Verrathen
, [
1105-1106] verb. irreg. act. (
S. Rathen,) welches besonders in einem dreyfachen
Verstande vorkommt. 1. * Von rathen, Rath geben, war verrathen ehedem einen
üblen bösen Rath geben, wo ver die entgegen gesetzte schlimmere Bedeutung hat.
Es kommt in dieser jetzt veralteten Bedeutung, in welcher auch das Angels.
forraedan üblich war, noch bey den Oberdeutschen Schriftstellern des mittlern
Zeitalters vor. 2. Von rathen, reden, ist verrathen, durch die Rede, und im
weiterm Verstande, auch durch Zeichen bekannt machen, wie verschwatzen,
verplau- dern, doch so, daß sich etwas von der vorigen Bedeutung der Partikel
ver mit einmischet. (1) Im engsten Verstande, etwas, das verschwiegen oder
verborgen bleiben sollte, in der Absicht dem andern zu schaden, bekannt machen,
besonders, so fern es heimlich geschiehet. Jemandes Geheimniß verrathen. Seine
Mitschuldigen verrathen, sie heimlich angeben. Verrathe den Knecht nicht gegen
seinem Herrn, Sprichw. 30, 10. Simon verrieth den Schatz, 2 Macc. 4, 1. Rodocus
alle Heimlichkeiten, Kap. 13, 21. Wenn du mich nicht verrathen willst, will ich
es dir gestehen. (2) Im weitesten und figürlichen Verstande, zu erkennen geben,
auch von leblosen Dingen, und am häufigsten von solchen, welche man zu
verbergen sucht. Deine Sprache verräth dich, Matth. 27, 4. Das verrieth
(entdeckte) den ganzen Handel. - Es (dein Auge) verräth sich mir durch
unläugbare Zeichen, Weiße. Dein Auge verräth seit einiger Zeit einen geheimen
Gram. War je ein Wunsch, den mein Auge verrieth, den du nicht erfülltest?
Geßner. Sich selbst verrathen, aus Versehen etwas merken lassen, was man
verschweigen wollte. Es ist noch ungewiß, ob es in dieser Bedeutung auch
wirklich von reden abstammet, indem es auch mit der folgenden Bedeutung
zusammen hangen kann. 3. In der Absicht zu schaden, dem Feinde überliefern. So
verrieth Judas Christum. Die dein Brot essen, werden dich verrathen, Obad. v.
7. Sein Vaterland verrathen, es dem Feinde verrathen, dessen Beßtes dem Feinde
überliefern. Ich weiß nicht, ob ich hier verrathen oder verkauft bin. Anm. In
dieser letzten Bedeutung schon bey dem Notker ferraten, bey dem Ottfried
aneratin, im Nieders. verraden, im Schwed. förrada, und auch nur räda. Die
eigentliche Bedeutung beyder Theile der Zusammensetzung ist den meisten
Wortforschern dunkel und unbekannt gewesen, die es bald als eine Figur der
ersten Bedeutung erkläret, bald als Gegensatz von gerathen, consultum,
angesehen, bald noch anders abgeleitet haben. Allein, es ist wohl gewiß, daß
verrathen in dieser dritten Bedeutung eine buchstäbliche Übersetzung des Lat.
prodere ist, und eigentlich übergeben, überliefern, und, im engern Verstande,
dem Feinde übergeben bedeutet. Rathen bedeutete ehedem nicht nur reichen,
sondern auch geben, wie noch aus einigen Bedeutungen von berathen erhellet.
Auch das Schwed. rada bedeutete ehedem geben, daher es auch noch jetzt ohne die
Partikel für verrathen gebraucht wird. Im mittlern Lateine kommen tradere und
Traditor mehrmahls für verrathen und Verräther vor, daher der letztere im
Französischen noch Traitre, im Span. Tradidor, und im Ital. Traditore genannt
wird. Ver hat hier die Bedeutung der Entfernung, eigentlich ausliefern. Dahin
scheinet auch der dunkele Artikel in dem alten Friesischen Gesetze de Forresni
zu gehören, wo wirklich von einer Art der Verrätherey gehandelt wird.
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1107-1108]