2. Wahr
, [
1343-1344] adj. et adv. Comparat. wahrer,
Superlat. wahrste. 1. Wirklich, in welcher Bedeutung es doch nur als ein
Adverbium üblich ist, und auch in dieser Gestalt nur noch in wenig Fällen
gebraucht wird. Besonders als ein Schwur: so wahr ich lebe! so wahr Gott ist!
so wahr ich hier stehe! u. s. f. Wohin auch die Betheurungs-Formel Fürwahr zu
gehören scheinet, (
S. dasselbe.) 2. Dem Begriffe des folgenden Substantives
genau angemessen; nur als ein Adjectiv. Er ist ein wahrer Freund. Die wahre
Tugend. Ich habe mir wahre Vorwürfe zu machen. Thränen der Tugendhaften sind
die wahren Lobreden der Verstorbenen. Besonders 3. echt, wirklich, nicht
scheinbar, im Gegensatze des falsch; auch nur als ein Adjectiv. Der wahre Gott,
zum Unterschiede von falschen und erdichteren. Seinen wahren Nahmen verbergen.
Die einige wahre Religion. Der wahre Glaube, die wahre Glückseligkeit, die
wahre Liebe u. s. f. Ingleichen als ein Substantiv. Das Wahre von dem Falschen
unterscheiden. 4. Mit der Sache selbst übereinstimmig, von Reden und
Aussprüchen; die gangbarste Bedeutung, in welcher es so wohl als ein Adjectiv,
als auch als ein Adverbium, gebraucht wird. Etwas für wahr halten, annehmen.
Sie reden sehr wahr. Ein wahrer Satz, Ausspruch u. s. f. Es ist wahr, daß ich
ihn gestern sahe. Nicht wahr? eine in der vertraulichen Sprechart übliche
elliptische Formel, nach der Wahrheit einer Sache zu fragen. Nicht wahr, der
gnädige Herr will kommen? Nicht wahr, du hast es gehört? Für, ist es nicht
wahr? Es ist etwas wahres an der Sache. Mit der Verneinung, es ist nicht wahr,
ist es in den meisten Fallen zu hart und ungesittet; daher man dafür lieber
ungegründet gebraucht. 5. In engerer Bedeutung, ist wahr in den bildenden
Künsten, mit dem Originale übereinstimmig, und in weiterm Verstande, der Natur
genau angemessen. Ein wahres Portrait, welches dem Urbilde genau gleicht. 6. In
einer andern engern Bedeutung ist wahr einer vorher gegangenen Versicherung
angemessen; wo es doch nur als ein Adverbium, und auch hier nur mit den Verbis
machen und werden, gebraucht wird. Etwas wahr machen, erfüllen. Es ist wahr
geworden, ist eingetroffen. Anm. 1. Aus der einfachen Beschaffenheit dieses
Wortes, welches keine Spur einer Ableitung zeiget, erhellet schon dessen
Alterthum, und wirklich findet es sich schon gleich bey dem Anfange der Schrift
in Deutschland völlig gangbar; im Isidor und Kero uuaar, uuar, chiuuari; daher
Wachter sehr irrete, wenn er es von dem Lateinischen verus ableitete. Zu der
Zeit, da dieses Wort im Deutschen schon allgemein gangbar war, war die
Bekanntschaft mit Roms Sprache noch zu jung, als daß es aus derselben hätte
aufgenommene werden können; gesetzt auch, daß es den Deutschen bis dahin an dem
Begriffe und einem Ausdrucke für denselben gesehlet hätte, welches doch sehr
unwahrscheinlich ist. Wahr und verus stammen vielmehr, wie so viele andre alte
Wörter, aus einer und eben derselben gemeinschaftlichen ältern Quelle her. Da
wahr in seinen heutigen Bedeutungen etwas abstractes bezeichnet, so erhellet
schon daraus, daß diese nicht die ursprüngliche seyn kann. Weiche es aber ist,
läßt sich bey dem hohen Alter des Wortes nur muthmaßen. Vermuthlich ist es das
vorige wahr, von wahren, sehen, so daß wahr eigentlich augenscheinlich bedeuten
würde. Auf ähnliche Art bedeutet das Griech. hier nichtlateinischer Text,
siehe Image; eigentlich unverdeckt, unverborgen. Vielleicht gehören auch
das Imperfect von seyn, ich war, so wie werden, mit zur Verwandtschaft. Ehedem
bedeutete wahr auch gut, in welchem Verstande es noch mehrmahls bey dem
Ottfried vorkommt: ist iz ubil odo uwar, gut oder böse. Anm. 2. Eigentlich
leidet der Begriff des Wahren keine Steigerung, außer allenfalls in der ersten
Bedeutung; daher wird es auch nur selten comparirt. Das allerwahrste wahr,
Opitz. Ihr sollt sehen, daß ihr wahrere Freunde in uns findet, als an euch
selbst, Weiße. [
1345-1346]