Gerecht
Gerecht,
[
579-580] -er, -este, adj. et adv.
welches das mit der Vorsylbe ge verlängerte Wort recht ist, und wie dieses
eigentlich gerade bedeutet, in welchem Verstande es auch noch zuweilen im
Forstwesen vorkommt, wo ein gerechter Baum, ein gerade gewachsener Baum ist,
zumahl, wenn er sich zugleich gerade spalten lässet;
S. Gerade Anm. Allein am häufigsten kommt es im
Hochdeutschen, doch in folgenden figürlichen Bedeutungen vor. 1. Dem Objecte,
dem Gegenstande gemäß. 1) Dem Maße nach, wofür auch recht üblich ist. Das Kleid
ist mit gerecht. Die Schuhe sind mir nicht gerecht. Einem ein Kleid gerecht
machen, in Baiern, es gerechten oder gerechteln. Der Stöpsel ist gerecht,
passet auf die Flasche. In aller Sättel gerecht seyn, figürlich, sich in alles
zu schicken wissen. 2) Den Einsichten, der Erfahrung nach; am häufigsten im
Jagdwesen, wo ein Jäger holzgerecht, forstgerecht, gewehrgerecht,
hirschgerecht, hundegerecht u. s. f. heißt, wenn er die gehörigen Kenntnisse
von allen diesen Gegenständen hat. 3) * Den nöthigen Umständen und Fähigkeiten
nach, für bereit; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Sich zur Reise
gerecht machen, im Theuerd. Im Hochdeutschen sagt man dafür sich zurecht
machen. 2. Der Neigung, dem Willen gemäß; doch vielleicht nur allein bey den
Jägern, wo die Fährte dem Hunde gerecht ist, wenn er sie begierig annimmt. Im
gemeinen Leben der Hochdeutschen ist dafür das einfache recht üblicher. 3. Der
Vollkommenheit gemäß. 1) Gerechte Waare, echte, im Gegensatze der unechten oder
falschen. 2) Im sittlichen und höchsten Verstande heißt Gott gerecht, so fern
sein Wille die vollkommenste Richtung hat; in welchem Verstande er auch heilig
genannt wird.
S. Gerechtigkeit. Der Herr ist gerecht, ich aber und
mein Volk sind Gottlose, 2 Mos. 9, 27. Auch verhältnißmäßig von Menschen, in
der Deutschen Bibel, die Möglichste sittliche Vollkommenheit habend. Willt du
denn ein gerecht Volk erwürgen? 1 Mos. 20, 4. Was gerecht ist, dem denket nach,
Phil 4, 8. Wie mag ein Mensch gerecht seyn vor Gott? Hiob 25, 4. Wo auch das
Hauptwort ein Gerechter von einem solchem sittlich vollkommenen Menschen
vorkommt.
S. die folgende 5te Bedeutung. 4. Dem Rechte, der
Befugnis gemäß; rechtmäßig. Gerechte Klage über etwas führen, wozu man Grund
und Recht hat. Meine Klagen sind gerecht. gerechte Ansprüche auf etwas haben.
Eine gerechte Sache haben. Ich fühle darüber den gerechtesten Verdruß. Eine
gerechte Belohnung. Neue Hindernisse setzen sich unsern gerechten Wünschen
entgegen, Gell. Die gerechten Gerichte Gottes. 5. Den Pflichten, den
Obliegenheiten gemäß. 1) Den Regeln der Kunst gemäß; doch in einigen einzelnen
Fällen, besonders in Zusammensetzungen.
S. Schulgerecht. Nach mehr und am häufigsten, 2) im
sittlichen Verstande, im Gegensatze dessen, was ungerecht ist; wo dieses Wort
wieder in einem verschiedenen Umfange der Bedeutung gebraucht wird. (a) In der
weitesten Bedeutung, so wohl objective, allen Obliegenheiten, zu welchen man
verpflichtet ist, gemäß, als subjective, die Fertigkeit besitzend, sein ganzes
Verhalten rechtmäßig einzurichten, oder alle seine Pflichten zu erfüllen.
Gerecht gegen Gott, gegen sich selbst seyn. In diesem Verstande wird es sehr
häufig in der Deutschen Bibel gebraucht, wo auch solche Personen, welche sich
der Beobachtung aller ihrer sittlichen Pflichten auf das möglichste
befleißigen, Gerechte genannt werden. (b) In einer etwas engern Bedeutung heißt
in der Deutschen Bibel und dem theologischen Lehrbegriffe, gerecht werden, in
dem göttlichen Gerichte für gerecht in der vorigen Bedeutung erkläret, d. i.
von der Schuld und Strafe der Sünde befreyet werden. Gerecht werden durch den
Glauben. Daher, ein Gerechter, der auf solche Art für gerecht erkläret worden.
S. Rechtfertigen. (c) In noch engerer Bedeutung, den
Pflichten gegen andere gemäß, mit Einschließung der Billigkeit, oder
unvollkommenen Pflichten; und subjective, die Fertigkeit besitzend, diese
Pflichten zu erfüllen. (b) In der engsten Bedeutung, dem strengen Rechte gegen
andere, den durch ein Gesetz ausdrücklich bestimmten Pflichten gemäß, und die
Fertigkeit besitzend, diesen Pflichten gemäß zu handeln. (1) Unter gleichen
Personen, da denn alles gerecht ist, wodurch einem jeden das Seien gelassen und
versichert wird. (2) Unter ungleichen Personen, wo besonders Höhere gerecht
heißen, wenn sie ihr Mißfallen an dem unrechtmäßigen und ihr
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581-582] Wohlgefallen an dem rechtmäßigen Verhalten den
ihnen unterworfenen Personen auf eine thätige Art, ohne alle Nebenabsichten an
den Tag legen. Ein gerechter Richter, ein gerechtes Urtheil. Im höchsten
Verstande ist auch Gott gerecht. Anm. Noch bey dem Ottfried heißen die
Gerechten Rehtono, aber schon Notker gebraucht greht für rectus.
S. Recht. [
581-582]