Die Sitte
, [
109-110] plur. die -n, ein Wort,
welches in einer doppelten Hauptbedeutung vorkommt. 1. Die Fertigkeit freyer
ähnlicher Handlungen, welche mit Gleichförmigkeit und Übereinstimmung
geschehen. (1) Im weitesten Verstande, wo jede gleichförmige Art des Verhaltens
in Ansehung freyer Handlungen dadurch bezeichnet wird, sie mag sich nun auf das
Herkommen (
S. Gebrauch), oder auf die Erwartung ähnlicher Fälle,
oder auf die Nachahmung anderer (
S. Gewohnheit), oder auf ein Gesetz gründen. Es wird
hier so wohl im Singular, als im Plural, gebraucht.
Sein Leythundt er hoflich zusprach, Wie dann das ist nach
Jegers Syt, Theuerd. Kap. 40.
Es ist seine Sitte nun so, seine Art und Weise. Noch mehr von
ganzen Gesellschaften. Es ist nicht Sitte in unserm Lande, daß u. s. f. 1 Mos.
29, 26. Wie es Sitte ist. Es ist der Welt Sitte so. Die fromme Sitte, über die
Evangelien zu predigen. Ihr haltet die Sitten meines Heiligthums nicht, sondern
macht euch selbst neue Sitten in meinem Heiligthume, Ezech. 44, 8. Jedes
Jahrhundert hat seine Sitten. Sich auf des Landes Sitten verstehen. Den Sitten
seiner Vorfahren folgen. Es fängt in dieser Bedeutung ein wenig an zu veralten;
im Plural vielleicht um der Zweydeutigkeit mit der folgenden engern Bedeutung
willen, und im Singular, weil Gebrauch, Gewohnheit gangbarer sind, obgleich
selbige der Strenge nach nicht ganz als gleichbedeutend mit Sitte angesehen
werden können. Dieses ist allgemeiner; Gebrauch gründet sich zunächst auf das
Herkommen, Gewohnheit aber so wohl auf die Erwartung ähnlicher Fälle, als auf
die Nachahmung anderer. In dieser allgemeinern Bedeutung lautet es schon bey
dem Notker und Willeram Sito, in dem alten Gedichte auf den heil. Anno im
männlichen Geschlechte der Sidde, im Hornegk gleichfalls männlich, der alde
Sid, im Angels. Sida, Sitha, im Schwed. Sed, im Isländ. Sidr. (2) In engerer
und gewöhnlicherer Bedeutung, die Fertigkeit freyer äußerer Handlungen in
Ansehung des gesellschaftlichen Lebens, wo es nur im Plural üblich ist, von
mehrern Fertigkeiten dieser Art, obgleich die Natur der Sache den Singular gar
wohl verstattet. (a) Im weitern Verstande. Gute, böse Sitten an sich haben. Ein
Mensch von bäurischen Sitten. Jemandes Sitten an sich nehmen. Was wider die
guten Sitten streitet.
Der Vorzug weiser Sitten Macht alles herrlicher und adelt auch
die Hütten, Hag.
(b) Im engsten Verstande werden auch die guten Sitten, d. i.
die Fertigkeiten zum rechtmäßigen äußern Verhalten im gesellschaftlichen Leben
nur die Sitten schlechthin genannt. Schwed. Sed. Die Vertraulichkeit ist das
Grab des Sitten und der Freundschaft, Gell. In dieser ganzen zweyten Bedeutung
gebraucht schon Kero Siti für mores. 2. * Dasjenige, wodurch die freyen
Handlungen bestimmt werden, ein Gesetz; eine im Hochdeutschen veraltete
Bedeutung, welche aber noch häufig in der Deutschen Bibel vorkommt: Daß du
wandelst in seinen (Gottes) Wegen und haltest seine Sitten, 1 Kön. 2, 3. Daß du
hältest meine Sitten und Gebote, Kap. 2, 14. Anm. In dieser letzten Bedeutung
stammet es ohne Zweifel von setzen, Gesetz, Satzung ab, welches letztere im
Niedersächs. Sate heißt. In der ersten Hauptbedeutung lassen Wachter, Ihre und
andere es von dem Griech. hier nichtlateinischer Text, siehe
Image, abstammen, mit welchem das Isländ. Aete, Gebrauch, Gewohnheit,
Sitte überein kommt. Allen bey dem Ottfried, Notker und andern, findet sich das
Zeitwort siton, welches daselbst nicht nur anordnen, bereiten, sondern auch
handeln und pflegen (solere) bedeutet, allem Ansehen nach das Stammwort von dem
intensiven setzen ist, und zugleich einen weit bequemern Stamm für Sitte
abgibt, als das Griechische, [
111-112] Ottfrieds siton
und unser setzen und sitzen stammen vermuthlich von sied, niedrig, her, (
S. Sint,) und das Lat. solere nähert sich dem Worte
Solum, dessen Stammbegriff gleichfalls die Tiefe ist. Die Stätigkeit scheinet
das Wand zu seyn, welches beyde dem Anscheine nach entfernte Bedeutungen mit
einander verbindet. (
S. Sittsam.) Übrigens wird das Lat. Mos, im Plural
Mores, fast eben so gebraucht, wie unser Sitte und Sitten.
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111-112]