Nieder
, [
491-492] -er, -ste, adj. et adv. dem
Mittelpuncte der Erde näher als ein anderes Ding, im Gegensatze des oder und
hoch. Es wird auf doppelte Art gebraucht. I. Als ein Beywort. 1. Eigentlich, wo
im Hochdeutschen niedrig statt dessen üblicher ist; doch kommt es noch im
Oberdeutschen, und zuweilen auch in der höhern Schreibart der Hochdeutschen
vor. Eine niedere Bank, eine niedrige. Ein niedres Haus, ein niedres Land. Ein
Hügel ist niedrer als ein Berg. Sich der Armuth rechtschaffener Verwandten, und
der niedern Stufe schämen, auf der sie stehen, ist nicht bloß Stolz, es ist
zugleich Grausamkeit, Gell. Ich wohne sicher in meiner niedern Hütte, Geßn.
Eben so haben wir es noch in den Zusammensetzungen Niederland,
Nieder-Deutschland, Nieder-Sachsen, Nieder-Ungarn, alle im Gegensatze der höher
gelegenen Theile dieser Länder, welche alsdann das Ober- vor sich nehmen.
S. auch Niederbort, Niederholder, Niederholz u. s. f. wo
die erste Hälfte dieses Beywort ist. Die Endsylbe -er hat viele Sprachlehrer
verführet, dieses Wort für einen Comparativ zu halten, welchem die erste und
dritte Staffel fehlet, dagegen andere es für die erste Staffel halten, und ihn
die zweyte und dritte absprechen. Beyde irren. Daß es kein Comparativ ist,
erhellet unter andern aus dem Superlativ, niederste, der alsdann kein r haben
könnte, so wie man von größer nicht größerste, sondern größeste, größte sagt.
Wir haben mehrere Beywörter auf - er, wie bitter, tapfer, sauer, sauber,
finster, lauter u. s. f. ferner, äußere, inner, hinter, vorder, ober u. s. f.
welche letztern gleichfalls irrig für Comparative gehalten worden, vermuthlich,
weil sie als Nebenwörter nicht üblich sind, indem sie, so wie nieder, eigene
Nebenwörter auf -en haben. Daß aber nieder wirklich die zweyte und dritte
Staffel habe, erhellet nicht nur aus der Natur der Sache, sondern auch aus dem
Ober- und Niederdeutschen, wo beyde häufig genug vorkommen, und der Superlativ
ist auch in der höhern Schreibart der Hochdeutschen nicht selten. 2. Figürlich,
der Würde nach, geringe, im Gegensatze des hoch, wo es auch im Hochdeutschen
üblicher ist. 1) Die niedere Jagd, wohin das geringe oder unedle Wildbret
gerechnet wird, im Gegensatze der hohen Jagd. Die niedere Gerichtbarkeit, die
niedern Gerichte oder Niedergerichte, Untergerichte, im Gegensatze der hohen
Gerichtbarkeit. Die niedern Schulen, die hohe und niedere Geistlichkeit, die
hohen und niedern Staatsbedienten, Kriegsbefehlshaber u. s. f. In welchen
Fällen man das Wort niedrig wohl nicht leicht gebraucht. In Sachsen sind
verschiedene Vasallen auf niedere Metalle, als Zinn, Eisen u. s. f. beliehen.
Ingleichen als ein Hauptwort, ein Niederer, die Niedern, dem Stande, der äußern
Würde nach geringe Personen. Der Nidern nimt si keine war, sie achtet der
Niedern nicht, die Winsbeckinn. Auf sich den Haß der Niedern laden, Gell. 2) Im
moralischen Verstande, in Ansehung der sittlichen Würde, wo es in der höhern
Schreibart, noch mehr als niedrig, ein glimpflicher Ausdruck für das härtere
niederträchtig ist, seiner Vorzüge mit Vorsatz uneingedenk und darin gegründet.
Niedere Verleumder. Ein niederer Eigennutz. Der niedere Stolz.
Der Feige sucht sich nur durch niedre Flucht zu retten, Weiße.
Als ein Nebenwort wird dieses ganze Beywort nicht gebraucht,
weil im Hochdeutschen statt dessen niedrig, im Oberdeutschen aber in manchen
Fällen auch nieden üblich ist. Ehedem kannte man es gar wohl, Vuas iro kraft zi
nidiri, war ihre Kraft zu schwach, Ottfried. II. Als ein Nebenwort, oder
vielmehr als ein Vorwort, welches ehedem die vierte, bey den ältern
Schriftstellern auch wohl die dritte Endung erforderte, aber jetzt außer der
Zusammensetzung mit Zeitwörtern und den davon abstammenden Nennwörtern völlig
veraltet ist. Ein Überbleibsel davon ist noch in der R. A. übrig, die Stube,
den Garten u. s. f. auf und nieder laufen, wo es doch wohl nicht zunächst zu
dem Zeitworte gehöret. Danieder und hernieder sind gleichfalls Überreste dieses
ehemahligen Vorwortes. Nider imo, unter ihm, in den Monseeischen Glossen. Als
ein Vorwort wird es daher auch mit den Zeitwörtern, welchen es beygefüget wird,
zusammen gezogen, ob es gleich übrigens zu den trennbaren Partikeln gehöret. Es
kann mit allen Zeitwörtern zusammen gesetzet werden, welche eine Bewegung oder
eigentliche Handlung bezeichnen, und bedeutet alsdann, daß diese Bewegung nach
unten zu, nach der Oberfläche der Erde zu gerichtet ist. Die Zusammensetzungen
dieser Art, gehören mit zu den ältesten in der Deutschen Sprache, indem sie
schon im Kero vorkommen. Die Niederdeutschen pflegen diejenigen Zeitwörter,
welche die Hochdeutschen mit diesem Worte bilden, gern mit daal zu machen;
daalfallen, niederfallen, daalflaan, niederschlagen.
S. Thal. Anm. Beydem Ottfried nidar, bey dem Notker
nider, im Nieders. nedder, zusammen gezogen neer, Comparat. nedderer, Superl.
nedderste, im Angels. neothor, im Engl. nether, im Schwed. neder, im Isländ.
nedar. Es stammet vermittelst der Ableitungssylbe -er von dem im Hochdeutschen
völlig veralteten Bey- und Vorworte nied her, welches noch in der Schweiz
gangbar ist, wo es unten und unter bedeutet. Ob sich und nied sich ist in der
Schweiz über sich und unter sich, vorwärts und hinterwärts. Der Thurm soll nid
sich so tief, als hoch seyn. Bluntschli, d. i. unten in der Erde. Dieses
einfache nied, welches ohne Zweifel zu neigen und nahen gehöret, ist auch noch
in andern Sprachen vorhanden, wie in dem Dän. ned, in dem Schwed. ned, in dem
Angels. neoth, und in dem Engl. beneath. Das hohe Alter dieser Partikel
erhellet aus dem Griech. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - ,
-
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - und -
hier
nichtlateinischer Text, siehe Image - , welche bey den letzten dem zusammen
gezogenen Niedersächs. neer nahe kommen.
S. auch die Niedere und Niedrig.
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