Die Schande
, [
1349-1350] plur. inus. ein Wort, welches
vermittelst der Ableitungssylbe -de von einem veralteten Zeitworte schanen,
schenen u. s. f. abstammet, welches uns noch eine zahlreiche Nachkommenschaft
hinterlassen hat, daher hier etwas davon überhaupt gesagt werden muß, damit die
Verbindung der mancherley Bedeutungen des Wortes Schande und seiner Verwandten
desto deutlicher werde. Schanen und das sanftere sanen war, wie alle
Zeitwörter, eine unmittelbare Nachahmung des Lautes, so wohl einer menschlichen
Stimme. als auch einer gewissen Art einer Körperlichen Bewegung. Zur
menschlichen Stimme gehöret das Lat. Sonus, das Nieders. schünden, hetzen,
anreißen, unser schänden, so fern es im gemeinen Leben mit Worten beschimpfen
bedeutet, und das Latein. Sanna, Verspottung u. a. m. Zum unartikulierten
Laute, so wohl das Latein. Sonus, als auch figürlich mancherley mit diesem
Laute verbundene Bewegungen; daher unser schenken, geben, schanzen, das Latein.
scindere, unser schinden, schänden und Schande, so fern es körperliche
Verletzung bedeutet, das Angels. skunian, meiden, vermeiden, unser schonen, das
Schwed. skena, ausreißen von Pferden, skynda, eilen, unser schon u. s. f. Von
der schnellen Bewegung ist die Bedeutung des Lichtes eine gewöhnliche Figur;
daher schön, scheinen, Schande, so fern es Blöße bedeutet, Sonne, zünden,
Candela, im Deutschen ehedem Schandel u. s. f. Besonders bedeutete es allerley
Bewegungen nach verschiedenen einzelnen Richtungen. 1) In die Höhe; wie
scandere, und unser Sahne, vielleicht auch Schanze. 2) In die Tiefe; daher die
Lat. Sinus, ein Napf und der Schoß, Sentina, die Grundsuppe, das Schwed. Skänk,
ein Becher, unser senken, sinken, das veraltete Schande, eine Cloak,
Schundgrube. Von der Tiefe, der Höhlung, ist die Bedeckung eine gewöhnliche
Figur; daher das alte Nieders. Schin, die Haut, Engl. Skin, Schwed. Skinn,
vielleicht auch unser schinden, das Griech. -
hier nichtlateinischer Text,
siehe Image - , ein Gezelt, unser Scheune. 3) In die Länge, wie Schiene,
und in die Spitze, wie das Latein. Sentis, der Dorn. 4) Nach einer schiefen
Richtung, wie das Nieders. schüns, schief. 5) In die Länge, Breite und Dicke,
daher die Figuren der Masse, zuweilen auch der Verbindung, wie Schinken, Sohn,
sanus, eigentlich ganz, und unser gesund. Wenn man erwäget, daß das n oft ein
mäßiger Laut ist, welcher sich manchen andern Mitlautern gern anhänget, und daß
m und n wegen ihres geringen Unterschiedes sehr oft mit einander verwechselt
werden, so wird man sich nicht befremden lassen, daß Schade, Schande und Scham
sich in ihren Bedeutungen mehrmahls durchkreuzen, daher denn auch besonders die
beyden letzten sehr oft für einander gesetzet werden. Was nun besonders unser
Schande betrifft, so bedeutet es, 1. Eine Tiefe, einen hohlen tiefen Raum.
Hierher gehöret nur das noch in einigen Oberdeutschen Gegenden übliche Schande,
eine Cloak, wofür im gemeinen Leben der Hochdeutschen Schundgrube üblich ist.
S. Scheune. 2. Eine Bedeckung; ein nur noch in einigen
Gegenden und in einigen Fällen üblicher Gebrauch. Der Lappen, welchen die
Schneider um den Griff des heißen Bügeleisens wickeln, um die Hand nicht zu
verbrennen, heißt in manchen Gegenden, besonders Niedersachsens, die Schande.
In dem Salzwerke zu Halle ist die Schande ein rundes Tuch von Haaren oder Filz,
welches die Arbeiter vor die Brust legen, wenn sie die vollen Salzkörbe tragen.
In manchen Niedersächsischen Gegenden ist die Schande oder Schande ein in der
Mitte ausgehöhltes Holz, welches man auf die Achseln legt, zwey Eimer, Fässer
u. s. f. daran zu tragen, wo aber auch der Begriff der Schiene Statt findet. In
andern Gegenden ist es ein zwey Finger breites Band, dessen beyde Enden mit
einem kleinen Stricke an der Sense befestiget werden, welches dem Mäher die
Sense tragen hilft. Ehedem bedeutete Schin, im Deutschen auch die Haut, und das
Schwed. Skinn und Engl. Skin haben diese Bedeutung noch,
S. Schinden. 3. Die Blöße; eine Figur der veralteten
Bedeutung des Lichts, wovon noch scheinen, schön u. a. m. zeugen. In der
weitesten Bedeutung ist es hier veraltet, und man gebraucht es nur noch
zuweilen im gemeinen Leben von einer unanständigen Blöße. Seine Schande nicht
bedecken können, seine Blöße, keine Kleider haben.
S. Schanddeckel. 4. Die Schamröthe; so wie bey Scham,
eine Figur des Lichtes. 1) Eigentlich. Auch hier wird es nur noch zuweilen im
gemeinen Leben von der Fähigkeit zu erröthen, sich zu schämen, gebraucht. Aller
Schande den Kopf abgebissen haben, alle Scham abgeleget haben, sich nicht mehr
schämen können, in welcher Bedeutung man auch wohl sagt, weder Scham noch
Schande mehr haben. Im Englischen bedeutet Shame so wohl Scham als Schande, und
das Griech. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - bedeutet
gleichfalls Scham. 2) Der Zustand da man schamroth wird, da man sich schämet,
welche aber auch zur folgenden Bedeutung gehören kann. Man gebraucht es hier
nur noch im gemeinen Leben mit dem Vorworte zu und in der alten Oberdeutschen
Form, Schanden für Schande. Jemanden zu Schanden machen, machen, daß er
schamroth werden muß, ihn einer Unvollkommenheit überführen, deren er sich zu
schämen Ursache hat. Im gemeinen Leben macht man auch jemanden zu Schanden,
wenn man ihn durch Lob schamroth macht, da denn der Erröthende alsdann zu
Schanden wird. 5. Körperliche Verunstaltung und Verstümmelung, eine Verletzung,
wodurch ein Ding seine gehörige Gestalt auf eine sehr merkliche Art verlieret,
und der Zustand, da ein Ding auf solche Art verunstaltet wird, wo es mit
scindere und dem Schwed. Skena, die Wunde, genau verwandt ist. 1) Eigentlich,
wo es nur noch im gemeinen Leben in der vorigen Form mit dem Vorworte zu in
weiterm Verstande gebraucht wird. Ein Ding zu Schanden machen, es verunstalten,
verderben, unbrauchbar machen. Ein Pferd zu Schanden reiten. Sich zu Schanden
arbeiten, fallen, laufen. Jemanden ganz zu Schanden prügeln. Ein Schiff zu
Schanden [
1351-1352] schießen. Durch den Hagel ist für
viel tausend Thaler zu Schanden gegangen. Um das Vergnügen zu haben, einen
armen Hasen zu fangen, reiten sie mehr als fünfzig Hufen Feldes zu Schande,
Weiße. 2) Figürlich, wo es so wie Laster, welches auch eigentlich körperliche
Verstümmelung ist, einen hohen Grad der moralischen Verunstaltung bedeutet, wo
es denn wieder in verschiedenen Beziehungen üblich ist. (a) Hoher Grad der
Unehre, das Urtheil anderer von uns, so fern es mit Unehre und Erniedrigung in
der bürgerlichen Gesellschaft verbunden ist, und der Zustand, da man einem
solchen Urtheile unterworfen ist; wo es der Ehre entgegen stehet, Schande von
etwas haben. Mit Schande, mit Schande und Spott bestehen, auch wohl in der
Oberdeutschen Form, mit Schanden bestehen. Das ist dir eine Schande, gereicht
dir zur Schande. Pfui, der Schande! Sich etwas für eine Schande halten.
Jemanden Schande machen, machen, daß er Schande mit uns einlege. Seine Schande
an jemanden erziehen. Thue mir die Schande nicht an. Sie ist elend, weil sie
ihre Schande fühlet. Armuth bringt keine Schande. Zu Schanden werden, für in
Schande gerathen, welches in der Deutschen Bibel mehrmahls vorkommt, ist nur
noch in der vorigen Bedeutung der Beschämung üblich. In der engsten Bedeutung
ist die Schande das gegründete Urtheil anderer von unserer lasterhaften
Beschaffenheit, Unehre wegen böser Thaten. (b) Die thätige Erweisung dieses
Urtheiles, die Beschimpfung. Jemanden alle Schande anthun, ihn thätig
beschimpfen. Im Lat. ist Sanna Verspottung. (c) Was dieses Urtheil wirkt,
grobe, mit öffentlicher Unehre verbundene Verbrechen, wo es mit Scandalum,
sons, und unserm Sünde verwandt ist. Der Plural ist auch hier nicht üblich,
ungeachtet er dem Anscheine nach Statt finden könnte. Schande und Laster
begehen. Am üblichsten ist es von den mit öffentlicher Unehre verbundenen
Verbrechen der Unkeuschheit. Wenn jemand bey seiner Schnur schläft, so sollen
sie beyde des Todes sterben, denn sie haben eine Schande begangen, 3 Mos. 20,
12. Sie haben Mann mit Mann Schande getrieben, Röm. 1, 27.
S. auch Blutschande. Anm. Bey dem Ottfried Scantu, im
Nieders. gleichfalls Schande, im Angels. Scande, im Böhmischen nur Handa,
welcher Zischlaut auch dem Franz. Honte und unserm verwandten Hohn fehlet. Es
stammet vermittelst der Ableitungssylbe -de, welches Abstracta bildet, von dem
schon gedachten veralteten Zeitworte schanen her. Die Gewohnheit, diesem Worte
in manchen R. A. ein n anzuhängen, wenn die Vorwörter mit und zu vorher gehen,
mit Schanden, zu Schanden, scheinet aus einigen Oberdeutschen Gegenden
abzustammen, wo dieses Wort so wie Glaube, Erde und andere weibliche auf e, die
Schanden heißt. Gott hat die Schanden der Christen kund gemacht, sagt noch
Opitz. Im Hochdeutschen läßt man dieses n am richtigsten weg; mit Schande
bestehen, zu Schande werden. Im gemeinen Leben wird es mit vielen Wörtern
zusammen gesetzet, nicht nur ihre Schändlichkeit, sondern auch eine gewisser
Maßen entehrende niedrige Zahl zu bezeichnen. Ein Schandgeld, ein unerhörtes
geringes Geld, welches mit dem Werthe der Sache in keinem Verhältnisse stehet,
ein Schandgeboth, Schandpreis u. s. f. [
1351-1352]