Die Ruthe
, [
1223-1224] plur. die -n, Diminut. das
Rüthchen, Oberd. Rüthlein, ein Wort, welches eigentlich einen jeden langen
deutet. 1. Überhaupt, wo es doch nur auf einige einzelne Fälle eingeschränket
worden, ob man gleich einen jeden Körper dieser Art, wenn er keinen andern
Nahmen hat, eine Ruthe nennen kann. So wird die lange Stange in der
Landwirthschaft, an welcher man das Dach über einen Heu- oder Kornschober höher
oder niedriger stellen kann, die Ruthe genannt. An einem Ziehbrunnen ist die
Ruthe bald die Stange, woran der Eimer hängt, bald der lange bewegliche spitzig
zulaufende und biegsame Baum, woran die Stange befindlich ist, und welcher
sonst auch der Schwängel genannt wird. In vielen Fällen verlieret sich der
Begriff der Biegsamkeit oder schwankenden Bewegung, so daß bloß der Begriff der
Länge und verhältnißmäßigen Dünne zurück bleibt. So wird die lange gerade
eiserne Stange an einem Anker die Ruthe, oder zum Unterschiede die Ankerruthe
genannt. Die Visier-Ruthe ist in einigen Oberdeutschen Gegenden der
Visier-Stab, daher das Zeitwort ruthen daselbst auch für visiren gebraucht
wird; ein Faß ruthen. Bey den Schlössern ist die Ruthe oder Essenklinge eine
dünne vorn gekrümmte eiserne Stange, dem Feuer damit in der Esse Luft zu
machen. An den Brücken werden die langen Zimmerhölzer, welche neben einander
über die Hulben gelegt werden, und worauf man die Bohlen oder Breter nagelt,
Ruthen oder Brückenruthen genannt. In Niedersachsen führen auch die Radschienen
den Nahmen der Ruthen. Die Handruthe oder Ruthe an einem Dreschflegel ist der
starke Stock, welcher im Dreschen in der Hand geführet wird. 2. In
verschiedenen engern Bedeutungen. 1) Ein langes dünnes biegsames Reis eines
Baumes oder Gewächses; eine Gerte. Birkenruthen, die langen dünnen schwanken
Zweige der Birken. Die Leimruthe, Wünschelruthe, Spießruthe u. s. f. bezeichnen
den Gebrauch solcher Ruthen näher. Die Ruthe Aaron, Ebr. 9, 4. Auch die
Angelruthe ist ein solcher langer biegsamer Stab, woran der Theil, an welchem
die Angel befestiget ist, und welcher eigentlich eine solche Gerte ist, im
engsten Verstande die Ruthe oder Schwippe heißt. Die Ruthe schlagen, mit der
Wünschelruthe Metalle und Erz ausfündig zu machen suchen. (
S. Ruthengänger.) 2) Besonders mehrere solcher dünnen
Zweige oder Reiser, so fern sie zusammen gebunden zur Züchtigung nicht nur der
Kinder, sondern auch erwachsener Verbrecher dienen; die Zuchtruthe. Ein Kind
mit der Ruthe strafen, ihm die Ruthe geben. Noch unter der Ruthe stehen, noch
kindischen Züchtigungen unterworfen seyn. Sein Kind unter der Ruthe halten. Der
Ruthe entwachsen seyn. Mit Ruthen hauen oder aushauen, einen erwachsenen
Verbrecher. Sich selbst eine Ruthe binden, figürlich, selbst Ursache an einem
Übel seyn. Figürlich werden, besonders in der biblischen Schreibart, alle
Strafgerichte Gottes Ruthen genannt. 3) Eine lange biegsame Stange, so fern sie
ein bestimmtes Längenmaß, besonders auf der Oberfläche des Erdbodens ist, und
wieder in 10, 12 oder mehr Schuh getheilet wird; die Meßruthe. Die Waldruthe,
wornach die Wälder gemessen werden, zum Unterschiede von der Feldruthe. Dieses
Maß ist sich nicht aller Orten gleich. Die Rheinländische Ruthe hält 12
Rheinländische Schuh. In Basel hat die Ruthe 16, in Colmar 15, in Mömpelgard
10, im Durlachischen 16, zu Bern 10, zu Schafhausen 12, zu Nürnberg 16, in der
Mark Brandenburg 15, in Thüringen 14 und 16, in Chur-Sachsen 15 Schuh 2 Zoll
Leipziger Maß u. s. f. da denn auch die Schuhe nicht überall gleich sind.
Dieses Maß behält den Nahmen einer Ruthe, auch wenn man sich statt der Stange
einer Schnur, Kette u. s. f. bedienet. In manchen Gegenden wird es die Gerte,
Stock, Klafter, im Bergbaue Lachter, manchen Gegenden, z. B. in der Lausitz,
ist die Ruthe der 12te Theil einer Hufe, der Breite nach, d. i. wenn die Hufe
3096 Gangschritte, jeden zu 1 1/3 Elle lang, und 135 Schritte breit ist, so ist
die Ruthe ein Theil derselben, welcher gleichfalls 3096 Schritte lang aber nur
11 1/4 Schritt breit ist; wo bloß der Begriff der Ausdehnung in die Länge Statt
findet. 4) Bey den Jägern führet der lange dünne Schwanz der meisten
vierfüßigen Thiere, z. B. des Fuchses, des Hundes, des Dachses, der wilden
Katze, der Fischotter, des Marders, Iltisses, Wiesels, Luchses, der Haselmaus,
des Damwildbretes u. s. f. den Nahmen der Ruthe. (
S. Schwanz.) 3) Das männliche Glied bey Menschen und
Thieren, besonders der längliche Theil desselben über den Hoden, heißt die
Ruthe oder männliche Ruthe. Die weibliche Ruthe ist ein ähnlicher, aber viel
kleinerer, länglich runder Theil, welcher mit einem Griechischen Kunstworte
Clitoris heißt. Anm. Bey dem Notker Ruota und von einer Meßruthe Ruoto, im
Nieders. Rood, Rode, im Engl. Rod, im Ungar. Rud, im Finnischen Ruode, im Lat.
Rutis, im Griech. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , im
Chaldäischen Rit. Die Ausdehnung in die Länge und die schwankende Biegsamkeit
ist der Stammbegriff, daher dieses Wort als ein Abkömmling von reiten, reisen
und riesen, und als ein naher Verwandter von dem Lat. Radius und Ridica, von
unsern Ruder, 2 Raute, Rieth, Rüster, Reis u. s. f. dem Schwed. Ra, ein Pfahl,
und andern mehr angesehen werden muß. [
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