2. Lassen
2. Lassen,
[
1911-1912] verb. irreg. welches in der
Conjugation mit dem vorigen überein kommt, und am häufigsten als ein Neutrum,
mit dem Hülfsworte haben, zuweilen aber auch als ein Activum gebraucht wird. Es
ist von einem sehr weiten Umfange des Gebrauches, der sich doch auf folgende
drey Hauptbedeutungen einschränken lässet. 1. Nicht hindern, sich leidentlich
verhalten, wo es theils vollständig, mit dem Infinitive eines andern
Zeitwortes, theils auch elliptisch, mit allerley Vor- und Beywörtern gebraucht
wird. 1) Eigentlich, als ein Neutrum, wo die Franzosen gleichfalls ihr laisser
gebrauchen. Ich habe es müssen geschehen lassen. Lasset ihn gehen. Das Glas
vorbey gehen lassen. Lassen sie mich nur machen. Einen Vogel fliegen lassen.
Der Gärtner hat das Obst erfrieren lassen. Das Feuer ausgehen lassen. Etwas,
das man hält, fallen lassen. Das Seil fahren lassen. Die Fahne fliegen lassen.
Jemanden zu Grunde lassen. Wir wollen es dabey bewenden lassen. In sehr vielen
Fällen bekommt die ganze R. A. allerhand Nebenbedeutungen, welche sich ohne
allzu große Weitläuftigkeit nicht unter gewisse Classen bringen lassen. Große
Seelen halten sich an den Himmel fest, und lassen den Erdkreis unter sich
wegrollen, Dusch, d. i. sehen es gleichgültig mit an. Lassen sie es gut seyn,
billigen sie immer, tadeln sie es nicht, kränken sie sich nicht darüber. Laß es
nur gut seyn, ich werde ihn schon abführen. Etwas seyn lassen, es bleiben
lassen, es unter Weges lassen, im gemeinen Leben, es nicht thun, es
unterlassen. Laß es seyn, bedeutet oft so viel als gesetzt. Lassen sie es seyn,
daß er nicht mit Anmuth zu pfeifen und zu trallern weiß, Weiße, gesetzt. Eine
Sache, eine Arbeit liegen lassen, sich nicht mehr mit ihr beschäftigen. Laß dir
das gesagt seyn, nimm es zu Herzen. In einigen Fällen stehet die ganze
Wortfügung mit lassen anstatt eines Passivi. Ich habe mir sagen lassen, es ist
mir gesagt, erzählet worden, man hat mir gesagt. Unser Geist hat einen
nothwendigen Hang sich von jeder Art der Schönheit rühren zu lassen, gerührt zu
werden. In andern stehet es ganz müßig. Es läßt sich nichts verdrießen, es
verdrießt ihn nichts. Er läßt es sich vortrefflich schmecken, es schmeckt ihm
vortrefflich. Er läßt sich nichts anfechten, es ficht ihn nichts an. Laß ihn
nur erst groß werden, wenn er nur erst groß wird. Laß mich nur kommen, wenn ich
nur komme. Wo es in einigen Fällen auch den unwilligen Tadel begleitet. Wie
hast du dir das können einfallen lassen? Er ließ sich träumen, daß er der erste
sey. 2) Figürlich und als ein Activum, wo das dazu gehörige Zeitwort sehr
häufig verschwiegen wird, indem bald das Hauptwort allein, bald ein Nebenwort,
bald auch ein Vorwort stehet. Laß es so wie es ist, nähmlich bleiben. Eine
Sache ihrem vorigen Stande lassen. Bier, Wein von dem Fasse lassen, nähmlich
fließen. Sein Wasser lassen, seinen Urin fließen lassen. Dem Pferde den Zügel
lassen, nämlich schießen. Besonders mit Vor- und Nebenwörtern. Die Thür offen
lassen, nähmlich stehen. Den Acker wüst lassen, nähmlich liegen. Jemanden
ungehindert in die Stadt lassen. Die Gelegenheit aus den Händen lassen. 2.
Erlauben, verstanden, welche Bedeutung oft mit der vorigen zusammen fließt. 1)
Eigentlich, wo es bald wiederum vollständig gebraucht wird, mit dem Infinitive
des Zeitwortes. In diesem Falle ist es wiederum ein Neutrum, dagegen es, wenn
kein Infinitiv dabey stehet, gemeiniglich auch als ein Activum gebraucht werden
kann. Laß mich diese Erzählung bis auf eine andere Stunde aufbehalten. Laß
diesen Verluft deine Stärke nicht beugen. Wollen sie meine Bitte Statt finden
lassen? O lassen sie mich gehen und zu mir selber kommen! Laß die Sache nicht
zu weit kommen. Dazu will ich es nie wieder kommen lassen. Sie wird ihnen die
Zeit nicht lang werden lassen. Lassen sie sich ihren Irrthum benehmen. Er läßt
sich nicht nehmen. Er will sich nicht trösten lassen. Man lasse sich solche
Leute nur Ein Mahl über den Kopf wachsen. Laß mich dieses Glück genießen! Ach,
lassen sie sich mein Unglück erzählen! Wohin auch die in der gemeinen
Höflichkeit übliche Formeln gehören, lassen sie sich was Neues erzählen, ich
will ihnen mit ihrer Erlaubniß etwas Neues erzählen, lassen sie nur mit sich
reden u. s. f. Bald mit einem Hauptworte in der vierten Endung der Sache und
der dritten der Person, ohne Zeitwort. Einem den Vorzug lassen, ihm denselben
verstatten. Lassen sie mir nur Zeit, Ruhe. Lassen sie mir meine Freude.
Besonders, im Besitz einer Sache lassen, oder setzen. Ich habe ihm das Buch
gelassen, überlassen. Ich will es ihnen für zehen Thaler lassen. Für den Preis,
oder um den Preis kann ich es nicht lassen. Ingleichen mit Nebenwörtern, oft
mit allerley Nebenbegriffen. Ich lasse keinen Dreyer herunter, verstatte nicht,
daß man mir ihn abbreche. Jemanden hinaus, hinauf, heraus, herauf lassen u. s.
f. verstatten, daß er hinaus u. s. f. gehe. Besonders für zurück lassen. Wo
hast du das Buch gelassen? Ich habe es in der Stube, auf dem Tische gelassen.
Laß ihn hier. Er fängt wieder da an, wo er es gelassen hat, wo er aufgehöret
hat. Ingleichen für übrig lassen. Die Diebe heben ihm nichts gelassen. Wie auch
mit Vorwörtern. Jemanden in Ruhe lassen; im gemeinen Leben, ihn mit Frieden
lassen. Ich lasse dich nicht von der Stelle, nicht aus dem Hause. Jemanden vor
sich lassen, ihn von sich lassen. Niemanden über sein Geld lassen. Einem etwas
auf dem Halse, über dem Halse lassen. Jemanden bey seinem Amte, in seiner
Freyheit lassen. 2) Figürlich; wohin (a) Diejenige Fälle gehören, wo das
einfache Zeitwort, doch nur als ein Neutrum, anstatt eines zusammen gesetzten
stehet, und die Figur von dem Zurücklassen entlehnet wird. Jemanden lassen, ihn
verlassen, von ihm ablassen, aller Gemeinschaft und Verbindung mit ihm
entsagen. Willst du den Schöpfer lassen? Gell. wofür man auch sagt, von einem
lassen. Von seiner Meinung nicht lassen wollen, sie nicht ablegen wollen.
Ingleichen für unterlassen. Ich habe es ihm schon oft gesagt, aber läßt es doch
nicht. Das Böse lassen.
Ich hab es oft versucht, und kann es doch nicht lassen, Gell.
[
1913-1914] So sagt schon Ottfried lazan
sin thaz slafan, das Schlafen unterlassen, und in der alten Waldenfischen
Sprache ist laysa gleichfalls unterlassen. In welcher Bedeutung auch der
Infinitiv als ein Hauptwort gebraucht wird, besonders in Verbindung mit dem
Hauptwort Thun. Sein Thun und Lassen. Wie auch für nachlassen. Ich lasse dir
nach meinem Tode einen ehrlichen Nahmen. Ingleichen einige besondere R. A. Sein
Leben lassen, verstatten, daß es auf gewaltsame Art genommen werde. Die Bienen
lassen, sagt man für schwärmen. Er hat so viel Getreide, daß er es nicht zu
lassen weiß, daß er es nicht räumlich unterzubringen weiß. Und nach einer noch
weitern Figur. Ich gebrauche Trost, ich weiß mich vor Schmerz nicht zu lassen,
habe keine Ruhe an keinem Orte, weiß mich nicht zu fassen. Er weiß sich vor
Freude nicht zu lassen, nicht zu fassen.
S. auch Gelassen, welches das Mittelwort dieses
Zeitwortes ist, und in einer noch besondern, aber mit dieser genau verbundenen
Bedeutung gebraucht wird. (b) Den Grund der Möglichkeit oder doch der
Thunlichkeit eines Prädicates enthalten, möglich, rathsam, thunlich seyn, als
ein Neutrum in der dritten Person, und mit dem Infinitive des folgenden
Zeitwortes. Die Anstalten lassen es, nicht anders vermuthen. Sein Betragen läßt
es nicht hoffen. Diese Umstände lassen mich im voraus sehen, daß es nicht
gelingen wird. Ingleichen als ein Reciprocum. Das läßt sich nicht sagen, nicht
thun. Davon ließe sich vieles sagen. Die angenehme Empfindung läßt sich nur
durch reichhaltige Gegenstände erregen. Dabey läßt sich nicht viele Ehre
einlegen. Das läßt sich nicht begreifen, nicht denken, nicht hoffen. Holz
lässet sich nicht dehnen. Wohin nach einer noch weitern Figur, auch die in der
vertraulichen Sprechart üblichen elliptischen R. A. gehören. Das Buch läßt sich
lesen, man lieset es nicht ganz ohne Vergnügen. Die Gründe, die er anführet.
lassen sich hören, sind nicht unbündig. Das läßt sich sehen, man siehet es
nicht ohne Vergnügen, nicht ohne Beyfall. 3. Die befehlende oder verlassende
Ursache einer Veränderung seyn, eine Sache befehlen, veranstalten machen, daß
sie geschiehet; wo im Franz. faire auf ähnliche Art gebraucht wird. Besonders
mit dem Infinitive eines andern Zeitwortes und als ein Neutrum. Ein Kind etwas
auswendig lernen lassen, durch Befehl. Ich habe ihm schon schreiben lassen. Er
hat es mir wissen lassen. Einen Brief übergeben lassen. Gott lässet seine Sonne
aufgehen über Böse und Gute. Lassen sie es mich wissen, machen sie es mir
bekannt. Ich darf ihn davon nichts merken lassen. Bis man die Kinder hat das
Häßliche des Fehlers fühlen lassen, Gell. Es läßt sich niemand weder sehen noch
hören. Lassen sie es mich doch sehen, zeigen sie es mir doch. Waaren kommen
lassen. Ich lasse es an nichts fehlen.
Laß sehn, spricht Galathee, obs auch die meine sey, Gell.
Dort läßt sich schon ein Irrlicht sehn.
Dort lässet sich die Taube girrend hören, Haged. O Thor, läßt
Zevs sich zornig hören, Gell.
Sich auf der Flöte, auf der Violine hören lassen. Laß einmahl
hören! sage es. Ich wills die Armen schon genießen lassen, Gell. Ich werde mich
dankbar finden lassen. Laß mich die geringsten deiner Sorgen empfinden, Dusch.
Einen etwas kosten lassen, es ihm zu kosten geben. Ein Haus bauen, ein Buch
drucken, ein Kind taufen lassen. Hierher gehöret auch derjenige Gebrauch dieses
Zeitwortes da man den Imperativ anderer Sprachen vermittelst desselben
[
1915-1916] auszudrucken pflegt. Laßt uns die Prüfungen
des Himmels gehorsam erdulden. Laßt uns in zärtlicher Umarmung den kommenden
Morgen bewachten, Geßn. Wenn wir die Tugend für etwas halten, so laß und das
Glück segnen, welches uns mit ihren Empfindungen bekannter macht, Dusch. Ich
weiß nicht, wo das Ängstliche und Gezwungene befindlich seyn soll, welches man
dieser Art des Ausdruckes beylegt. Wenigstens hat sie Ursache, sich von dem
Oberdeutschen, daß wir also das Glück segnen, oder, segnen wir also das Glück,
verdrängen zu lassen. In manchen Fällen bleibt auch hier das Zeitwort weg. Blut
lassen, dessen Ausfluß durch Offnung der Ader bewerkstelligen, wofür man im
gemeinen Leben sagt, die Ader lassen, oder zur Ader lassen. Sich gegen jemanden
heraus lassen, ihm etwas eröffnen. Besonders von gewissen Arten der langsamen
Bewegung nach unten zu. Sich niederlassen, sich setzen. Sich auf die Knie
lassen. Besonders vermittelst eines Seiles. Einen Sack Getreide von dem Boden
lassen. Sich in den Brunnen lassen. Daher nach einer noch weitern Figur, sich
zu jemanden herab lassen, sich nach seinem niedrigen Staude, Schwachheiten,
Vorurtheilen u. s. f. bequemen. Anm. 1. Wenn dieses Zeitwort noch ein anderes
im Infinitive bey sich hat, so ist es alle Mahl ein Neutrum, stehet es aber
ohne ein Zeitwort, so wird es zuweilen thätig und kann auch im Passivo
gebraucht werden. Das Zeitwort, welches dem lassen beygesellet wird, stehet
alle Mahl im thätigen Infinitive der gegenwärtigen Zeit ohne zu. Laß ihn
kommen, befiehl, veranstalte, daß er komme. Welcher thätige Infinitiv auch
bleibt, wenn gleich der Verstand den leidenden erfordert. Man ließ ihn rufen,
so wohl, man erlaubte, daß er rufen konnte, als auch, man befahl, daß er
gerufen würde. Weiches denn freylich zuweilen eine Zweydeutigkeit macht; z. B.
man lasse ihn würgen, wo nur der Zusammenhang entscheiden kann, ob würgen
thätig oder leidend verstanden werden muß. Lassen selbst verlieret, wenn es in
Verbindung mit einem andern Zeitworte in einem zusammen gesetzten Tempore
stehet, sein Augment ge. Ich habe es ihm schreiben lassen, nicht schreiben
gelassen. Doch alles dieses hat es mit den Zeitwörtern sehen, hören, lernen.
lehren, wollen, können, müssen, dürfen, mögen und heißen gemein; welches aber
noch nicht hinreicht, es zu einem Hülfsworte zu machen, wie von vielen
Sprachlehrern geschiehet. Wenn der Casus der Person sich auf das bey lassen
befindliche Zeitwort beziehet, so bleibt derselbe auch in dieser Verbindung
unverändert. Er hat mich grüßen lassen, weil grüßen die vierte Endung
erfordert. Laß die an meiner Gnade gnügen. Laß dir sagen. Laß mir deine Hand
beystehen, Ps. 119, 173. Laß mir deine Barmherzigkeit widerfahren, Ps. 119, 77.
Weil die Zeitwörter genügen, sagen u. s. f. schon an und für sich die dritte
Endung erfordern. Beziehet sich aber die Person auf das Zeitwort lassen, so
löse man die ganze Redensart auf. Stehet alsdann die Person in der ersten
Endung, so muß sie in Verbindung mit dem lassen und dem dazu gehörigen
Zeitworte in der vierten stehen. Laß ihn nichts davon merken, d. i. macht,
veranstalte, daß er nichts davon merke. Du lässest mich erfahren viele und
große Angst, Ps. 71, 20. Er ließ sie es fühlen. Richt. 18, 16. Er wolt sys
lassen wissen vor, Theuerd. Kap. 84. So laß michs wissen bey der Zeit, Kap. 66.
Meine Frau darf ichs nicht wissen lassen, Gell. An einem andern Orte hingegen
gebraucht Gellert unrichtig die dritte Endung: da kann ich ihnen die
Geschicklichkeit meiner Frau sehen lassen, wo es sie heißen
[
1915-1916] muß, weil in allen diesen Fällen bey der
Auflösung die Person in der ersten Endung zu stehen kommt. Machen, veranstalten
sie, daß ich es sehe, daß er es wisse u. s. f. Anm. 2. Dieses sehr alte
Zeitwort lautet im Oberdeutschen und in den damit verwandten Sprachen und
Mundarten schon von des Kero Zeiten an lazzan, lazin, im Imperf. schon im 8ten
Jahrhunderte ich liaz, im Ital. lasciare, im Französ. laisser, im Wallach.
lasce. Im Ungarischen lassadom und im Lappländ. laazhiidam, ich lasse nach.
Andere, besonders nördlichere Sprachen und Mundarten, verwandeln den Zischlaut
ihrer Gewohnheit nach in ein t, wie das alte Gothische letan bey dem Ulphilas,
das Nieders. laten, das Angels. laetan, das Engl. to let, das Schwed. lata, das
Dänische. lade. Noch weichere Sprachen stoßen das t oder g gar aus, wie das
alte Oberd. laan, das Friesische lehn, das Albanische lin, und in dem
Irländischen ligim löset es sich gar in einen Gaumenlaut auf. Daß es mit los,
laß, dem Nieders. lat, späte, und dem Latein. laxare, genau verwandt ist, ist
wohl gewiß; ob sich gleich der erste und ursprüngliche Stammbegriff wegen hohen
Alters und vielfachen Gebrauches nicht mit Gewißheit angeben lässet. Einige
Sprachen und Mundarten haben noch ein anderes ähnliches Zeitwort, welches der
Gegensatz unsers lassen ist, und verhindern bedeutet; wie das Gothische latjan,
das Schwed. lätja, das Angels. laetan, das Isländ. letia, das Niedersächs.
lerten. Allein dieses stammet wohl unmittelbar von dem Niederdeutschen lat,
spät, ab. [
1915-1916]