3. Reiten
, [
1071-1072] verb. irreg. ich reite, du
reitest, (reitst,) er reitet; Imperf. ich ritt; Conj. ritte; Mittelw. geritten;
Imperat. reit. Es ist ursprünglich mit reisen ein und eben dasselbe Wort, indem
s und t in den Mundarten beständig mit einander abwechseln, und war, so wie
dieses, ehedem in einem weit größern Umfange der Bedeutung üblich, als jetzt.
Besonders bedeutete es ehedem, 1. Bewegen, treiben, als eine unmittelbare
Nachahmung des mit der Bewegung verbundenen Schalles. Allem Ansehen nach
gehören zu dieser jetzt veralteten Bedeutung noch die im gemeinen Leben
üblichen Redensarten, der Teufel reitet ihn, das ist, treibt ihn an, beweget
ihn, alles Unglück reitet mich, treibt mich herum; wo die Figur von reiten,
equo vehi, seltsam und possierlich seyn würde. In engerer Bedeutung ist reiten
sich begatten, doch nur von einigen größern Thieren, besonders in den
Zusammensetzungen Reithengst und Reitochs, (
S. dieselben.) Von diesem reiten, so fern es bewegen,
treiben, überhaupt bedeutete, ist reitzen das Intensivum, so wie reitern,
rädern, für sieben, und rütteln die Frequentativa davon sind,
S. Reitzen. 2. Den Ort verändern, als ein Neutrum, wo es
ehedem theils von einer jeden Veränderung des Ortes, theils aber auch von der
Begebung nach einem entfernten Orte üblich war, und so wie reisen als ein
allgemeiner Ausdruck gebraucht wurde, der die Art und Weise unbestimmt ließ,
welche denn vermittelst des Vorwortes auf ausgedruckt wurde. Auf einem Wagen,
auf einem Schiffe reiten, d. i. fahren. So bedeutet riton beym dem Notker auf
einem Wagen fahren, und Hornegk gebraucht reiten so wohl für gehen, als für
fahren und reisen. Daher ist Reita und Gereite bey dem Notker ein Wagen,
Schwed. Reid, welches mit dem Rheda, ein Wagen, der alten Gallier und Römer,
ein und eben dasselbe Wort ist. Opitz sagt mehrmahls von Gott, er reite auf den
Wolken, auf dem Himmel; welches eine sehr unanständige Figur seyn würde, wenn
hier nicht die allgemeinere Bedeutung Statt finden sollte. Jetzt ist es bis auf
einige wenige Redensarten in diesem Verstande veraltet. So sagt man noch der
Maulwurf durchreite das Land, wenn er es im Fortkriechen durchwühlet, die
Motten durchreiten die Bücher, wenn sie sie im Fortgehen durchfressen, wo
zugleich der Begriff der Länge mit eintritt. Wenn sich die Hunde auf dem
Hintern fortbewegen, so sagt man gleichfalls, der Hund reite auf dem Arsche, wo
wieder kein Reiten in dem folgenden Verstande Statt findet.
S. auch Rad und Reisen. 3. In engerer und gewöhnlicherer
Bedeutung, auf einem Thiere sitzend den Ort verändern; auf ähnliche Art ist
fahren, welches ursprünglich auch eine jede schnelle Bewegung bezeichnet,
zunächst auf die Veränderung des Ortes vermittelst eines Wagens eingeschränket
worden. Es ist in dieser Bedeutung in doppelter Gestalt üblich. 1) Als ein
Neutrum. (a) Eigentlich, auf einem Thiere sitzend, besonders mit über dasselbe
geschlagenen Beinen auf demselben sitzend, den Ort verändern. Das Thier, auf
welchem man sitzet, bekommt sehr häufig das Vorwort auf. Auf einem Esel, auf
einem Pferde, auf einem Hengste, auf einem Schimmel reiten. Doch gebraucht man
in der anständigen Sprechart hier lieber das folgende Activum mit der vierten
Endung, ohne Vorwort. Einen Esel reiten, sich desselben zur Veränderung des
Ortes bedienen. So auch, ein Pferd, einen Hengst, einen Schimmel, ein gutes
Pferd reiten. Ich habe ein wildes Pferd geritten. So sagt schon Notker: dudiniu
ros ritest, der du deine Rosse reitest. Wenn reiten absolute stehet ohne
Meldung des Thieres, so wird allemahl dasjenige Thier darunter verstanden,
dessen man sich in einem Lande gewöhnlich zum reiten bedienet, welches in den
meisten Ländern das Pferd ist. Reiten lernen. Nicht reiten können. Ein
reitender Bothe, ein Bothe zu Pferde. Die reitende Post, wo unter dem Worte
Post der Postillion verstanden wird. Das Reiten nicht vertragen können. Gut
reiten, schlecht reiten. Langsam, geschwinde reiten. Wir müssen morgen reiten,
d. i. von hier abreiten. Ohne Sattel reiten. Mit jemanden in Gesellschaft
reiten. Der Bediente ist fehl geritten. Der Ort, welcher das Ziel oder der
Gegenstand des Reitens ist, wird durch allerley Vorwörter ausgedruckt. Nach
Leipzig, nach Berlin, nach Frankreich, nach Hause reiten. Auf die Jagd,
[
1073-1074] auf die Messe, auf das Land, auf das Dorf
reiten. In die Stadt reiten. Um die Stadt reiten. Durch einen Wald, durch das
Wasser reiten. Jemanden entgegen reiten. Über Feld, über Land reiten. In
einigen, doch wenigen Fällen, wird die Absicht des Reitens mit dem Intensivo
eines andern Zeitwortes ausgedruckt. Wir sind gestern spazieren geritten. Die
Truppen werden fouragieren reiten. Schmarotzen reiten. Wenn es mit dem
Zeitworte kommen verbunden wird, so stehet es nach dem Muster so vieler andern
Zeitwörter dieser Art im Supino. Er kam geritten, für reitend; so wie man auch
sagt; gegangen, gefahren, gesprungen, geflogen, geschwommen u. s. f. kommen. In
einigen Fällen wird ein oder der andere Umstand auch vermittelst der vierten
Endung des Hauptwortes ausgedruckt, ohne daß reiten dadurch zu einem Activo
würde. Einen Trab, einen Galopp reiten. Wir sind beständig einen Schritt
geritten. Einen Weg zum ersten Mahle reiten. Diesen Weg bin ich noch nie
geritten. Wo man auch nach dem Vorgange der Oberdeutschen in der zweyten Endung
sagt, des Weges bin ich noch nie geritten. Er mag seine Straße (oder seiner
Straße) reiten. Zehen Meilen in Einem Tage reiten. Wir sind heute nur fünf
Meilen geritten. Dieses Neutrum nimmt, so lange es ein eigentliches Neutrum
ist, der Regel nach allemahl das Hülfswort seyn zu sich. Nur der
Niederdeutschen Mundart gewohnte Schriftsteller machen hier oft eine Ausnahme,
weil man im Niederdeutschen mehrere Neutra mit haben zu verbinden pflegt,
welche im Hoch. und Oberdeutschen das seyn bekommen. Deine Eselinn, darauf du
geritten hast, 4 Mos. 22, 30, für bist. Hab' ich von Jugend auf nicht auf
wilden Pferden geritten? Zachar. (b) In weiterer Bedeutung, mit
übergeschlagenen Beinen auf einem leblosen Dinge sitzend den Ort verändern. Auf
einem Stecken reiten, wie die Kinder. Auf einem Besen, auf einer Osengabel nach
dem Blocksberge reiten. Auf der Wurst herum reiten, im gemeinen Leben,
schmarotzen reiten, wofür man in Niedersachsen sagt, auf der Garbe reiten, (
S. Wurst.) Auch ohne Veränderung des Ortes, bloß in
Rücksicht auf die Art und Weise des Sitzens. Die Soldaten müssen zur Strafe auf
einem hölzernen Esel reiten. In dieser ganzen Bedeutung bekommt das Werkzeug,
worauf man reitet, allemahl das Vorwort auf. 2) Als ein Activum, welches
folglich das Hülfswort haben erfordert, und auch im Passivo gebraucht werden
kann, mit verschiedenen thätigen Beysätzen und Nebenbedeutungen. Ein Pferd
reiten, sich dessen zur Veränderung des Ortes bedienen. Einen Schimmel, einen
Hengst, ein scheues Pferd, einen Esel reiten. Das Pferd ist noch nie geritten
worden. Die Post reiten, sich reitend von einem Orte zum andern bringen. Ein
Pferd zu Tode reiten, es müde, steif, lahm reiten. Ein Pferd in das Wasser, in
den Stall, in die Schwemme, auf die Weide, in die freye Luft reiten, es auf
demselben sitzend dahin bringen. Ein Pferd zusammen reiten, bey den Bereitern,
es dahin bringen, daß es, mit seinen Theilen wohl vereinigt, den Kopf senkrecht
trage. Im gemeinen Leben bedeutet es auch, es im Reiten abmatten. Jemanden zu
Boden reiten. Dahin auch die reciproken R. A. gehören. Sich müde reiten, sich
einen Wolf reiten, sich aus dem Athem reiten u. s. f. Einen Schriftsteller
reiten, figürlich, im gemeinen Leben, ihn ausschreiben,
S. Postillen-Reiter, in Postille. Daher das Reiten,
S. auch Ritt. Anm. In dieser dritten engern Bedeutung
schon bey dem Ottfried ritan, im Nieders. riden, und mit Ausstoßung des d rien,
im Angels. ridan, im Engl. to ride, welches aber auch fahren bedeu-
[
1075-1076] tet, im Schwed. ryda. Härtere Mundarten
schreiben und sprechen es auch reuten, welches wider die ganze oben schon
bemerkte Abstammung ist, sich aber dessen ungeachtet doch in dem folgenden
Hauptworte Reuter für Reiter auch im Hochdeutschen eingeschlichen hat.
S. 2 Reiter. [
1075-1076]