Die Welt
, [
1477-1478] plur. doch nur von einigen
Bedeutungen, die -en, ein altes Wort von mehrern schwankenden Bedeutungen, und
da zugleich die Abstammung dunkel und ungewiß ist, so bleibt dem Wortforscher
nichts weiter übrig, als die verschiedenen Arten des Ge- brauches nach
wahrscheinlichen Gründen unter einander zu ordnen. Es bedeutet: 1. * Die Zeit
und ein Theil derselben, ein Zeitalter, wie das Lat. saeculum; wo nicht die
erste, doch eine der ältesten Bedeutungen, in welcher es bey dem Ottfried,
Notker u. s. f. häufig vorkommt. Worolt, worolti, saecula saeculorum, Ottfr.
Allo worolti, zu allen Zeiten. Da es denn auch wohl das Lebensalter eines
Menschen bedeute. Mina worolt nuzzo einluzzo, ich werde mein Leben einsam
zubringen, Ottfr. Doch in dieser ganzen Bedeutung ist es jetzt veraltet. 2. Die
zu gleicher Zeit lebenden Menschen, und in weiterer Bedeutung, der Inbegriff
aller zu einer und eben derselben Zeit existirenden zufälligen Dinge; eine eben
so alte, noch jetzt gangbare Bedeutung, in welcher aber der Plural ungewöhnlich
ist. Alt worolti ist dem Ottfried die Zeit des alten Testaments, und jungera
worolti, die Nachwelt. Die heutige, die jetzige Welt. Die Vorwelt, die
Nachwelt. Ein Mann aus der alten, oder nach der alten Welt. Er redet und denkt
noch nach der alten Welt. Sich zum Dienst der Welt geschickt machen. Sie hat
eben so geblühet, wie du; die vorige Welt sagt es uns, die nun schon der
unsrigen Platz macht. Dahin auch die R. A. gehören: auf die Welt kommen, in die
Reihe der zugleich existirenden endlichen Dinge wirklich werden. Ein Kind zur
Welt gebären. Jemanden in die andere Welt schicken, ihn des Lebens berauben.
Sich mit Ehren durch die Welt bringen. 3. Eine Menge Menschen, und in weiterer
Bedeutung, eine Menge von Dingen Einer Art, besonders von lebendigen
Geschöpfen. Kaiser Albrecht sammelte eine große Welt zu einer großen Heerfahrt,
der Pirnaische Mönch in Menkens Scriptor. Es folgte ihnen nach aufs Veld eine
merkliche Welt, Tschudi. Eine Bedeutung, welche jetzt selten ist. Eine Welt von
Geschäften und Bestimmungen liegt um den Menschen her. Die Körperwelt, der
Inbegriff aller körperlichen Dinge. Die Geisterwelt. Die Oberwelt, die
Unterwelt u. s. f. 4. Menschen überhaupt, besonders die Menge Menschen und
Dinge um uns her; als ein Collectivum und ohne Plural. Was wird die Welt dazu
sagen? Von sich weg in die Welt fliehen, aus der Einsamkeit in die menschliche
Gesellschaft. Etwas öffentlich, vor den Augen aller Welt thun. Wer getrauet
sich das vor dem Richterstuhle der Welt zu verantworten? Wenn das die Welt
erfahren sollte. Werde ich nicht eigennützig und leichtsinnig in den Augen
einer Welt seyn, die auf unsre kleinsten Handlungen Acht gibt? Weiße. Der
Stolze würde trostlos seyn, wenn die Welt nur Einen Theil seiner Mängel sähe,
Gell. Alle Welt, jedermann. Alle Welt weiß es, spricht davon. Das macht bey
aller Welt gelitten. In alle Welt gehen, in die Ferne. 5. Menschen von einer
gewissen Classe; auch als ein Collectivum und ohne Plural. Die gelehrte Welt,
der Inbegriff der Gelehrten. Die junge Welt, junge Personen überhaupt. Die
große Welt, die obersten Classen der bürgerlichen Gesellschaft. Wo die schöne
Welt beym Spieltische sich sammelt, Geßn.
Die schöne Welt sing. an, die Ruhe zu verlassen, Zach.
das schone Geschlecht. Deine Bestimmung ist die große, die
geschäftige Welt. 6. Practische Kenntniß der feinern Welt und ihrer Sitten, als
ein Abstractum und ohne Plural und Artikel; eine der neuesten, nach dem
Französischen monde geformte Bedeutung. Er hat Welt, gute Lebensart. Wenn sie
nur mehr Welt hätte. 7. Die bürgerliche Gesellschaft, im Gegensatze der
kirchlichen; auch ohne Plural. In der Welt bleiben, in Gegensatze des
Klosterlebens. Aus der Welt ge- [
1479-1480] hen, die Welt
verlassen, in ein Kloster gehen. 8. Der Inbegriff der mit einander verbundenen
irdischen und sinnlichen Dinge, im Gegensatze der geistlichen und ewigen;
besonders in der Bibel und Theologie, auch ohne Plural. Die Welt lieben. Die
Welt hassen. Der Welt absterben. 9. Irdisch oder sinnlich gesinnte Menschen;
eine gleichfalls biblische Bedeutung, wo es als ein Collectivum gleichfalls
keinen Plural leidet. Die Welt liegt im Argen. Die blinde Welt, verblendete
sinnliche Menschen. 10. Der Erdkörper und die darauf befindlichen Dinge. Die
vier Theile der Welt. Bis an das Ende der Welt reisen. Die Welt umsegeln. Eine
Reise um die Welt. Ingleichen eine Hälfte desselben. So pflegt man die drey von
Alters her bekannten großen festen Länder der einen Halbkugel die alte, Amerika
aber die neue Welt zu nennen.
Du führst in deinen Schiffen einen Feuerfunken, Der beyde
Welten frißt, Raml.
Ingleichen eines dieser großen festen Länder, ein Welttheil.
Ein Prinz aus einer andern Welt, der unsere Europäische Welt will kennen
lernen.
Da er sich mit entschloss'ner Seele zweyen Welten Allein
entgegen warf, Raml.
11. Ein Himmelskörper, und in weiterer Bedeutung, ein System
in einander gegründeter Himmelskörper; mit dem Plural. Die Mehrheit der Welten,
d. i. solcher in einander gegründeter und von Wesen bewohnter Systeme. Der Raum
zwischen den Welten.
Ernsthaft schauet auf uns der majestätische Himmel Mit seinen
zahllosen Welten herab, Giesecke.
12. Der ganze Inbegriff aller vorhandenen endliche Dinge. In
diesem Verstande ist Welt eines allgemeinsten Collectiven, welches alles
endliche, was ist oder gewesen ist, in sich begreift. Gott, die Seele der Welt,
der Schöpfer der Welt. Die beste Welt. Bis an der Welt Ende. 13. Endlich wird
dieses Wort im gemeinen Leben auch häufig als ein verstärken, der Ausdruck
gebraucht. Das geschiehet in der Welt, in aller Welt nicht, schlechterdings
nicht. Unsere Sache ist auf dem besten Wege von der Welt. Womit kann ich ihnen
dienen? Antiv. Mit nichts auf der Welt, mit gar nichts. Ich lasse mir alles von
der Welt gefallen, schlechterdings alles, alles ohne Ausnahme. Das begreife ich
doch in aller Welt nicht, auf keine Weise. Aller Welt Reichthum, aller Welt
Schande, der höchste Grad. Ich habe die auf Gottes Welt nichts zu thun, gar
nichts. So wie in aller Welt ein gewöhnlicher Ausdruck der Verwunderung ist.
Anm. Das Wort lautet von den frühesten Zeiten an, so wohl im Deutschen als den
verwandten Sprachen Werolt, Worolt, Weralt, daher noch das Schwed. und
Holländische Werld und Engl. World. Aus dieser alten Form erhellet, daß dieses
Wort entweder ein abgeleitetes oder ein zusammen gesetztes ist, dessen beyde
Bestandtheile wer und olt oder alt lauten. Auf diesem Wege haben denn auch die
meisten Etymologen die Abstammung dieses Wortes gesucht. Wachter hält die erste
Sylbe für das alte Wer, Vir, ein Mann, Mensch, und die zweyte für Old, das
Alter, und siehet folglich die Bedeutung des menschlichen Alters als den
Stammbegriff an; aus welchem sich aber die übrigen nicht anders, als sehr
gezwungen und unanalogisch, herleiten lassen. Leibnitzen war die Bedeutung des
Erdkörpers der Stammbegriff, daher leitete er es von wiren, Wirbel, Lat.
gyrare, umdrehen, her. Nur Schade, daß das Wort zu einer Zeit und bey Menschen
üblich geworden, da man von der Bewegung der Erdkugel um ihre
[
1481-1482] Achse sich gewiß noch träumen ließ. Frischen
ist der Begriff der Zeitdauer der ursprüngliche, daher er es von währen,
durare, abstammen läßt. Allein für einen Stammbegriff ist dieser Begriff zu
abstract, ist auch bey weiten nicht der herrschende. Wenn man alle Bedeutungen
dieses Wortes aufmerksam betrachtet so siehet man bald, daß der Begriff der
Menge der herrschende ist, der in allen hervor sticht, nur daß er immer auf
andere Art modificirt ist. Dieß scheinet mir daher auch der Stammbegriff zu
seyn, daher ich die erste Sylbe von wiren, weren, wirren ableiten würde, so
fern es der nachgeahmte Laut einer beweglichen Menge ist, welcher Begriff auch
in verwirren hervor sticht. Die letzte Sylbe ist entweder eine veraltete
Ableitungssylbe, wie in Herold, oder auch ein eigenes längst veraltetes und
folglich unbekanntes Wort. Wenn aber Werelt in das heutige Welt zusammen
gezogen worden, läßt sich nicht genau bestimmen. Vermuthlich ist es aus dem
dunkeln Bewußtseyn geschehen, daß die neuern Bedeutungen dem Wurzelbegriffe
nicht mehr angemessen sind, daher man die Abstammung durch die Zusammenziehung
mit Fleiß unkenntlich gemacht, welches auch der Fall mit Beicht, Braut u. a. m.
ist. In dem Lat. mundus, die Welt, dessen Gleichlaut mit mundus, rein, gewiß
nur zufällig ist, und zwar eben so zufällig, als zwischen dem Griechischen
hier nichtlateinischer Text, siehe Image, die Welt, und hier
nichtlateinischer Text, siehe Image, Schönheit, Schmuck, scheinet die
Menge gleichfalls der herrschende Begriff zu seyn, indem es von der Wurzel
mein, in gemein, und selbst in Menge abzustammen scheinet. Ulphilas
verwechselte die gleich lautenden Griechischen Wörter, und übersetzte daher
hier nichtlateinischer Text, siehe Image die Welt, durch Fairghus,
gleichsam schöne Wohnung. Übrigens ist dieses Wort in den neun ersten
Bedeutungen am ältesten, besonders so fern sie mit dem Lat. Saeculum überein
kommen, welches die alten Schriftsteller alle Mahl durch worold übersetzen. In
der Bedeutung des Erdkörpers ist es neuer, indem man dafür andere Wörter hatte,
z. B. das Isidor befindliche Mittingard, im Tatian Mittiligart, in dem alten
Gedichte auf den h. Anno Merigarten, bey dem Ulphilas Midjungard, im Angels.
Middanarde; vermuthlich, weil man die Erdkugel für den Mittelpunct des
Weltgebäudes hielt. [
1481-1482]