Die Ehre
, plur. die -n. In der weitesten Bedeutung, das vortheilhafte
Urtheil anderer von dem Guten, welches wir anuns haben, und die thätige
Erweisung dieses Urtheiles. Allein in dem gemeinen Sprachgebrauche findet
dieser Begriff oft nur unter verschiedenen Einschränkungen und mit
mancherley Nebenbegriffen Statt. Ehre bedeutet daselbst.1. Vorzug im
Äußern; ohne Plural. 1) Vorzug in Ansehung der Ordnung, welches die
erste und ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes zu seyn scheinet. Man
muß dem Frauenzimmer die Ehre lassen, d. i. voran zu gehen, eine Handlung
zuerst zu verrichten u. s. f. Ich werde nicht voran gehen, diese Ehre
gebühret ihnen. Ehre dem Ehre gebühret, im gemeinem Leben. Habe du
die Ehre vor mir, und stimme mir, 2 Mos. 8, 9. 2) Ein jeder Vorzug, so fern er
von andern thätig erkannt wird. Ich halte es für die größte
Ehre, in ihrer Gesellschaft zu seyn. Ich schätze es mir für eine
Ehre. Ich habe die Ehre, ihnen zu sagen u. s. f. Diese Ehre kommt ihm nicht zu.
Er macht mir Ehre. Ich hoffe Ehre damit einzulegen, d. i. zu erwerben,
S. Einlegen. Wenn ich sie in meinem Hause haben
dürfte, ich wollte Ehre an ihr erziehen, ich wollte sie so erziehen,
daß ich Ehre davon haben würde, Gell. Die Ehre Gottes, dessen
unendlicher Vorzug vor allen Geschöpfen. Gott die Ehre geben, dieses
Vorzug erkennen, und demselben gemäß handeln, Gottes Ordnung die
höchste Richtschnur seines Willens seyn lassen. Gebt unserm Gott allein
die Ehre, 5 Mos. 32, 5. Allein die Ausdrücke, der Gott der Ehren, der
König der Ehren, d. i. der Gott, der König, dem unendliche Ehre
gebühret, sind außer der biblischen Schreibart ungewöhnlich. 3)
Äußeres Ansehen. Gott gibt dem Menschen Ehre. Er lebt hier in
großer Ehre. Wieder zu Ehren kommen. Er hat ein Vermögen, wovon er
mit Ehren leben kann. Die Ausdrücke, zu Ehren setzen, zu Ehren machen,
Ehre, Ansehen ertheilen, sind biblisch und im Hochdeutschen
ungewöhnlich.2. Diesen Vorzug, dieses Ansehen verursachend. 1) Würde,
ein obrigkeitliches Amt, dessen Besitz Ehre und Ansehen gewähret, eine
Ehrenstelle; in welcher Bedeutung auch zuweilen der Plural gebraucht wird. Der
König hat ihn zu großen Ehren erhoben. Zu großen Ehren kommen.
Denk an den Tod, wenn Ruhm und Ehren, Wenn deine Schätze
sich vermehren, Opitz.
Doch diese Bedeutung fängt an im Hochdeutschen zu
veralten. 2) Hochachtung, Hochschätzung, und deren thätige Erweisung.
Eine Person, eine Sache in Ehren halten, im gemeinen Leben. Ich habe es ihm Zu
Ehren gethan, aus Achtung gegen ihn, und diese Achtung zu beweisen. Einem alle
Ehre anthun, einem viele Ehre erweisen. Einem göttliche Ehre erweisen.
Einem die letzte Ehre erweisen, ihn zu Grabe begleiten. Ich konnte es ihm Ehren
halber nicht abschlagen, ich mußte Ehren halber mit gehen, im gemeinem
Leben. Ihr Wort in Ehren, in der Höflichkeit des großen Haufens,
einen Widerspruch zu begleiten, unbeschadet der Achtung, die ich ihren Worten
schuldig bin. Besonders, 3) allgemeine Hochschätzung, welche auf dem
allgemeinen Zeugnisse anderer beruhet, daß wir vorzügliche Güte,
Eigenschaften und Geschicklichkeiten besitzen, da denn Ehre ein höhern
Gras des guten Nahmens ist. In großer Ehre stehen oder leben. Nach Ehre
trachten. Er hält auf Ehre, er schätzet die allgemeine Hochachtung
anderer hoch, und sucht sie zu erhalten.
Gleich wird sichs offenbaren, Wer unter euch den Kranz mit
Ehren trägt, Gell.
so daß er sich dadurch allgemeine Hochachtung erwirbt,
oder selbige wenigstens nicht vermindert oder verlieret. 4) Guter Nahme, oder
das Zeugniß anderer, daß wir die in der bürgerlichen
Gesellschaft eingeführten Obliegenheiten erfüllen; ein
geringerer [
1649-1650] Grad der vorigen Ehre. Ehre verloren,
alles verloren. Jemanden seine Ehre abschneiden, im gemeinen Leben; daher das
niedrige ein Ehrenabschneider. Seine Ehre retten, vertheidigen. Bey Ehren
bleiben, seinen guten Nahmen erhalten.
Der Vater, der kein Mittel sah, Bey Ehren in der Stadt zu
bleiben, Gell.
Wer will bey Ehren erhalten, der sein Amt selbst unehret?
Sir. 10, 32. Um Ehre und Reputation kommen. Es betrifft deine Ehre. Bey meiner
Ehre, eine im gemeinen Leben üblicher Betheurung. 5) Reinigkeit der
Sitten, sittlicher Wohlstand. Ein jeder wisse sein Faß zu behalten in
Heiligung und Ehren, 1 Thess. 4, 4. Ein Kuß in Ehren, im gemeinen Leben.
Wir waren lustig, aber in allen Ehren, auch im gemeinen Leben. Mit Ehren zu
melden, eine im gemeinen Leben übliche Formel, solche Ausdrücke zu
begleiten, welche den angenommenen gesellschaftlichen Wohlstand beleidigen
würden.
S. Ehrbar. 2. In engerer Bedeutung, jungfräuliche
Unschuld. Einer Person ihre Ehre rauben. Sie hat ihre Ehre verloren.3. Die
Wirkung dieses Vorzuges, vortheilhaften Urtheiles; welche Bedeutung hoch mit
einigen der vorigen zusammen fließet. 1) Äußerung dieses
Urtheiles durch Worte. Eines in alen Ehren gedenken, mit rühmlicher
Erwähnung. 2) Wort, Ausdrücke, welche ein scheinbares Merkmal der
Hochachtung sind, aber nicht so gemeinet werden; in welcher Bedeutung
Ehrenwort, Ehrenbrief, im gemeinen Leben für Compliment, Complimentbrief
üblich sind. 3) Wohlthaten, so fern sie als ein Merkmahl der Achtung
anzusehen sind: Einem alle Ehre und Liebe erweisen. Im Niedersächsischen
ist diese Bedeutung von einem noch weitern Umfange, indem ehrenthätig, und
Ehrenthätigkeit daselbst gutthätig, Gutthätigkeit, freygebig
bedeuten; welchen Verstand auch ehrgebig, Ehrgebigkeit bey dem Pictorius haben.
S. auch Ehrschatz, Ehrung, und Verehren. dahin
gehöret auch Col. 2, 23: dadurch, daß sie des Leibes nicht
verschonen, und dem Fleisch nicht seine Ehre thun zu seiner Nothdurft, d. i.
ihm nicht die gebührende Pflege erweisen.4. Empfindung des Werthe der
Ehre, und des guten Nahmens, in der im gemeinen Leben üblicher Redensart:
er hat Ehre im Leibe.5. Eine Person oder Sache, die andern Ehre macht. Er ist
die Ehre unserer Zeiten. das Weib ist des Mannes Ehre. Er ist seines Hauses
Ehre. Dahin gehöret auch die sonst ganz ungewöhnliche Bedeutung,
welche dieses Wort einige Mahl in der Deutschen Bibel hat, wo es für Zunge
stehet, dem edelste Werkzeuge des menschlichen Körpers. Wache auf, meine
Ehre, wache auf Psalter und Harfe, Pf. 57, 9; nach Michaelis Übersetzung:
Wache auf, mein besserer Theil, Cither und Harfe, wach auf! - Darum freuet sich
mein Herz, und meine Ehre ist fröhlich, Pf. 16, 9; Michaelis: Darum freuet
sich mein Herz, und der edlere Theil von mir jauchzet. - Auf daß dir lob
singe meine Ehre, Pf. 0,; Michaelis: Damit mein besserer Theil dir Liebe singe.
So auch Pf. 108, 2.Anm. 1. In vielen zum Theil oben angeführten Arten des
Ausdruckes ist dieses Wort im Genitive und Dative des Singulars noch in der
alten Oberdeutschen Declination der Ehren für der Ehre üblich. Doch
findet diese Declination am häufigsten ohne Artikel, seltener mit
demselben Statt. Es hat dieses das Wort Ehre mit Erde, Hölle, Gnade,
Grube, Wiege, Frau, Seele und vielen andern gemein, welche in manchen andern
Redensarten auch im Hochdeutschen immer noch in der alten Oberdeutschen Form
abgeändert werden. Wenn dieses Wort nichtEhrenstellen oder
Ehrenbezeigungen ausdruckt, so ist es eigentlich keines Plurals fähig.
Allein, es wird doch außer diesen Bedeutungen so wohl in gemeinen Leben,
als bei manchen Dichtern häufig in der mehrern Zahl gebraucht. Eines in
allen Ehren gedenken. Läßt seinen Ehren ihren Lauf, Opitz Pf. 66, 1;
wo es Luther gibt: lobsinget zu Ehren seinem Nahmen. In der edlern Schreibart
wird man sich dieses Plurals gern enthalten. Ehre finden, einem Ehre thun, und
andere biblische Ausdrücke mehr sind im Hochdeutschen
ungewöhnlich.Anm. 2. Ehre, Nieders. Eere, lautet in den meisten heutigen
Bedeutungen schon bey dem Kero Heri. Era, bey dem Ottfried Era und Ero, im
Angels. Are, im Schwed. Aera, im Dän. Äre, im Longob. Ari. Wachter
leitet es sehr gezwungen von ähren, colere, das Land bauen, Ihre aber von
dem alten ar, her, hoch, her. Allein es stammet wohl zunächst von dem
Umstandsworte der Zeit und des Ortes Er, eher, ab, wie sich aus der großen
Übereinstimmung beyder Wörter bey dem Kero und Ottfried leicht zeigen
läßt. Ar, her, hoch, aber, um ehe, eher, sind vielleicht näher
verwandt, als Ihre glaubte.
S. Hehr. [
1651-1652]