2. Der Ketzer
2. Der Ketzer,
[
1561-1562] des -es, plur. ut nom. sing.
Fämin. die Ketzerinn, eine Person, welche Grundirrthümer in der Heilsordnung
behauptet, und in weiterer, besonders in der Römischen Kirche üblichen
Bedeutung, eine jede Person, welche von dem angenommenen Lehrbegriffe nur in
einem oder dem andern Stücke abweichet; beydes in hartem und beleidigendem
Verstande. Im Scherze wird auch wohl ein jeder, welcher in einer oder der
andern Sache von den angenommenen Meinungen oder herrschenden Grundsätzen aller
Art abweicht, ein Ketzer genannt. Anm. Im Schwabenspiegel, um welche Zeit
dieses Wort im Deutschen vielleicht zuerst vorkommt, Ketzer, im Niedersächs.
Ketter, im Dän. Kiätter, im Schwed. Kaettare, im Pohln. Kacerz. Man hat eine
Menge Ableitungen dieses dunkeln Wortes in Vorschlag gebracht, ohne daß man
dadurch der Gewißheit viel näher gekommen wäre. Ich will hier nur einige der
wahrscheinlichsten anführen, vorher aber anmerken, daß dieses Wort bey unsern
ältesten Alemannischen und Fränkischen Schriftstellern nicht vorkomme; indem
Notker theils sich statt dessen der Wörter Irrar, Keloubirre, Globirre,
Loubirre, bedienet, theils das Lat. Haereticus behält. Zwar wird in Raban Mauri
Glossario Secta durch Cazam erkläret, wofür Diecmann Cazari lesen will; allein
diese Verbesserung ist zu willkührlich, zumahl da dieses Wort noch mehrere
Jahrhunderte nach dem Raban nicht gefunden wird. Die vornehmsten Ableitungen
sind folgende. 1) Von dem Lat. Haereticus, welcher Meinung Frisch beypflichtet,
und sie dadurch unterstützet, daß in Luthers Schriften und bey dem Kaisersberg
mehrmahls Kerzer und Kerzerey vorkommen. Überdieß ist bekannt, daß die meisten
kirchlichen Ausdrücke der Deutschen aus dem mittlern Lateine entlehnet, oder
doch buchstäblich nach demselben übersetzt sind. 2) Andere kehren es um und
lassen das mittlere Lat. Haereticus nach dem Deutschen Ketzer gebildet seyn,
und leiten dieses von katzen, kätzen, verbinden, anhängen, ab, (
S. 2. Katze.) Allein das mittlere Lat. Haereticus,
welches aus dem Griech. herstammet, ist älter als die christliche Religion in
Deutschland, und war schon zu Augustini Zeiten völlig gangbar. Indessen ist es
nicht unwahrscheinlich, daß man Haereticus von haerere abgeleitet, und nach
dieser Abstammung auch das Deutsche Ketzer von dem gedachten katzen gebildet
habe. In figürlichem Verstande kommt ketsen im Holländischen und im
Oberdeutschen ketschen, keschen, in den vorigen und neuern Zeiten noch häufig
vor, so wohl für nachfolgen, sectari, als auch thätig, für ziehen, hinter sich
her schleppen, wovon Frisch bey dem Worte Ketschen nachgesehen werden kann.
Ketzer würde also ursprünglich einen Anhänger, Nachfolger bedeutet haben. 3) Da
noch in den gemeinen Mundarten ketzern, durch gemachte Ritzen theilen, spalten,
üblich ist, (
S. Aufketzern,) welches ein Frequentativum von dem alten
katten, katsen, schneiden zu seyn scheinet, so haben einige es daher geleitet,
und Ketzer durch einen Sectirer erkläret, der Spaltungen in der Religion macht.
4) Im 15ten und 16ten Jahrhunderte wurde Ketzer, so wie das Schwed. Kaettare,
mehrmahls von einem Sodomiten und in weiterer Bedeutung von einem jeden im
höchsten Grade lasterhaften Menschen gebraucht. Schon Königshoven gebraucht
Kezery für Sodomiterey, und Kaisersberg erwähnet der Kuhketzer, Bubenketzer,
Frawenketzer, und an einem andern Orte nennet er die Sodomiterey der Walen
Ketzerey, weil sie besonders in Italien sehr üblich war. Noch Matthesius
braucht Eheketzerey für Ehebruch, und Stumpf Ketzerey für Laster, Bosheit: Er
hatte sich mit Diebstahl, und Mord in aller Ketzerey gehalten. Zum Unterschiede
nannte man alsdann die Abweichung in Glaubenslehren die Ketzerey an dem
Glauben. Wachter leitet es in dieser Bedeutung von dem Ital. Cazzo, penis, Ihre
aber von dem Schwed. kat, leichtfertig, geil, Kättja, Geilheit, und dem
Holländ. kesan, keysen, huren, und Ketsmerie, ein brünstiges Pferd, her. Da dem
Worte Ketzer, besonders in der Römischen Kirche, ein sehr verhaßter
Nebenbegriff anklebet, so haben einige geglaubt, daß man es aus Haß von dieser
eigentlichen Bedeutung auf die kirchliche übergetragen habe. In dem Augsburg.
Stadtrechte aus dem 13ten Jahrhunderte heißt es Kap. 269: Wer den andern mußet
(heißet) ainen Ketzer, ain mainaider, oder ainen dieb, ain verräter, ain
räuber, ain bößwicht u. s. f. Im mittlern Lat. bedeutet Gazara eine Hexe. 5)
Viele Wahrscheinlichkeit hat endlich auch die Meinung derjenigen für sich,
welche es von Catharus ableiten, einem [
1563-1564] Nahmen,
welchen sich die Novatianer anfänglich selbst gaben, von dem Griech. -
hier
nichtlateinischer Text, siehe Image - rein, und welchen man nachmahls auch
im verächtlichen Verstande den Waldensern und anderen abweichenden
Religionsparteyen beylegte. Die Waldenser bekommen ihn im zwölften und den
folgenden Jahrhunderten in der herrschenden Römischen Kirche sehr oft, und da
diese die zahlreichsten und furchtbarsten Gegner der herrschenden Kirche waren,
zu gleicher Zeit auch das Deutsche Wort Ketzer gangbar wird, so ist es
wahrscheinlich, daß dieses Wort nachmahls einem jeden, der in
Religionswahrheiten abweicht, geblieben ist. Schon die Italiäner verwandelten
das th in Catharus in den Zischlaut, und nannten einen Waldenser Gazaro, im
mittlern Lat. Cazerus, Gazarus. In einer Österreichischen Urkunde von 1317 in
Duellii Excerptis hist. geneal. S. 45. unterschreibt sich Heinrich der Chetzer.
[
1563-1564]