2. - Ig
2. - Ig,
[
1351-1352] iger, igste, eine
Ableitungssylbe, welche im Deutschen von einem überaus großen Nutzen ist, von
sehr vielen Wörtern Bey- und Nebenwörter zu bilden. Die Wörter, welche auf
solche Art genutzet werden können, sind, 1. Hauptwörter, aus welchen auf diese
Art Bey- und Nebenwörter werden, welche den Besitz, das Haben, die Gegenwart
derjenigen Eigenschaft bezeichnen, welche das Hauptwort ausdruckt; wo denn das
ig an den letzten Mitlauter des Hauptwortes angehänget, und wenn sich dasselbe
auf ein e endiget, dasselbe weggeworfen wird. Gütig, Güte habend, besitzend,
muthig, Muth habend, schmutzig, Schmutz habend, gräthig, Gräthen habend. So
auch aderig, bergig, buckelig, buschig, dornig, faserig, farbig, felsig,
federig, haarig, hastig, hitzig, kitzelig, kiesig, kothig, morastig, runzelig,
eckig, kupferig, schuppig, schwammig, eiferig, anmuthig, freudig, hungerig,
durstig, listig, lustig, willig, muthwillig, saftig, schartig, spitzig,
stündig, wichtig, garstig, schattig, wenig (von Wahn, Mangel,) selig, hügelig,
adelig, ewig, unschuldig, zornig, und tausend andere mehr. In einigen wird der
Vocal der letzten Sylbe verändert, wie in andächtig, aussätzig, bräuchig,
brünstig, bündig, günstig, fällig, flüchtig, wollüstig, gläubig, gnädig,
mächtig, häusig, jährig, mäßig, mündig, lässig, dürftig, pfündig, prächtig,
süchtig, thätig, trächtig, verständig, unfläthig, züchtig, zünftig, schwülstig,
nöthig, eigennützig u. s. f. Einige wenige leiden noch andere Veränderungen. So
ist für grobfädenig grobfädig üblicher, für fährtig fertig. Der erste und
eigentliche Begriff ist in diesen und allen ähnlichen Beywörtern der Begriff
des Besitzes, des Daseyns; da denn, wenn der Plural des Hauptwortes verstanden
werden muß, sich auch der Begriff der Vielheit mit einschleicht. Ein steiniger
Acker, welcher viele Steine hat; ein gräthiger Fisch, welcher viele Gräthen
hat, ein gesprächiger Mann, welcher gern und viel spricht. Nach einer sehr
gewöhnlichen Figur bedeuten diese Wörter auch etwas, das in der Eigenschaft,
welche das Hauptwort ausdruckt, gegründet ist, und nach einer noch weitern
Figur auch wohl etwas, das derselben nur ähnlich ist. Ein andächtiger Mensch,
welcher Andacht besitzet; ein andächtiges Gebeth, welches in der Andacht
gegründet ist, aus derselben herfließet; eine andächtige Miene, welche Andacht
verrathen soll. Ein gütiger Mann, ein gütiges Versprechen. Zuweilen drängen
sich auch noch andere Begriffe mit ein. Wollüstige Bilder, welche zur Wollust
reitzen. Besonders, wenn die mit ig gebildeten Beywörter in manchen Fällen
einen mehr passiven Sinn annehmen. Einem gehässig seyn, thätig, ihn hassen,
aber ein gehässiger Mann, passive, der gehasset wird. So auch heilig, welches
eigentlich Heil, d. i. Gesundheit, Wohlfahrt, habend und gewährend, bedeutet,
aber auch im passiven Verstande für unverletzlich üblich ist, und andere mehr.
In einigen scheinet es bloß ein Seyn, einen Zustand zu bedeuten, vorräthig,
verlustig, künftig, von Vorrath, Verlust, Kunst, welche Bedeutung dieses ig
vornehmlich auch in den folgenden Fällen hat. Sehr häufig werden in den
Zusammensetzungen vermittelst dieser Sylbe auch von solchen Hauptwörtern
Beywörter gebildet, welche dasselbe allein nicht gern annehmen. Dergleichen
sind Kopf, Hand, Fuß, Bein, Stiel, Seite, Spalte, Form, Herz, Mahl, Tag, Auge,
Zunge und hundert andere. Dickköpfig, großköpfig, dreyhändig, vierfüßig,
dreybeinig, kleinstielig, dreyspaltig, unförmig, barmherzig, großherzig,
dreymahlig, dreytägig, vieläugig, zweyzüngig u. s. f. einen dicken Kopf, einen
großen Kopf, drey Hände, vier Füße u. s. f. habend. So auch die auf -faltig,
-leibig, -blütig, -haltig, -deutig u. s. f. 2. Beywörter, deren Anzahl aber in
Vergleichung mit dem vorigen Falle nur geringe ist. Dergleichen sind völlig,
niedrig, einig, fernig, und vielleicht noch andere mehr, von voll, nieder, ein
und fern. Im Oberdeutschen, wo man die langen Wörter so gern den kürzern
vorziehet, hänget man das ig sehr vielen Beywörtern ohne Noth an, indem ihre
Bedeutung dadurch auf keine Weise verändert wird; z. B. gestrengig für
gestrenge, heiserig für heiser u. s. f. Die Ableitungssylbe scheinet hier bloß
ein Seyn, einen Zustand zu bezeichnen. Von ähnlicher Art scheinet es da zu
seyn, wenn es auch den possessiven Fürwörtern mein, sein, ihr, unser, euer,
ihr, Abstracta bildet, welche aber die Gestalt der Beywörter verlieren, zu
Hauptwörtern werden, und daher auch den bestimmten Artikel annehmen; der
Deinige, dein seyend, die Meinige, das Unserige u. s. f. 3. Zeitwörter, und
zwar, 1) deren Infinitiv, mit Wegwerfung des en. Beliebig, erbiethig, stutzig,
anheischig, beißig, gehörig, genügig, vorläufig, willfährig u. s. f. welche
theils die Bedeutung der Mittelwörter auf -end haben, irrig für irrend,
Gebiethiger für Gebiethender, stinkig für stinkend, beliebig für beliebend,
genügig für genügend; theils eine Fertigkeit, oder auch nur einen Zustand
bedeuten, wie abwendig, stößig, gern stoßend, beißig, Fertigkeit im Beißen
besitzend; theils eine passive Bedeutung annehmen, gelehrig, der sich leicht
lehren lässet, faserig, was sich leicht fasern, blätterig, was sich leicht
blättern lässet. So auch schieferig, zweydeutig u. a. m. 2) Das Imperfectum, in
den vorigen Bedeutungen. Haus- [
1353-1354] sässig, wofür
auch haussitzend gefunden wird, beyständig, beystehend, inständig, vollständig,
erböthig für erbiethig. 4. Partikeln, besonders Nebenwörter, um vermittelst
dieser Sylbe Beywörter aus denselben zu bilden. Dergleichen sind dasig und
hiesig, von dar und hier, mit Verwandelung des r in ein s, bisherig, damahlig,
vormahlig, ehemahlig, nachmahlig, nochmahlig, oftmahlig, nunmehrig, heutig,
gestrig, nichtig, vorig, widrig, heurig, baldig, obig, dortig, jetzig, von
bisher, damahls, vormahls, ehemahls, nachmahls, nochmahls, oftmahls, nunmehr,
heute, gestern, nicht, vor, wider, heuer, bald, oben, dort und jetzt, anderer
nur in den gemeinen Mundarten, besonders Oberdeutschlandes, üblicher zu
geschweigen. Da diese aus Nebenwörtern gebildet worden, so sind sie auch in der
Adverbial-Form nicht üblich, so wie sie auch der Natur der Sache nach keiner
Comparation fähig sind.
S. ein Mehreres von dieser Art der Bildung mein Magazin für
die Deutsche Sprache, Th. 1, St. 3, S. 78 f. Anm. 1. Alle diese Beywörter
leiden, wo der Verstand es nicht verhindert, die Comparation. Von den meisten
können auch vermittelst der Sylbe keit, Abstracta gebildet werden, die
Fertigkeit, den Besitz, die Eigenschaft auszudrücken. Die Gütigkeit,
Anmuthigkeit, Freudigkeit, Lustigkeit, Willigkeit, Wichtigkeit, Wenigkeit,
Seligkeit, Ewigkeit, Bündigkeit, Flüchtigkeit, Mäßigkeit, Mündigkeit,
Dürftigkeit, Thätigkeit, Unfläthigkeit, Heiligkeit, Barmherzigkeit,
Vollblütigkeit, Niedrigkeit, Einigkeit, Ehrerbiethigkeit, Willfährigkeit,
Gelehrigkeit u. s. f. Wenn aber das einfache Hauptwort diese Bedeutung schon
leidet, sollte es auch nur vermittelst einer Figur seyn, so ziehet man es im
Hochdeutschen dem zusammen gesetztern lieber vor, es müßten denn die Umstände
eine strenge philosophische Bestimmung nothwendig machen. So sagt man lieber
Muth, Andacht, Allmacht, Hitze, Kitzel, Eifer, Spitze, Schatten, Adel,
Unschuld, Zorn, Gunst, Gnade u. s. f. als Andächtigkeit, Allmächtigkeit,
Muthigkeit, Hitzigkeit, Kitzeligkeit, Eiferigkeit, Spitzigkeit u. s. f. Bey
andern ist bloß der unterlassene Gebrauch Schuld, daß ihre Abstracta auf keit
nicht üblich sind, welches besonders von solchen gilt, welche eine körperliche
Eigenschaft bezeichnen. So sagt man lieber die bergige, gräthige, schmutzige,
aderige, buckelige, dornige Beschaffenheit, als die Bergigkeit, Gräthigkeit,
Schmutzigkeit u. s. f. ob man es gleich einem Philosophen nicht verdenken
würde, wenn er im Falle der Noth Haarigkeit, Runzeligkeit u. s. f. wagte.
S. -Keit. Anm. 2. Viele Beywörter, welche dieses ig
nicht ursprünglich haben, nehmen es an, wenn Hauptwörter auf keit daraus
gebildet werden sollen, besonders solche, welche einen weichen End-Consonanten
haben; Blödigkeit von blöde, Geschwindigkeit von geschwinde, Süßigkeit von süß,
Sprödigkeit von spröde. Besonders die auf los, Gottlosigkeit, Herrenlosigkeit
u. s. f. Doch thun solches auch andere nach, wo die Zusammenkunft unangenehmer
Mitlauter einen Mißklang verursachen würde. Fäuligkeit, Opitz, von faul,
Härtigkeit von hart, Gerechtigkeit von gerecht, Festigkeit von fest, Reinigkeit
von rein, wohin auch alle Beywörter auf -haft gehören. Wahrhaftigkeit,
Spaßhaftigkeit u. s. f.
S. -Keit, ein Mehrers aber mein Magazin an dem oben
angeführten Orte. Anm. 3. Die Oberdeutsche Mundart, welche die Wörter nie zu
lang bekommen kann, hängt den Beywörtern auf -ig in der Adverbial-Form noch
gern ein müßiges -lich an. Gnädiglich, fleißiglich, brünstiglich, seliglich u.
s. f. welche man aber im Hochdeutschen billig veralten lassen, so häufig sie
auch noch in Luthers Deutschen Bibel vorkommen. [
1355-1356] Anm. 4. Diese alte Ableitungssylbe lautet bey dem Ulphilas eig, ags,
im Angels. ig, in den nördlichen Sprachen ugr. Es ist mehr als wahrscheinlich,
daß sie von dem alten Zeitworte aigan, haben, im Angels. agan, im Isländ. eiga,
im Griech. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , abstammet,
und eigentlich das Mittelwort von demselben ist. (
S. Eigen,) Duruftigot stehet bey dem Kero für dürftig.
Die gemeinen so wohl Ober- als Niederdeutschen Mundarten gebrauchen dafür nur
-ed oder et, langnäsed, kurzstielet, vierecket, welche Form auch in Luthers
Bibel nicht selten, und vermuthlich aus ig, und in den härtern Mundarten igt,
verderbt ist, wo es nicht vielmehr das Mittelwort der vergangenen Zeit ist,
oder doch nach demselben gebildet worden; langstielet für lang gestielet,
großnaset für groß genaset. In den gemeinen Mundarten wird diese Sylbe häufig
mit einem angehängten t ausgesprochen. Sprenkligt, stinkigt, stößigt, beißigt,
eckigt, köpfigt, löcherigt, flacheligt, flammigt u. s. f. Manche Sprachlehrer,
welche sich darein nicht finden konnten, hielten das igt in diesen falschen
Sprecharten für die Sylbe icht, und legten daher derselben allerley Bedeutungen
bey, welche sie nie gehabt hat, und welche die Beywörter auf -ig und -icht
unaufhörlich mit einander verwirren. Wenn ig die einfache Bedeutung des Seyns
hat, wie in den Fällen, wo es Zeitwörtern und Partikeln angehänget wird, so
stammet es, Wachtern zu Folge, von dem alten augan, scheinen, gegenwärtig
werden oder seyn, her. Allein, da sich dieses schwerlich wahrscheinlich machen
lässet, so siehet man diese Bedeutung füglicher als eine Figur von der
Bedeutung des Habens, Besitzens an. [
1355-1356]