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Adelung - Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

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Die Vernunft

, [1101-1102] plur. car. von dem Zeitworte vernehmen. 1. In eigentlichem Verstande, die Handlung, da man etwas vernimmt, es mit Bewußtseyn, Unterscheidung und Anwendung empfindet, und das Vermögen der Seele auf diese Art zu empfinden. In diesem weitern Verstande, in welchem das Wort noch hin und wieder im gemeinen Leben vorkommt, da man denn auch den Thieren Vernunft zuzuschreiben pflegt, ist es in der bestimmten Büchersprache veraltet, wo man es, 2. nur noch in engerm Verstande gebraucht, und zwar auf gedoppelte Art. (1) Subjective, die freye, von dem Körper nicht abhängige Vorstellungskraft der Sele, zum Unterschiede von der sinnlichen Erkenntnißkraft; oder nach andern, das Vermögen, den Zusammenhang mehrerer Dinge einzusehen, zu urtheilen und zu schließen, welches doch nur ein höherer Grad, oder eine nähere Anwendung der Vernunft ist. Die Vernunft ist das innere Unterscheidungsmerkmahl des Menschen von den Thieren, so wie es die Sprache von außen ist. Verstand ist das Vermögen zu deutlichen Vorstellungen oder allgemeiner Erkenntniß, von welchem die Vernunft nur ein höherer Grad ist, ob gleich beyde im gemeinen Leben häufig mit einander verwechselt werden. Die gesunde Vernunft, das Vermögen richtig zu schließen. Vernunft beweisen, an den Tag legen, Einsicht in den Zusammenhang der Dinge. Der Vernunft gemäß, was mit erkannten Wahrheiten überein stimmet, der Vernunft zuwider, was damit streitet, über die Vernunft, was aus den Wahrheiten der natürlichen Erkenntniß nicht begriffen oder erwiesen werden kann. Seine Vernunft gebrauchen, anwenden. Der Charakter der ehelichen Freundschaft ist von der Natur so weise und sorgfältig bezeichnet, daß ihn die Vernunft leicht wahrnehmen und ausbilden kann, Gell. Der Vernunft folgen. (2) Objective, der ganze Zusammenhang der natürlich bekannten Wahrheiten, in welchem Verstande es doch seltener vorkommt, und alsdann unter andern auch der Offenbarung entgegen gesetzt wird. Anm. Unvernunft ist nicht bloß ein Gegensatz der Vernunft, sondern bezeichnet den unterlassenen pflichtmäßigen Gebrauch, oder die in hohem Grade irrige Anwendung der Vernunft. Dieses alte Wort lautet schon bey dem Kero Fernuft, bey dem Ottfr. und Notker mit einem andern Ableitungslaute Fernumest, im Schwed. Förnuft, und noch in einigen Niederdeutschen Gegenden Vernuft. Nunft ist von nehmen, wie Kunst von kommen, Kunst von können u. s. f. Man hatte dieses Hauptwort ehedem in noch mehrern Zusammensetzungen, wie Siegnunft, der Sieg, Nothnunft, Gewaltthätigkeit, Nothzüchtigung, Hugnunft, das Gedächtniß, welche aber veraltet sind. Vernunft ist nach perceptio gebildet, wie vernehmen nach percipere.
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