Stechen
, [
315-316] verb. irreg. Präs. ich steche,
du stichst, er sticht; Conj. ich steche, du stechest, er stecht. Imperf. ich
stach; Conjunct. ich stäche. Mittelw. gestochen. Imper. stich. Es ist in
doppelter Gattung üblich, wo es zugleich zwey Hauptbedeutungen hat welche sich
auf zwey der Sache nach sehr verschiedene, dem Laute nach aber ähnliche
Onomatopöien gründen. I. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte seyn, den Ort
schnell verändern; in welcher Bedeutung es doch nur in einigen Fällen üblich
ist. In dem Bergbaue ist jemanden nachstechen, so viel als ihm nachfahren, d.
i. hinter ihm her in die Grube steigen. Er kommt angestochen, eine im gemeinen
Leben sehr übliche Bedeutung, eigentlich, er kommt mit weiten Schritten oder
langen Beinen einher gegangen, welche Art des Gehens man im Niedersächsischen
durch staken ausdruckt. Hervor stechen, vor andern Dingen merklich empfunden
werden, mit dem Hülfsworte haben. Der Begriff sticht merklich hervor. (
S. auch Abstechen.) Am üblichsten ist es in der
Schiffersprache, wo ein Schiff in die See sticht, wenn es aus dem Hafen segelt.
Wenn es hier nicht noch ein Überbleibsel der ehemahligen unvollkommenen Art der
Schifffahrt ist, da man sich im Fahren allein mit langen Stangen fortschieben
mußte, so scheinet es hier so, wie in den vorigen Fällen, ein Verwandter von
ziehen, Nieders. tehen oder auch von steigen zu seyn. Das erste würde durch den
Zischlaut und den verstärkten Hauch in stechen in ein Intensivum verwandelt
seyn. II. Als ein Activum, wo es von spitzigen Dingen gebraucht wird, wenn sie
in einen Körper dringen und denselben verwunden. 2. Eigentlich. Das Subject,
welches dieses thut, es sey nun allein oder vermittelst eines Werkzeuges,
stehet wie gewöhnlich in der ersten Endung. Die Biene, die Schlange sticht. Die
Nadel sticht. Ein spitziges Messer sticht. Das Werkzeug bekommt als Werkzeug,
das Vorwort mit. Mit der Nadel, mit dem Dolche, mit dem Stachel stechen. Die
Person oder Sache, welche gestochen wird, stehet in der vierten Endung.
Jemanden todt stechen. Die Nadel hat mich gestochen. Stax stach ihn mit dem
Dolche. Die Bienen stachen uns nicht. Der Ort, die Stelle, oder der Theil an
diesem Dinge, bekommt das Vorwort in, zuweilen auch ein anderes, so daß der
Accusativ des Dinges bleibt. Du wirst ihn (nicht ihm) in die Fersen stechen. 1
Mos. 3, 15. Und stach ihn in den Wanst. 2 Sam. 3, 27. Die Sonne stach dem (den)
Jona auf den Kopf, Jon. 4, 8. Sich in den Arm stechen. Nur dann muß die dritte
Endung der Person stehen, wenn das Werkzeug oder auch die Wunde, welche durch
Stechen hervor gebracht wird, in der vierten Endung stehet. Einem den Dolch in
das Herz stechen. Einem ein Loch stechen. Einem den Geck stechen, figürlich im
gemeinen Leben, (
S. Geck.) Ihr sollt euch kein Mahl stechen, 5 Mos. 14,
1. Nach jemanden stechen. Figürliche, doch nur im gemeinen Leben übliche Arten
des Ausdruckes sind: Das ist weder gehauen noch gestochen, hat von keiner Sache
die gehörige Eigenschaft an sich. Der Kitzel sticht ihn, er ist muthwillig,
übermüthig. Bey einem Manne, den noch der Kitzel wie ihn sticht, Weiße; der
noch verliebt ist. Der Hafer sticht ihn, die guten Tage machen ihn übermüthig,
muthwillig, eine von den Pferden entlehnte Redensart.
So reißt der Mensch auch aus, wenn ihn der Hafer sticht,
Opitz.
Sylben-Stechen, sich zu ängstlich und pedantisch mit
Aufsuchung des Wortverstandes abgeben; eine vermuthlich aus den Leseschulen
entlehnte Redensart, wo die Kinder die Sylben mit spitzigen Griffeln zeigen.
Dann lachen sie mit Recht, wenn einer Sylben sticht, Kästner.
2. Figürlich. (1) Verschiedene Arten der Handlungen oder
Bearbeitungen, welche mit einem Stechen verbunden sind, oder wobey das Stechen
den vornehmsten Theil ausmacht, werden stechen genannt. In Kupfer stechen;
daher der Kupferstecher, Kupferstich. Ein Bild in Kupfer stechen. Ein Petschaft
stechen. Ein Wapen in Stein, in Stahl stechen, so fern es von dem
Petschaftmachern geschiehet. Jemanden den Staar stechen, den Staar im Auge
durch eine vermittelst eines Stiches gemachte Öffnung heraus ziehen. Ein
Schwein, ein Kalb stechen, bey den Fleischern, es vermittelst eines Stiches
tödten. Im Hüttenbaue wird gestochen, wenn man das Auge in dem Schmelzofen mit
dem Stecheisen öffnet, damit das geschmolzene Metall von dem Herde ablaufe.
Auch wird es in manchen Fällen für graben gebraucht, besonders in den
Zusammensetzungen, abstechen, ausstechen u. s. f. ingleichen für schaufeln, das
Getreide wegstechen, umstechen; auch für nähen, in bestechen, und von andern
ähnlichen Handlungen mehr. (2) Besonders war stechen ehedem für
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geschahe, da denn auch noch jetzt ähnliche theils ritterliche, theils bloß zur
Lust angestellte bürgerliche Übungen ein Stechen genannt werden. Nach einem
Ringe stechen eine Art ritterlicher Übungen. Das Gesellenstechen,
Fischerstechen; u. s. f. Von diesem Stechen, so fern es ein Gefecht bezeichnet,
stammen ohne Zweifel noch folgende figürliche Bedeutungen her. (a) In den
Kartenspielen sticht eine Karte die ander, wenn sie mehr ist, als diese, sie
überwindet, und daher die gestochene von dem, der die höhere Karte hatte,
eingenommen wird. Das Daus sticht den König, der König die Dame u. s. f. (Siehe
auch Abstechen.) (b) Mit jemanden stechen, eine besonders in dem Würfelspiele
übliche Redensart, da zwey, welche eine gleiche Anzahl Augen haben, noch Ein
Mahl werfen, welches im Niedersächsischen kämpen, kämpfen, genannt wird. (c)
Nach etwas stechen, d. i. streben, ein im Hochdeutschen unbekannter Ausdruck.
Die Ruhm- und Ehresucht, das Gasthaus der Gebrechen, Da Rom
und Griechenland so geitzig darnach stechen, Opitz.
(3) Einen Schmerz verursachen, welcher dem von stechenden
Werkzeugen gleichet. (a) Eigentlich. Die Sonne sticht mich, Daß dich des Tages
die Sonne nicht steche, Ps. 121, 8. Stechen in der Seite empfinden. Das
Seitenstechen. Die Milz sticht uns, nach einem starken Laufen. Es sticht mich
in meinen Nieren, Ps. 73, 21. (b) Figürlich. Das sticht ihn in die Nase, in die
Augen, im gemeinen Leben, das reitzt sein Verlangen, seine Begierde.
Wir suchen nicht den Heldenruhm, der dir (dich) ins Auge
sticht, Weiße. Das kleine Lieschen sticht, Dem (den) Schösser ins Gesicht, eben
ders.
(4) Im gemeinen Leben ist stechen, häufig so viel als
tauschen, besonders in den Zusammensetzungen verstechen und umstechen,
S. diese Wörter. (5) Für bestechen, eine im
Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Viele lassen sich mit Geld stechen, Sir. 8,
3. So auch das Stechen. Anm. Schon bey dem Ottfried stechen, im Tatian stehan,
im Nieders. steken, im Schwed. stika, im Engl. to stich, und mit dem Nasenlaute
sting, im Lat. stigare, welches noch in instigare üblich ist, im Griech.
hier nichtlateinischer Text, siehe Image. Es vereiniget den
Begriff der Spitze mit dem Begriff des Stoßes, und ist in Rücksicht des ersten,
mit Deichsel, Zacke, Nieders. Tacke, und andern mehr verwandt. In den
Schwabenspiegel kommt es noch für stoßen vor: stichet ain ochs ainen man ze
tode. Stechen und Stecken sind genau verwandt, und das Nieders. stecken und
Schwed. sticka haben beyder Bedeutungen; allem im Hochdeutschen sind die
Gränzen beyder Zeitwörter genau bezeichnet, ob sie gleich in der Anwendung von
manchen häufig verwechselt werden.
S. auch Stachel, Stich und Stochern.
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