindinn aller Eitelkeit, ebend. Auf allen
Fall, auf jeden Fall der sich zutragen kann. Alle Tage, alle Jahre, alle
Wochen, alle Stunden. Alle Sonnabend gehet er in die Stadt, jeden Sonnabend.
Alle vier Jahre, nach jedem dritten Jahre. Alle drey Monathe, nach jedem
zweyten Monathe. So auch, alle sechs Meilen, alle zwanzig Ellen, alle zehn
Schuh. Indessen kann all nicht in jedem Falle die Stelle des jeder vertreten,
besonders, wenn dieses im Singular stehet. Aller Mensch hat seine Fehler, sie
fanden bey allem Diebe drey Messer u. s. f. läßt sich nicht sagen, ob
man gleich keine andere Ursache, als den Mangel des Gebrauches, davon wird
angeben können.Wenn alle in dieser Bedeutung mit solchen Wörtern
verbunden wird, die eine Zeit oder ein Maß bedeuten, so ist in einigen
Provinzen dafür die zweyte Endung aller gebräuchlich. Man siehet ja
nicht aller zwey Meilen einen Galgen, Less. Ich richte mich so ein, daß
ich meisten Theils aller sechs Wochen eine neue Herrschaft habe, ebend. Allein
dem guten Geschmacke ist diese Wortfügung fremd.2. Mit Auslassung des
Substantives und Pronominis, den schon oben bemerkten Begriff der Allgemeinheit
auszudrücken. Und zwar,1) Im Plural, wo die Hauptwörter Menschen,
Dinge, Sachen, Stücke u. s. f. darunter verstanden werden. Alle sagen es.
Aller Augen warten auf dich. Sein Haus steht allen offen. Es war der
liebreichste Mann, der mich und alle zum Mitleiden bewog, alle, die ihn sahen.
Du übertriffst sie in allen, in allen Stücken. Alle die ihr hier
seyd, ihr alle Vornehmlich aber,2) Im Singular, wo das Neutrum alles sehr
häufig Statt eines ausgelassenen Substantives, oder auch Statt einer
verschwiegenen ganzen Redensart stehet, welche die bezeichnete Allgemeinheit
näher bestimmet, und wobey es zuweilen auf verschiedene Nebenbegriffe
weiset. Es stehet aber,(a) Sofern nur überhaupt eine Allgemeinheit
ausgedruckt werden soll, ohne Bezug auf deren übrige Verhältnisse.
Alles zürnet [
201-202] wider mich, alle Menschen.
Alles was Waffen tragen konnte. Wo er nur hinkommt, läuft ihm alles
entgegen. Gaubius im Haag, Schlosser zu Amsterdam, Camper zu Harlem, alles
berühmte Ärzte, d. i. welche Männer insgesammt berühmte
Ärzte sind.
Denn alles will den grünen Esel sehn, Und alle konnten
doch nicht mit dem Esel gehn, Gell.
So auch von Sachen. Alles dieses, oder, dieses alles, habe
ich längst wahrgenommen. Alles dieses ist Ursache, daß ich nicht
gekommen bin. Das thue ich um alles in der Welt nicht, um alle Reichthümer
in der Welt. So bald alles fertig seyn wird, will ich dich rufen. So lange ich
lebe, will ich alles an dich wenden. Ich verspreche dir alles. Der Himmel gebe
ihnen alles, was sie sich selber wünschen. Wegen alles dessen konnte ich
nicht kommen. Ich bin in allem seiner Meinung. Er schickt sich zu allem. Die
Religion ist das heiligste unter allem, was ein Vernünftiger
hochschätzen kann, Gell. Ingleichen, in manchen Fällen mit der
Inversion. Allein es hilft ihm alles nichts. Das ist alles nichts. Gedulden sie
sich, es wird noch alles gut werden. Das mag ich alles nicht wissen. Da alles,
hier ein wahres Collectivum ist, so leidet es auch das Verbum im Plural, wenn
das folgende Substantiv denselben erfordert. Alles übrige sind Possen,
Gell. Alles das sind Lügen. Aber dieses sind ja alles unschuldige Dinge,
ebend. Oft nimmt es auch, besonders im gemeinen Leben, verschiedene
Zusätze an, die Allgemeinheit noch nachdrücklicher vorzustellen. Er
gilt alles in allem bey ihm. Ich will alles in der Welt für dich thun.
Alles mit einander. Alles und jedes.(b) Sofern die einzelnen Theile als
zusammen gezählet vorgestellt werden. Es sind in allem sechs Thaler. Es
währete in allem vier Wochen. Wie viel sind es in allem. Es kostet mir
alles in allem zehn Thaler.(c) So fern der einzelnen Theile viele sind,
besonders mit was, und ausrufungsweise. Es ist erstaunlich, was er alles
weiß. Ach, was wollte ich nicht alles für dich thun! Was fordern sie
nicht alles von mir!(d) So fern dadurch der Gegenstand so erschöpft wird,
daß nichts übrig bleibt. Das ist alles, nun ist weiter nichts mehr
vorhanden. Das ist noch lange nicht alles, was ich ihnen zu sagen habe. Das ist
auch alles, was ich ihm nur wünschen kann. Alles was ich thun kann, ist
dieses, oder, dieses ist alles, was ich thun kann. Alles, was sie mir
antwortete, war dieses, oder, dieses war alles, was sie mir antwortete.Obgleich
alles in allen bisher angeführten Bedeutungen die Stelle eines
Substantives vertritt: so ist es doch nicht gewöhnlich, dasselbe mit einem
großen Buchstaben zu schreiben. Indessen gibt es Fälle, wo es,III.
Als ein Substantiv,im eigentlichen Verstande gebraucht wird. Man bedienet sich
dazu so wohl,1. * Des unconcrescirten Adverbii all, den ganzen Umfang gewisser
Dinge anzudeuten, in welchem Fall es auch den Artikel vor sich leidet.Das ist
ihr ganzes All, ihr Trost und ihre Ruh, Opitz. Allein, da das Umstandswort all
in der anständigen Schreibart veraltet ist, so hat man auch dieses
Substantiv mit allem Rechte veralten lassen, und die neuern Dichter haben daher
nicht wohl gethan, wenn sie es, besonders in dem Begriffe der Welt, wieder zu
Ehren zu bringen gesucht, zumahl da es nicht das mindeste Anschauliche hat.
Der Vater der Natur denkt, weist in jedem Falle, Im All auf
jedes Glied, in jedem Glied aufs Alle, Dusch. Nur eine schwache Änderung
darf ihren Gang verdrehn, So wird in einem Schiffbruch das All zu Grunde gehn,
Ebend. Und schmölze dieses All in seine Elemente, ebend.
In der ersten Stelle ist noch dazu die Declination aufs alle
unrichtig, indem die unconcrescirten Adverbia, wenn sie als Substantiva
gebraucht werden; völlig indeclinabel sind, das Schwarz, des Schwarz, dem
Schwarz. So auch das Grün, das Weiß, das Allgut, u. s. f.2. Als auch
des vollständigen Neutrius Alles, in der höhern Schreibart, für
aller Trost, aller Reichthum u. s. f. doch nur im Singular, und als ein
Indeclinabile ohne Artikel, auch nur mit den Possessivis mein, dein u. s. f. Ja
du Hälfte meiner selbst, mein Leben, mein Alles, Weiße. Unser Schutz,
unsere Hoffnung, unser Alles ist mit ihm gestorben. Grausamer, was hast du
gethan? Du hast meinen Vater, meinen Trost, mein Alles ermordet! Barbar, du
hast mich von meinem Alles getrennet!Anmerkungen.I. Wenn im vorigen gesagt
worden, daß alle und alles eine Allgemeinheit ausdrucken, so muß
solches nicht alle Mahl in dem schärfsten Verstande genommen werden; denn
zuweilen stehen sie, vermöge der Vergrößerung, einer in allen
Sprachen nicht ungewöhnlichen Figur, für viel. Aus dem vorigen
erhellet zugleich, daß dieses Wort eben so oft im Singular, als im Plural
gebraucht wird. Daher nicht zu begreifen ist, wo ein gewisser Sprachlehrer
seine Gedanken gehabt haben müsse, als er feyerlich behauptete, es finde
nur im Plural Statt.2. Da dieses Adjectiv keinen Artikel vor sich leidet, wenn
man nur nicht das Pronomen Demonstrativum der, die, das, für den Artikel
hält: so ist es auch nur in der bestimmten Declination der Adjectiven
üblich. Folglich gehet es so:
Singular
Plural
Aller, alle, alles,
Alle.
Alles, aller, alles.
Aller.
Allem, aller, allem.
Allen.
Allen, alle, alles.
Alle.
Nur daß es im Dativo Singularis des männlichen und
sächlichen Geschlechtes, wenn ein Pronomen vorher gehet, Statt allem, nur
allen lautet. Bey dem allen. Wie dem allen sey. Welches auch in andern
Fällen um des Wohlklanges willen geschiehet, um nicht zwey em unmittelbar
auf einander folgen zu lassen.Da nun alle bloß in der bestimmten
Declination der Adjectiven üblich ist, so bekommen auch die darauf
folgenden Adjectiven wie in andern Fällen, nur die unbestimmte
Declination. Alles äußerliche Ansehen. Aller große und viele
Reichthum. Bey allem großen Vermögen. Aller goldenen Schätze
ungeachtet. Aller guten Dinge sind drey. Ich erziehe sie zu allem Guten.
Ausgenommen ist, (a) das im gemeinen Leben übliche, einem alles Liebes und
Gutes erweisen, für alles Liebe und Gute, wie schon Burkard von Hohenfels
sang, alles liebes wil ich ir nimer abegan. Ingleichen alles Gutes von einem
sprechen, lauter Gutes; dagegen es in andern Fällen alles Gute heißt.
(b) Im Nominative des Plurals wird das folgende Adjectiv lieber ohne n als mit
demselben declinirt, welches auch nach einiger, mancher, viel und ander Statt
findet. Alle gute Männer, für guten. Alle gute Frauen. Alle gute
Ermahnungen helfen nichts. Ich [
203-204] habe deiner
Tochter alle mögliche Vorstellungen gethan, Gell. Ach es kostet viel, wenn
eine Frau alle neue Moden mitmachen will, eben derselbe.Da die Pronomina nur
allein die bestimmte Declination der Adjectiven leiden, so behalten sie selbige
auch nach dem alle. Alles mein Blut ist in Unordnung gerathen. Er richtet mit
allem seinem Gelde nichts aus. Aller dieser Segen, Gell. nicht diese. Mit allem
dem. Die Tugend in allem ihrem Glanze zeigen. Bey allem meinem Glücke
mache ich vielleicht meine Freundinn unglücklich, Gell. Nichts will ich
von allem dem sagen, was sie hier finden soll, Dusch. Sagen sie ihr, daß
sie bey allen ihren Büchern eine Närrinn ist, Gell.Es ist daher
fehlerhaft, wenn das all in solchen Fällen verstümmelt, und seiner
Declinations-Zeichen beraubt wird. Alle mein Blut ist in Unordnung gerathen,
für alles. Sie will alle ihr Vermögen daran setzen, Gell. Er richtet
mit alle seinem Gelde nichts aus, für mit allem. Bey alle dem, für
bey allem dem, oder besser, bey dem allen. Sie ist das Werkzeug, an dem sie
alle den Gift ausläßt, den ihr Stolz hervor bringt, Gell. für
allen. Bey alle den Schwachheiten meiner Schwägerinn, eben derselbe.Es ist
dieser auch noch im Hochdeutschen sehr übliche Fehler ein Überrest
der Oberdeutschen Mundart, wo es sehr gewöhnlich ist, für dieses Wort
in allen Zahlen, Endungen und Geschlechtern das unconcrescirte Umstandswort all
an Statt des concrescirten Adjectives aller, alle, alles zu gebrauchen, und
demselben den Artikel nachzusetzen, so wie es noch die Franzosen mit ihrem tout
machen. Al der werlte pris, vor al der werlte, al den gruenen walt, us al der
werlte, al der Selde der beste teil, al den siu, al die sinne, und hundert
andere Beyspiele kommen noch häufig bey den Schwäbischen Dichtern
vor. Oft pflegte man auch diesen Artikel mit dem all in Ein Wort zusammen zu
ziehen. In alder werlte, vor alder werlte, des froit sich herze und alder lib,
sind auch Beyspiele aus den Schwäbischen Dichtern. Wenn nun ein Pronomen
folgte, so war es natürlich, daß der Artikel wegfallen mußte,
und blieb denn nur das all übrig; z. B. wieder aus den vorigen: Al min
truren, dar inne al min froide lit, got nem im al sin ere, al solcher eren u.
s. f. Indessen wurde dieses auch nicht alle Mahl beobachtet, denn bey eben
denselben findet man auch: Aller min gedane, allen minen muot, alle ir mere,
alle ir arbeit, u. s. f. Diese alte indeclinable Form ist, obgleich auf eine
sehr unregelmäßige Art, noch jetzt im Oberdeutschen üblich. Z.
B. All dein Reichthum. All mein Verstand. All deines Glückes. All das
Land, so du siehest. Wie all solches daraus erhellet. Die Stände all des
Ihrigen berauben. Von Ausübung all anderer Feindseligkeiten abstehen. Da
man es denn mit dem folgenden Nennworte wohl gar in Eines zusammen ziehet.
Allthunlicher Dingen nach. Allgedeihlicher Vorschub. Allobiges. Mehrere
Beyspiele werden die Schriften der Reichskanzelleyen im Überflusse
gewähren. Man sollte daher diese im Hochdeutschen mit Recht veraltete Form
nie wieder der Vergessenheit zu entreißen suchen. Wie rauh und
kanzelleymäßig klingt nicht folgende Stelle aus dem Schlegel?
Wie unnütz ist all äußerlich Bestreben?
3. Außer den obigen angeführten Bedeutungen dieses
Wortes wird dasselbe in den Provinzen noch auf verschiedene Arten gebraucht,
die aber im Hochdeutschen unbekannt sind. So wird, 1) der Genitivus Pluralis
aller in Oberdeutschland als ein Adverbium für ganz gesetzet; oder
vielmehr aller ist ein eigenes, vermittelst der Ableitungssylbe - er von all
gebildetes Umstandswort, für ganz.
- Silenus aller trunken, Opitz. Der eingetheilte Witz wird
aller angewandt, Hall.
Er war so gar erschrocken, daß er aller zitterte, 2.
Marc. 3, 17. am ganzen Leibe. Ihr Körper wird aller zu Ausdruck, Bodmer,
für ihr ganzer Körper. Ich bin aller krank. Er ist aller
närrisch. Das Papier ist aller naß. In ähnlicher Bedeutung sagte
schon Ottfried: Thaz sus aller uuas funtan, daß es aller, oder wirklich,
so gefunden wurde; und wenn man den Sächsischen Bergmann fragt, wie es
gehe, so ist die Antwort: aller höflich, d. i. ganz hoffnungsvoll. 2) Das
Neutrum alles, oder zusammengezogen alls, ist gleichfalls in Oberdeutschland
eine versichernde Partikel, für allezeit, immer nur, anders. Man ist alls
den Reichen günstiger; als den Armen. Es muß es alls der Teufel
gethan haben. Danach fährst du alles im Wagen, Weiße. Auch dieser
Gebrauch ist schon alt. Alles bedeutet schon bey dem Kero omnino, und in allum
alles steti, heißt bey ihm so viel als an allen Orten. Wiht alles ni, ist
auch bey dem Ottfried so viel als nichts. Uua iz alles uuar in uuar, ebend.
für wenn es anders wahr wäre. Aichinger, der doch selbst ein
Oberdeutscher ist, weiß S. 381. seiner Sprachlehre nicht, was er aus
dieser Partikel, die größten Theils ein sehr überflüssiges
Flickwort ist, machen soll. Aber er irret sehr, wenn er sie mit also für
einerley hält. Auf ähnliche Art gebrauchen 3) die Niedersachsen ihr
al. Al darum, eben darum. Das ist al lustig, das ist doch lustig. Aber noch
häufiger bedeutet es bey ihnen, 4) so viel als schon, bereits. Er ist al
groß, er ist schon groß. Das ist al all, das ist schon all, oder
schon zu Ende.4. Man hat viele Wörter, die mit diesem Beyworte zusammen
gesetzt sind. Es zeiget sich daselbst in einer dreyfachen Gestalt.(a) Das
unconcrescirte Adverbium all, wird so wohl mit Partikeln, als auch mit
Adjectiven und Substantiven zusammen gesetzt. Jene haben wir insgesammt der
Oberdeutschen Mundart zu danken, die sich durch ihren Hang zur
Weitschweifigkeit und zu langen viersylbigen Wörtern vorzüglich
unterscheidet. All soll alsdann ihre Bedeutung verstärken, obgleich diese
Verstärkung oft sehr unnöthig und unmerklich ist. Dergleichen sind,
allbereits, allda, allhier, allwo, allso, oder wie man es beständig
schreibt, also, u. a. m. die im folgenden vorkommen werden, wo man aber kein
allschon, allforderist, alldaselbst, allfolglichen und hundert andere
Oberdeutsche Verlängerungen suchen darf, mit welchen alle
Kanzelleyschriften dieser Gegenden reichlich versehen sind. Bey einigen
einsylbigen Partikeln hat diese Verlängerung zuweilen ihren Nutzen, weil
sie den Numerum der Rede befördern kann, und dem kleinen Worte, wenn es
mit einem Nachdrucke versehen ist, mehrern Umfang gibt; besonders wenn diese
Partikeln am Ende eines Satzes zu stehen kommen;
S. Allda,
Allhier, Also. In allen diesen Fällen wird all
voran gesetzet, nur in dem einzigen überall hängt es sich hinten an.
Vor den Adjectiven und Substantiven hat es theils den Begriff der
Allgemeinheit, theils auch der innern Vollkommenheit und Stärke.
Dergleichen sind Allgegenwart, allgegenwärtig, Allmacht, allmächtig,
allgütig, allgemein u. s. f. In Oberdeutschland hat man auch von diesen
Zusammensetzungen eine große Menge: alldasig, alldortig, allgedeylich,
allgefällig, allschuldig und tausend andere sind ein Beweis davon. Nur
sind die meisten Beywörter dieser Art daselbst unschickliche
Zusammensetzungen von aller gedeylicher, aller gefälliger, aller
schuldiger; z. B. allgedeylichen Vorschub thun, allgefällige Dienste
leisten, allschuldigen Dank sagen. Ein Oberdeutscher wird daher einige unserer
neuern Dichter, die mit solchen Zusammensetzungen sehr freygebig sind,
gewiß sehr unrecht verstehen, wenn er bey ihnen eine allgefällige
Göttinn, einen allgütigen May, eine allwachsame Sorge u. s. f.
lieset. Da die [
205-206] ganze unconcrescirte Form all,
wie schon gesagt worden, im Hochdeutschen veraltet ist, und nur noch in der
niedrigen Sprechart lebt, so ist es wider die Analogie, sie zu neuen
Zusammensetzungen zu gebrauchen, so häufig solches auch von manchen
Schriftstellern geschiehet, wo man ein allbelebend, allbeseligend, allliebend,
allnährend, u. s. f. findet. Allvater, von Gott gebraucht, hat wegen
dieser veralteten Form sogar einen komischen Nebenbegriff. Übrigens waren
dergleichen Zusammensetzungen schon den Alten geläufig. Alsuslich stehet
bey dem Notker für solch. Alatharba bedeutet bey dem Ulphilas sehr
bedürftig, alazioro und alafesti, bey dem Ottfried sehr zierlich und sehr
fest, und aluualt bey dem Tatian sehr mächtig. Selbst die Angelsachsen
sagten ael-grene für sehr grün, und bey den alten und heutigen
Isländern kommt diese Art von Intension gleichfalls sehr häufig
vor.(b) Der Nominat. so wohl Singular. als Plural. alle findet sich nur in den
Adverbiis allemahl, allesammt, allewege, alleweil und allezeit, die dadurch zum
Begriffe der Allgemeinheit erhöhet werden. Man hat zwar in den neuern
Zeiten auch Zusammensetzungen mit dem Dativo Plur. allen versucht, wohin die
Allengefallenheit des Logau gehöret; allein auch diese sind wider die
Analogie, weil der erste Theil einer Zusammensetzung nach der Regel seine
Biegungszeichen verlieren muß. Es müßte eigentlich
Allgefallenheit heißen, welches aber, wenn es auch erlaubt wäre,
einen andern Begriff geben würde. Desto häufiger kommt,(c) Der Genit.
Plural. aller vor, der sich so wohl zu einigen Substantiven gesellet, die
dadurch das Ansehen der Adverbien und Adjectiven bekommen, wie in allerdings,
allermaßen, allerseits und allerwegen, ingleichen in allerhand und
allerley, als auch, und zwar am häufigsten, zu den Superlativis, deren
Bedeutung dadurch verstärket werden soll. Der allerglücklichste
Mensch. In dem allerhärtesten Winter. Er war der allerletzte. Der
allerbeste Wein. Wer am allerwenigsten hat, muß oft am allermeisten geben.
So auch in den aus solchen Adjectiven gemachten Nebenwörtern, allererst,
allernächst, allermeist. Da die Superlativi bereits das höchste in
ihrer Art andeuten, so hilft dieser so genannte Nachdruck eigentlich zu weiter
nichts, als daß durch die Verlängerung des Wortes die Aufmerksamkeit
des Zuhörers sich desto länger dabey verweilet. Es kommen daher diese
verlängerten Superlativi, die sich gleichfalls aus der weitschweifigen
Alemannischen Mundart herschreiben, in der gemeinen und gesellschaftlichen
Sprache am häufigsten, in der ernsthaften und höhern Schreibart aber
seltener vor. Im gemeinen Leben gehet man mit diesem verstärkenden Zusatze
so weit, daß man ihn zuweilen auch solchen Wörtern anhängt,
deren Bedeutung schlechterdings keine weitere Erhöhung leidet. Dahin
gehöret unter andern das so gemeine, ein allereinzig Mahl, welches der
komische Dichter in folgender Stelle sehr gut angebracht hat:
Ein allereinzig Mahl in seinem ganzen Leben Hat er dieß
Tuch gewebt, Zach.
Daß dieses aller wirklich der Genitivus Pluralis ist,
erhellet aus der Art, wie die Alten die damit zusammen gesetzten Wörter
geschrieben, zumahl wenn man bedenkt, daß der Genitiv bey ihnen, so wie
bey den alten Griechen, weit häufiger gebraucht wurde, als bey uns.
Allerhandelüte, und allerleige, für allerhand Leute und allerley,
kommen im Schwabenspiegel und bey den Schwäbischen Dichtern mehrmahls vor,
und wenn Willeram das aller beste Gold nennen will, so drückt er es durch
aller golde bezzesto aus. Indessen kommen doch auch die zusammen gezogenen
Formen, alleromeist, allervortheroston u. a. m. bey dem Kere und spätern
Schriftstellern vor. Diese ganze Form ist freylich noch eine Ausnahme von der
Regel, nach welcher in Zusammensetzungen der erste Theil seine Biegungszeichen
verlieret; abereine Ausnahme, welche der allgemeine Gebrauch bereits so
geheiliget hat, daß der Sprachlehrer dabey die Hand gerne auf den Mund
leget und schweiget.4. All, Goth. all, alls, bey den Alemannen, el und all,
Angels. eal, Engl. all, whole, Dän. al, ald, Isl. all, Wallis. und
Irländ. oll, ist ein altes Wort, welches sich nicht nur in die ersten
Zeiten der Nordischen Mundarten verlieret, sondern auch mit dem Griech. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - und
Hebr. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - genau überein kommt. In den mittlern Zeiten wurde es in
Oberdeutschland ellew und elliu geschrieben, und noch jetzt sprechen die
Schwaben es älle aus. Ehedem hatte es von ganz, auch die figürliche
Bedeutung gesund. Die heutigen Mundarten haben es aber getheilt. All bedeutet
bey den Holländern und Niedersachsen omnis, hel und heel aber ganz, und
figürlich gesund. Hel kommt bey den Schwaben, und helen bey den Schweden
in eben dieser Bedeutung vor.
S. Heil. [
207-208]