Vernehmen
, [
1099-1100] verb. irreg. act. (
S. Nehmen.) 1. Ein Ding, oder dessen Gegenwart, durch
die Sinne empfinden. (1) Eigentlich, wo es, a. im weitern Verstande, von allen
Sinnen gebraucht wurde, für empfinden, jetzt aber in diesem weitern Verstande
veraltet ist. Die Jäger sagen nur noch, das Thier vernimmt den Jäger, wenn es
dessen Anwesenheit empfindet, es geschehe durch welchen Sinne es wolle. b. In
engerer und gewöhnlicherer Bedeutung von dem Sinne des Gehöres, für hören. 1.
Im eigentlichsten Verstande, den Schall, Laut empfinden. Ein Tauber vernimmt
auch den stärksten Schall nicht. Ich habe es nicht vernommen, gehöret. Wo doch
hören oder empfinden üblicher ist.
S. Vernehmlich. 2. In engerer und figürlicher Bedeutung.
aa. Mit Bewußtseyn, Gegenwart des Geistes anhören. Vernimm mein Schreyen, Ps.
5, 3. Mein Gebeth, Ps. 17, 1. Meine Stimme, Ps. 141, 1. Mein Volk vernimmts
nicht, Es. 1, 3. Eine größten Theils veraltete Bedeutung. bb. Hören und
unterscheiden, verstehen. Jemandes Stimme vernehmen, sie nicht allein hören,
sondern auch unterscheiden, wem sie zugehöret. Keiner vernahm des andern
Sprache, 1 Mos. 11, 7; verstand sie. Auch diese Bedeutung ist veraltet. (
S. Vernehmlich.) cc. Durch das Gerücht, durch die Rede
anderer erfahren; am häufigsten im Oberdeutschen. Ich habe nichts davon
vernommen, gehöret. Dem Vernehmen nach. dd. Sich vernehmen lassen, wird noch
hin und wieder gebraucht, für sagen, äußern, sich verlauten lassen. Er ließ
sich vernehmen, er wolle uns besuchen. Dahin gehört auch die besonders in den
Kanzelleyen übliche R. A. jemanden zu vernehmen geben, ihm eröffnen, sagen,
sich gegen ihn äußern; im Oberdeutschen auch entnehmen. ee. Jemanden vernehmen,
ihn verhören, besonders, so fern es gerichtlich geschiehet. Ich merke wohl, ich
muß dich artikelweise vernehmen, Schleg. Jemanden über etwas vernehmen. Der
Verhaftete ist noch nicht vernommen worden. Dieß ist zugleich die einzige
Bedeutung, in welcher das Hauptwort die Vernehmung üblich ist. ff. * Einsehen,
merken, erkennen, verstehen u. s. f. lauter ehedem sehr übliche, jetzt aber
veraltete Bedeutungen. Noah vernahm, daß das Wasser gefallen war. 1 Mos. 8, 11;
er merkte, schloß. Die Wunder Gottes vernehmen, Hiob 37, 14. Jesus vernahm ihre
Gedanken, Matth. 12, 25. Ein Geheimniß vernehmen, Matth. 13, 11. Nichts vom
Geiste Gottes vernehmen, 1 Cor. 2, 14. Und so in andern Stellen mehr.
S. Vernunft, welches noch von dieser Bedeutung übrig
ist. 2. Sich mit jemanden vernehmen, fast so, wie sich mit ihm verstehen, so
wohl mit ihm rathschlagen, als auch mit ihm einig werden; eine im Hochdeutschen
veraltete Bedeutung, in welcher indessen noch das folgende Hauptwort gebraucht
wird. Anm. Schon bey dem Ottfried in der ersten Hauptbedeutung ferneman, im
Schwed. förnema. Notker gebraucht dafür das einfache neiman, verstehen, wovon
im Nieders. noch niemhaftig, verständig, klug, witzig ist. Beyde sind nach dem
Muster der Lat. capere und percipere gebildet, so wie alle Wörter, welche
Verrichtungen und Fähigkeiten der Seele bedeuten, Figuren kör- perlicher
Handlungen sind, und seyn müssen. Ottfried gebraucht nach einer ähnlichen Figur
dafür auch fifahen. [
1099-1100]