1. Verwesen
, [
1177-1178] verb. reg. neutr. welches das
Hülfswort seyn erfordert, und eigentlich umkommen, untergehen bedeutet. Der
Gottlosen Nahme wird verwesen, Sprichw. 10, 7. In dieser weitern Bedeutung ist
es veraltet, indem man es nur noch in engerer gebraucht, durch die Fäulniß
aufgelöset, seinen Theilen nach getrennet und zerstreuet werden, in der
gemeinen und härtern Schreibart verfaulen. Unser äußerlicher Mensch verweset. 2
Cor. 4, 16. Du wirst nicht zugeben, daß dein Heiliger verwese, Ps. 16, 10.
Verwesetes Holz. Die Leinwand ist ganz verweset.
Hoffnungsvoll verwes't die Saat, Bis zur Zeit der Ernte,
bey einem der neuern Dichter; wo aber das Zeitwort an der
unrechten Stelle steht, indem die Saat in der Erde nicht verweset, sondern
entwickelt wird. Daher die Verwesung, der Zustand, da die Theile des Körpers
durch die Fäulniß aufgelöset und zerstreuet werden. Anm. Im Oberdeutschen gehet
dieses Zeitwort irregulär, daher auch Holler singt:
In stillen Staub von halb verwes'nen Häuten.
Was die Abstammung dieses Wortes betrifft, so findet sich
zwar im Schwed. Isländ. und Angelsächs. ein Zeitwort wisna, visna, veosnan,
welches morsch, mürbe werden bedeutet, und eigentlich ein Intensivum ist,
welches vermittelst der Endsylbe -nen von einem veralteten Zeitworte wisa,
visa, veosan abstammet, welches gar wohl noch in unserm verwesen übrig seyn
könnte. Allein, da sich von diesem Worte sonst im Deutschen keine Spur findet,
vielmehr noch andere Gründe vorhanden sind, dieses Wort von einem andern Stamme
abzuleiten, so muß diese Ableitung zur Zeit noch dahin gestellet bleiben. Es
ist nähmlich sehr wahrscheinlich, daß dieses Zeitwort von wesen, seyn, welches
noch im Niederd. völlig gangbar, und noch in unserm gewesen und das Wesen
vorhanden ist, abstammet. Vermittelst der destruirenden Bedeutung der Partikel
ver, bedeutet verwesen, aufhören zu seyn, umkommen, untergehen, welche weitere
Bedeutung es ehedem wirklich gehabt hat. Hierzu kommt noch, daß Ottfried und
andere alte Oberdeutsche Schriftsteller häufig firwerdan, eigentlich verwerden,
für umkommen, untergehen, gebrauchen, Schwed. förvarda, Angels. forweordan. Ja
bey dem Notker heißt sogar die Verwesung, Irwartungo und Irwarnissa, die
Verwerdung, Verwerdniß, und die Unverweslichkeit, Vnirwartungo, die
Unverwerdung. Hieraus erhellet zugleich, daß die Partikel zu dem Verstande des
Wortes verwesen wesentlich nothwendig ist, und wie wenig oft unsere neuern
Dichter die Natur der Sprache kennen, wenn sie diese Partikeln wegwerfen, und
dadurch nachdrücklicher und kernhafter zu schreiben suchen.
Hier ruht und wes't, Gott sey's gedankt! Mein Weib, das
immerdar gezankt, u. s. f.
Bey einem sehr bekannten Dichter der neuesten Zeit, wo wesen
gerade den entgegen gesetzten Verstand gewähret.
[
1179-1180]