2. Das Gericht
2. Das Gericht,
[
583-584] des -es, plur. die -e, von dem
Zeitworte richten, das sittliche Verhalten anderer beurtheilen. 1. Die Handlung
des Richtens, die wirkliche Sprechung es Rechtes oder Beurtheilung des
sittlichen Verhaltens anderer nach dem Gesetze, und deren Vollziehung, so fern
dasselbe von öffent- lichen dazu verordneten Personen geschiehet; ohne Plural.
Gericht halten. Über jemanden Gericht halten. Ein scharfes Gericht über
jemanden ergehen lassen. Die biblischen Ausdrücke, Gericht üben, hören,
handhaben, zu Gericht sitzen u. s. f. sind im Hochdeutschen veraltet. Das
jüngste Gericht, das allgemeine Weltgericht, oder das Gericht schlechthin, in
der Theologie, die Beurtheilung des sittlichen Verhaltens der Menschen nach der
Auferstehung und Entscheidung ihres künftigen Zustandes; bey dem Notker das
iungeste Ding. 2. Die Befugniß, dieses Recht zu sprechen, oder das sittliche
Verhalten anderer zu beurtheilen und das Urtheil zu vollziehen; ohne Plural. 1)
Eigentlich, die Gerichtbarkeit, Jurisdiction, und die damit verknüpften
Nutzungen und Beschwerden. Ihnen ward gegeben das Gericht, Offenb. 20, 4.
Jemanden mit dem Gerichte belehnen. Das Gericht verkaufen. In welcher Bedeutung
es auch oft im Plural ohne Singular gebraucht wird. Bey einem Gute die Gerichte
mit in Anschlag bringen. Die Gerichte verpachten, an sich bringen. 2) In den
mittlern Zeiten drückte dieses Wort in weiterer Bedeutung oft die ganze
oberherrliche Gewalt aus, von welcher die Sprechung des Rechtes eine der
vornehmsten Befugnisse ist; daher in dem Sachsenspiegel und andern Schriften
dieser Zeit Richter oft einen Landesherren bedeutet. 3. * Das Recht, die
Gerechtigkeit, besonders so fern sie eine Pflicht Höherer gegen ihre
Unterthanen ist, die Fertigkeit sie zu erfüllen und deren wirkliche Erfüllung;
eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Er liebet Gerechtigkeit und Gericht;
Ps. 33, 5. Gott gib dein Gericht dem Könige, Ps. 72, 1. Gerechtigkeit und
Gericht ist deines Stuhls Festung, Ps. 89, 15. Es wird mit Gericht strafen die
Elenden im Lande, Es. 11, 4. Er hat Zion voll Gerichts und Gerechtigkeit
gemacht, Kap. 53, 5; und so in andern Stellen mehr. Der Gegensatz ist das
gleichfalls veraltete Ungericht, Unrecht, Gewaltthätigkeit, Verbrechen, welches
in den mittlern Zeiten mehrmahls vorkommt. 4. Die auf eine böse Handlung im
Gericht erkannte Strafe, wo dieses Wort nur im theologischen Verstande von den
Strafen Gottes gebraucht wird. So werden alle Arten der Verhärtungen der
Menschen geistliche Gerichte Gottes, das Gericht der Verstockung u. s. f.
genannt, ungeachtet sie oft natürliche Folgen des vorher gehenden Zustandes
sind. Denn wahrhaftig und gerecht sind seine Gerichte, Offenb. 19, 2.
Schrecklich sind deine Gerichte, weil wir dein Gebot nicht gehalten haben, Tab.
3, 5,. Welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket ihm selber das
Gericht, 1 Cor. 11, 29. Unerbittliche Gerichte drohen dir jenseit des Grabes.
Besonders, die göttliche Veranstaltung des nachfolgenden Übels der Sünde, in
welchem Verstande Landplagen und andere Übel göttliche Gerichte, oder
Strafgerichte Gottes genannt werden. 5. Die zur Sprechung des Rechtes und
Vollziehung des Urtheils verordneten Personen, deren Versammlung; zum
Unterschiede von den Facultäten, Schöppenstühlen und andern Rechtsstühlen,
welche zwar die Handlungen nach dem Gesetze beurtheilen, aber die Urtheile
nicht vollziehen. 1) Überhaupt, da es an einigen Orten auch das Gerichtsamt,
die Gerichtsbank, der Gerichtsstuhl, Gerichtshof, Gerichtskammer genannt wird.
Jemanden vor Gericht fordern, laden. Vor Gericht kommen, erscheinen. Vor
Gericht bringen. Im Gerichte sitzen. Jemanden vor Gericht verklagen. Das
Gericht hat ihn los gesprochen, verurtheilet u. s. f. Das Gericht sitzt heute
nicht. Daher das Hofgericht, Landgericht, Handelsgericht, Stadtgericht,
Kammergericht, Cri- [
585-586] minal-Gericht u. s. f. Im
gemeinen Leben wird es in dieser Bedeutung oft im Plural gebraucht, ohne
Singular. Ich will zu den Gerichten eilen und mich angeben. Die Gerichte haben
auf die Hülfe erkannt, haben die Hülfe vollstreckt. Der todte Körper wurde von
den Gerichten aufgehoben. Wo oft nur einige von einem Gerichte dazu abgeordnete
Personen verstanden werden. 2) In engerer Bedeutung heißt bey dem Kammergericht
zu Wetzlar ein Gericht, eine aus dem Richter und den Anwalten beyder Parteyen
bestehende Versammlung; dagegen wenn einer dieser drey Theile fehlet, solches
kein Gericht genannt wird.
S. Gerichtlich. 6. Der Ort, 1) wo sich diese Personen
versammeln und das Recht sprechen. In das Gericht gehen. Die Sache wurde im
offenen, im verschlossenen Gerichte verhandelt. 2) Zuweilen auch der Ort, wo
die peinlichen Strafen vollzogen werden, wo besonders der Galgen oft das
Gericht oder das Hochgericht genannt zu werden pfleget. 7. Der Gerichtsbezirk,
der District, über welchen sich die Gewalt eines Gerichtes erstrecket, der
Gerichtssprengel, und in weiterer Bedeutung, besonders in den mittlern Zeiten,
ein jedes Gebiet; auf welche Art auch das mittlere Lat. Jurisdictio üblich war.
In diesem Verstande wird es oft als ein Plurale tantum gebraucht. Einen
Missethäter durch ein fremdes Gericht, oder durch fremde Gerichte führen. Aus
einem Gerichte, oder aus den Gerichten ziehen. Einen Verbrecher aus dem
Gerichte, oder aus den Gerichten verweisen. Anm. Bey dem Notker in der 5ten
Bedeutung Gerih, ungeachtet er einem andern Orte auch Vberteilidon dafür
gebraucht, im Nieders. Recht und Richt.
S. Richten. Ehedem wurden Ding, Bann, Thäding oder
Theiding und andere Wörter in diesem Verstande gebraucht. Kero gebraucht dafür
Suanu. [
585-586]