Können
Können,
[
1705-1706] verb. irreg. neutr. Präs. ich
kann, du kannst, er kann, wir können u. s. f. Conj. ich könne; Imperf. ich
konnte; Conj. ich könnte; Mittelw. gekonnt. Es erfordert das Hülfswort haben,
und bedeutet überhaupt, kein überwiegendes Hinderniß haben, zu seyn, oder etwas
zu thun. Es wird alle Mahl mit der ersten Endung der Person, und dem Infinitive
des folgenden Zeitwortes verbunden, da denn auch können in den zusammen
gesetzten Zeiten in den Infinitiv gesetzt wird. Ich kann es nicht sehen, ich
habe es nicht sehen können, für nicht sehen gekonnt. Es bedeutet, 1. In engerm
Verstande, möglich seyn, durch keinen innern oder äußern Widerspruch gehindert
werden, zu seyn oder etwas zu thun. Alles; was seyn kann ist möglich. Ein
Dreyeck kann nicht rund seyn. Kann wohl ein Stein Öhl geben? Das kann nicht
seyn, das ist unmöglich. Da Gott nichts wollen kann, als meine Wohlfahrt, Gell.
Sie könnten es für einen Eigensinn halten, aber es ist es nicht. Der gnädige
Herr könnte was Böses im Sinne haben. In der Unruhe könnte ich mich übereilen.
Julchen kann ihnen gewogen seyn, aber Lottchen ist ihnen noch gewogener, Gell.
Der Spaß könnte mir theuer zu stehen kommen. Könnte er nicht indessen gestorben
seyn? So kann ein ehrlicher Mann unschuldig in die Rede kommen. Setzen sie das
Grausamste, das mir begegnen könnte. Er kann ja wohl andere Geschäfte haben.
Kann man überall Weisheit und Ordnung in den Werken der Natur bemerken und kein
Verlangen fühlen, in seinem eigenen Verhalten auch Weisheit, auch Ordnung zu
beobachten? Gell. 2. In weiterer Bedeutung, durch keine wesentliche oder
zufällige Einschränkung gehindert werden, zu seyn, oder etwas zu thun. 1)
Überhaupt, ohne nähere Bestimmung des Hindernisses. Das Wasser kann nicht
ablaufen. Die Uhr kann nicht gehen. Eine Brücke, daß man darüber fahren kann.
Das kannst du mit nichts beweisen. Das kann unmöglich bewiesen werden. Wie
glücklich ist er, daß er schlafen kann! Ich wollte gern, aber ich kann nicht.
Das kann mir nicht helfen. Er konnte nicht anders, als gehorchen, er mußte
nothwendig gehorchen. 2) Besonders, mit Beziehung auf die besondere
Einschränkung, welche das Seyn oder Wirken hindert; wo es so viele Classen der
Bedeutung gibt, als besondere Arten der Einschränkung oder der Hindernisse
möglich sind. Hier sind einige der vornehmsten. (a) In Ansehung der natürlichen
Schranken der Dinge, Kräfte, Vermögen haben, etwas zu thun oder zu leiden. Ein
Stein kann nicht denken. Gott kann alles, was er will. Man kann nicht alles
wissen. So bald es neune schlagt, läuft sie, was man laufen kann, Gell. aus
allen Kräften. Ich kann diese Last nicht tragen, sie übersteigt meine Kräfte.
Er ißt so lange, bis er nicht mehr kann. Ich hätte leicht hinter diese Sache
kommen können. Man kann nicht wissen, eine im gemeinen Leben übliche
Versicherung der Möglichkeit einer Sache. Er kann nicht Widerstand thun. Dafür
kann niemand gut seyn. (b) In Ansehung der Gelegenheit, Veranlassung, und
anderer zufälligen Umstände. Jetzt können wir uns rächen, jetzt hätten wir
Gelegenheit dazu. Vielleicht kann er uns nützlich seyn.
Hier kannst du inne werden Wie in der Welt sich alles billig
fügt, Gell.
Wenn meine Thränen dich nicht überzeugen können. So viel ich
habe verstehen können. Ich kann mich nicht darauf besinnen. Ich komme so bald
ich kann. Er könnte nun schon zu Hause seyn. Wie konnte ich auf den Gedanken
kommen? Können sie glauben, daß ich ihre Partey gegen meine Schwester habe
halten müssen? (c) In Ansehung der Macht und Gewalt. Er kann mir schaden. Das
sind Leute, die uns Gutes thun können. So kann wohl ein König sprechen. (d) In
Ansehung des Rechts, ingleichen der gesellschaftlichen Einschränkung, durch
kein entgegen stehendes Recht, durch kein Gesetz gehindert werden. Er kann uns
nicht verklagen, er hat kein Recht dazu. (e) In Ansehung der moralischen
Einschränkung, durch die Billigkeit, durch die sittlichen Pflichten nicht
gehindert werden. Mehr kann man nicht von ihm verlangen. Es ist mein Kind, und
das kann ich nicht verlassen. Ich kann die ihrige nicht seyn. Je nun, man kann
ja wohl einem Mädchen gut seyn, Weiße. Er hat sie ja von mir, wie kann er sie
verschenken? Gell. Man kann ja wohl der menschlichen Schwachheit eine Thräne
erlauben, Sonnenf. (f) In Ansehung der Erlangniß, wo es eine mit
Gleichgültigkeit verbundene Einwilligung bezeichnet. Du kannst dich zu uns
setzen. Er kann kommen. Die Hand kannst du mir küssen, Gell. Wo sich oft eine
Art eines Geheißes mit [
1707-1708] einschleicht. Du kannst
ihn versichern, daß ich es weiß. Du kannst mir glauben. Das kannst du bleiben
lassen. So kann er hingehen, wenn er nicht folgen will. (g) In Ansehung der
Einsicht, der Überzeugung, durch keine überwiegende gegenseitige Einsicht oder
Überzeugung gehindert werden. Ein Mann von ihrem Verstande kann noch ein
solches Vorurtheil hegen? Können sie noch die Wahrheit für Schmeicheley halten?
Das kann ich unmöglich glauben. Wie habe ich mir das vorstellen können? Das
kann ich nicht billigen. (h) In Ansehung des Willens, durch keine überwiegende
Neigung oder Empfindung gehindert werden. Er kann kein Blut sehen. Ich kann
nicht alle Speisen essen. Er konnte sie nicht leiden. Er kann das Spotten nicht
lassen. Wie konnte ich das über das Herz bringen? Du kannst dich noch
verantworten? Wie, du kannst mir noch widersprechen? Wird er ein Barbar seyn,
und sein Herz verhärten können? Wie hast du dich in dieß Elend stürzen können?
Wer andre necken kann, muß wieder Scherz verstehn, Gell.
Die Mama konnte mir vorhin zumuthen, ich sollte ihn hassen,
Gell. Wer kann denen, die unschuldig leiden, Bewunderung versagen? (i) In
Ansehung der Geschicklichkeit, Fertigkeit, Übung in einer Sache besitzen. Er
kann vortrefflich trinken. Gut schreiben, rechnen, tanzen, reiten können. Viele
Künste können. Französisch sprechen können. Viele Sprachen können. Was kann er?
Er kann nichts. Man muß ein Ding recht können. Wenn du einmahl alles kannst,
was die vornehmen Weiber können müssen. Er kann auch ein Liedchen davon singen,
er hat es auch erfahren. Ehedem wurde es in noch weiterer Bedeutung für wissen
gebraucht, in welchem Verstande schon bey dem Ulphilas kunna, und im Griech.
-
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , vorkommen. (k) In
Ansehung des Gedächtnisses, auswendig wissen; im Schwed. kunna. Seine Lection
können. Etwas auswendig können. Er kann hübsche Lieder. (l) Ein sonderbarer,
allem Ansehen nach elliptischer Gebrauch dieses Zeitwortes ist es, wenn es mit
dafür verbunden wird, die wirkende oder veranlassende Ursache eines Übels zu
bezeichnen; wo es doch am häufigsten verneinender Weise gebraucht wird. Ich
kann nichts dafür, ich bin nicht Schuld daran. Was kann denn ich dafür? Er ist
unschuldig, er konnte gewiß nichts dafür. Kann die Welt etwas dafür, daß sich
ein großer Geist in ein schlechtes Kleid versteckt? Rab. Wenn Gellert das dafür
wider den Sprachgebrauch theilete, so geschahe es aus dichterischer Freyheit.
Was kann denn ich für das, was selbst die Liebe thut? Gell.
Anm. 1. Der Imperativ und das Mittelwort der gegenwärtigen
Zeit sind von diesem Zeitworte nicht üblich. Der erstere ist wider Natur der
Sache, weil man niemanden befehlen kann, kein Hinderniß zu haben. Die
Wortfügung mit dem Infinitiv, und die Verwandelung des gekonnt in den
Infinitiv, wenn ein anderer Infinitiv dabey ist, hat es mit den Zeitwörtern
helfen, sehen, hören, wollen, sollen, mögen u. s. f. gemein. Indessen wird doch
mehrmahls dawider gesündiget.
Die warlich nicht gekonnt so sehr betrogen werden, Opitz.
für: die nicht so sehr betrogen werden können. Schreiben
hätte er doch zum wenigsten gekonnt, Rab. für: er hätte doch zum wenigsten
schreiben können. [
1709-1710] Anm. 2. Oft wird dieses
Zeitwort im Infinitiv sehr überflüssig gebraucht, wenn dessen Begriff schon in
dem vorher gehenden Ausdrucke liegt. Er ist im Stande etwas dazu beytragen zu
können; wo im Stande seyn schon den Begriff des Könnens mit einschließt. Man
löse diese Redensart mit daß auf, so fällt das Fehlerhafte sogleich in die
Augen. Er ist im Stande, daß er etwas dazu beytragen kann, wird wohl niemand
sagen; wohl aber, er ist im Stande, etwas dazu beyzutragen. In andern Fällen
ist zwar Tavtologie, aber die ganze Wortfügung ist doch wider die Analogie der
Deutschen Sprache, wie in dem von Herrn Recht. Heinze getadelten Beyspiele: der
Staat scheint sich einen allgemeinen Nutzen davon versprechen zu können. Herr
Heynatz sucht dieser und andern ähnlichen R. A. zwar in seinem 47sten Briefe
das Wort zu reden; allein er hat vielleicht nicht bedacht, daß dieses eine
Französische Wortfügung ist, welche bloß durch ungeschickte Übersetzer so
häufig geworden. Die Deutsche Sprache gebraucht dafür das Bindewort daß. Es
scheint, daß sich der Staat einen allgemeinen Nutzen davon versprechen könne.
Er versichert, daß er Französisch sprechen könne, für: er versichert
Französisch sprechen zu können. Er versicherte, daß er dieses nicht thun dürfe,
für: er versicherte, dieß nicht thun zu dürfen. Anm. 3. Bey dem Notker für
wissen chunnen und quunnen, bey dem Willeram kunnon, im Nieders. könen, im
Schwed. kunna, im Dän. kunne, im Angels. connan, im Engl. to can. Wahr ist es,
daß es in der Bedeutung des Wissens im Deutschen und den verwandten Sprachen am
frühesten vorkommt; daß aber diese darum die erste und eigentliche seyn sollte,
wie Ihre glaubt, ist nicht wahrscheinlich, weil diejenigen Bedeutungen der
Wörter, welche Wirkungen des Geistes bezeichnen, alle Mahl Figuren körperlicher
Handlungen sind. (
S. Kennen, welches vermuthlich mit diesem Zeitworte verwandt
ist.) Im Hebr. ist -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image -
recht machen. In einigen gemeinen Mundarten lautet das Imperf. ich kunnte, und
das Mittelw. gekunnt; welches u sich auch in Kunst und dessen Geschlechte
erhalten hat. [
1709-1710]