Verfangen
, [
1219-1220] verb. irreg. (
S. Fangen,) welches auf doppelte Art gebraucht wird. I.
Als ein Activum oder vielmehr als ein Reciprocum, wo es nach Maßgebung so wohl
der Partikel, als auch des einfachen Zeitwortes, in verschiedenem Verstande
üblich ist. 1. * Verpflichten, in Pflicht nehmen, und sich verfangen, sich
verpflichten, eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, welche indessen noch
in den Oberdeutschen Urkunden vorkommt. 2. Sich verfangen, sich fangen lassen,
sich in etwas, als in einem gelegten Netze verwickeln, eine im Hochdeutschen
gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher das noch mehr veraltete verfahren
noch einige Mahl in der Deutschen Bibel vorkommt. Daß du dich nicht verfähest
in dem Silber oder Gold der Götzen, 5 Mos. 7, 25. Verfahe dich nicht an ihren
Augenliedern, Sprichw. 7, 25. In figürlichem Verstande wird verfangen in den
Rechten zuweilen für befangen gebraucht; in Streit verfangene Güter. In einem
etwas andern Verstande sind in einigen Gegenden verfangene Güter, Güter welche
mit einer Art von Fidel-Coinmiß belegt sind, mit welchen der Eigenthümer nicht
nach Belieben schalten kann. (
S. Verfangenschaft.) 3. In nahe verwandter Bedeutung
sagt man der Wind habe sich verfangen, wenn er in einem Raume gleichsam
eingesperret oder gefangen ist, so daß er keinen freyen Ausgang hat. Der Wind
verfängt sich in dem Mantel, Subjective verfängt man sich, wenn man in heftiger
Bewegung allzu viele Luft einschlucket, so daß dadurch das Athemhohlen
erschweret, und oft der Leib aufgetrieben wird, wo sich eigentlich die Luft in
der Lunge verfängt. Die Windhunde verfangen sich, wenn sie zu heftig gegen den
Wind laufen, welches auch von den Pferden und Menschen gilt. Bey den Pferden
belegen ungeschickte Pferdeärzte mehrere ganz verschiedene Krankheiten mit dem
Nahmen des Verfangens, vermuthlich, weil sie sich von außen durch einerley
Merkmahle verrathen; z. B. Krankheiten, die von einem Trunke in der Hitze, von
unterdrückter Ausdünstung u. s. f. herrühren, (
S. Rehe), welches gleichfalls ein Nahme dieser Krankheit
ist. Übrigens ist für verfangen in dieser Bedeutung auch verschlagen üblich. 4.
Oft wird verfangen auch für verbeißen gebraucht, zu heftig zubeißen oder
fangen, so daß man den Mund nicht wieder öffnen kann, auf welche Art sich die
Hunde zu verfangen pflegen. 5. Sich an etwas verfangen, vergreifen, eine im
Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Sich an Gottes Geboth verfangen, in einer
Schrift von 1540. 6. Im Bergbaue sagt man, das Erz verfange sich, wenn es seine
Farbe an der Luft verliert und blaß wird, wie das rothgüldene Erz thut.
Vielleicht ist es hier eine Figur der vorigen dritten Bedeutung. 7. * Sich
verfangen, für unterfangen, ein im Hochdeutschen ungewöhnlicher Gebrauch. II.
Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben, als ein Mittel, die verlangte Wirkung
hervor bringen. Es verfängt nichts mehr bey ihm, es hilft nichts mehr, nichts
thut einige Wirkung mehr. Es wollen weder Ermahnungen noch Züchtigungen etwas
bey ihm verfangen. Die Arzeney will nichts mehr verfangen.
Wenn fast kein Mittel mehr in solcher Noth verfing, Gryph.
Diese Bedeutung ist alt. Das mir herunder al min kumber und
min dienest niht verfaht, Ulrich von Gnotenburg. Ehedem gebrauchte man es auch
in weiterer Bedeutung für helfen, nützlich seyn, und zwar nach dem Muster des
Latein. juvare, mit der vierten Endung der Person. Was ist sie iro Wistuom
verfangen? Notker, was hat ihnen ihre Weisheit geholfen?
Swas ich der guoten ie gesang, Das hat mih noh vervangen niht,
Graf Kraft von Toggenburg. Sin spehe rede in sol luizel wider mich vervahen,
Reinmar der Alte.
Es scheint, daß es in dieser Bedeutung nach dem Latein.
proficere gebildet worden, so daß fangen und sahen hier in einer seiner
weitesten Bedeutungen stehet. Indessen ist verschlagen in ähnlichem Verstande
üblich. So auch das Verfangen, in den meisten der vorigen Bedeutungen. Anm. Es
scheint, daß es ehedem auch für anrechnen gebraucht worden
Nieman im es vervienge Zeiner grossen missetat Ob er danne
gienge, Reimar der Alte.
Auch kommt sich verfahen für, sich verwundern, bey sich
anstehen, in ältern Schriften vor, anderer veralteten Bedeutungen zu
geschweigen. [
1221-1222]