Die Rüge
, [
1197-1198] plur. die -n, ein altes, im
Hochdeutschen größten Theils veraltetes Wort, welches so wie alle folgende
Ableitungen und Zusammensetzungen nur noch hin und wieder in den Gerichten und
in der gerichtlichen Sprechart vorkommt. Es bedeutete, 1) die Beschuldigung
eines Verbrechens, so wohl eine jede Beschuldigung im gesellschaftlichen Leben,
als auch eine Anklage, die Anzeige der von einem andern begangenen Übertretung
des Gesetzes an den Richter, in welchem letztern Verstande es durch das
ausländische Denunciation zwar sehr, aber doch nicht ganz verdränget worden.
Die Rüge thun, die Denunciation. Die Gewissensrüge kommt von der Anklage, von
der Beschuldigung des eigenen Gewissens noch zuweilen vor. 2) Eine Übertretung
des Gesetzes, es sey nun ein eigentliches Verbrechen, oder eine geringere
Vergehung, wo es noch hin und wieder in den Gerichten, besonders in den
Untergerichten auf dem Lande und in den Provinzen üblich ist. Feldrügen,
Verbrechen wider das Feld- und Gränzordnung. Mord, Diebstahl, Brand, und
Nothzucht wurden ehedem die vier hohen Rügen oder Hauptrügen genannt. In Meißen
auf dem Lande ist die versäumte pflichtmäßige Begleitung einer Leiche unter dem
Nahmen der Rüge bekannt, welche gemeiniglich mit 1 Gr. 4 Pf. Buße belegt wird.
3) Die gerichtliche Untersuchung eines Verbrechens, die Inquisition; auch nur
noch in einigen Gegenden. Eine Rüge anstellen. Die Rüge erkennen. 4) Die
Ahndung eines Vergehens, es sey nun eine Ahndung im gesellschaftlichen Leben,
oder eine gerichtliche Bestrafung; wo es nur noch in dieser letztern Bedeutung
in einigen Gegenden üblich ist. Besonders wird das Niedersächsische mit dem
Blaselaute verstärkte Wroge noch sehr häufig von einer Geldstrafe auf solche
Vergehen gebraucht, welche unter dem Nahmen der Rügen oder Wrogen bekannt sind.
Bey dem Notker ist Vruoge Rache, und unser Rache selbst scheint ein Intensivum
davon zu seyn. 5) Ein Gericht, ein zur Ahndung und Bestrafung der Übertretungen
des Gesetzes niedergesetztes Collegium; wo es noch an vielen Orten von gewissen
Untergerichten üblich ist, welche allerley Vergehungen wider die Polizey und
gute Ordnung ahnden und bestrafen, und wo es im Oberdeutschen auch die Rug
lautet. (
S. Rügegericht.) 6) Eine Verordnung zur Aufrechthaltung
der äußern Ordnung und Polizey, ein Polizey-Gesetz; gleichfalls nur in einigen
Gegenden. Dorfrügen, Dorfsordnungen. Dahin gehöret denn vermuthlich auch die
noch im Niedersächsischen gangbare Bedeutung, wo Wroge das Eichen oder die
Berichtigung des Maßes und Gewichtes ist, da es denn auch wohl das
obrigkeitliche Zeichen bedeutet, womit die Maße und Gewichte bezeichnet werden.
Anm. Bey den ältern Oberdeutschen Schriftstellern Rouge, im Niedersächsischen
mit dem in mehrern Fällen üblichen Blaselaut Wroge. (
S. Rügen.) Auch im Pohlnischen ist Rug die Inquisition.
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1197-1198]