Die Kammer
Die Kammer,
[
1479-1480] plur. die -n, Diminut.
Kämmerchen, Oberd. Kämmerlein. 1. In der weitesten und eigentlichsten
Bedeutung, ein jeder hohler Raum, eine Höhle; in welcher Bedeutung es nur noch
in einigen einzelnen Fällen üblich ist. Fehlerhafte Gruben in der Seele einer
Kanone oder eines andern Geschützes heißen Kammern. In einem andern Verstande
ist die Kammer die hinterste Höhle eines Mörsers oder einer Haubitze, worein
das Pulver geladen wird, (
S. Kammerstück,) In der Landwirthschaft wird eine leere
Stelle an dem Kummet, woraus man die Füllhaare gezogen hat, weil sie das Pferd
drückten, eine Kammer genannt. Die Höhlung der Schwanzschraube an einem
Schießgewehre heißt die Kammer. Die Höhlen der Thiere unter der Erde sind sehr
häufig unter dem Nahmen der Kammern bekannt, so wie die Höhlen in dem Herzen
unter dem Nahmen der Herzkammern. Im mittlern Lateine ist Camara eine Scheide.
2. Ein eingeschlossener Raum; gleichfalls nur noch in einigen einzelnen Fällen.
So pflegen die Jäger den mit dem Zeuge umstellten Ort in einem Jagen zunächst
an dem Auslaufe, in welchen das eingetriebene Wild in die Enge gebracht wird,
die Kammer zu nennen. In engerer Bedeutung bezeichnete es ehedem einen oben
gewölbten, mit einem Gewölbe eingeschlossenen Raum, in welcher Bedeutung schon
das Griech. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , das mittlere
Latein. Camera, und das alt Franz. Cambry, vorkommen.
S. auch Kammerwagen. 3. In engerer Bedeutung, ein jedes
Zimmer oder abgetheilter Theil eines Hauses. 1) Im weitesten Verstande für
Zimmer; im mittlern Lat. Camera, Franz. Chambre, Ital. Camera, welches Wort
selbst mit Kammer verwandt ist. (a) In dieser Bedeutung, in welcher es dem
weitesten Umfange nach für sich allein im Hochdeutschen veraltet ist, kommt es
noch häufig in der Deutschen Bibel vor. Und Benhadad flohe in die Stadt von
einer Kammer in die andere, 1. Kön. 20, 30; und so in andern Stellen mehr. Es
ist hier nur noch in den Zusammensetzungen Schatzkammer, Kunstkammer,
Naturalien-Kammer, Antiquitäten-Kammer, Gewehrkammer u. s. f. üblich, wo es
vermuthlich wohl zunächst die vorige Bedeutung eines Gewölbes hat, obgleich
dergleichen Kammern nicht alle Mahl mehr Gewölbe, sondern oft nur große lange
Säle sind, da sie denn am häufigsten Gallerien genannt werden. Die Silberkammer
ist an den Höfen, ein Behältniß oder großes Zimmer, worin das Silbergeschirr
verwahret wird, die Lichtkammer, ein Zimmer zur Aufbewahrung der Lichter u. s.
f. Auf eben diese Art ist die Kammer-Musik, im Gegensatze der Kirchen- und
Theater-Musik, diejenige Musik, welche in den Zimmern aufgeführet wird, wo denn
einige neuere Tonkünstler auch das einfache Kammer, nach dem Muster des Franz.
Chambre, im Singular wieder eingeführet haben. Stücke, welche ausdrücklich für
die Kammer gesetzt sind, in Zimmern aufgeführet zu werden. Die freye
musikalische Schreibart herrscht auf dem Theater und in der Kammer. Wo eben
nicht bloß fürstliche Zimmer zu verstehen sind.
S. Kammer-Musik, und Kammer-Styl. (b) Figürlich
bezeichnet es alsdann auch die sämmtlichen zur Aufsicht über ein solches Zimmer
und darin befindlichen Sachen bestellten Personen. So gehören zur
Hof-Silberkam- mer in Dresden, der Silberkämmerer, der Silberdiener, der
Silberschreiber, die Silberwäscherinn u. s. f. 2) In engerer Bedeutung. (a) Die
Wohnzimmer eines Fürsten; im mittlern Lateine Camera, Franz. Chambre, Schwed.
Kamar. (aa) Eigentlich, in welcher Bedeutung es nur in den Zusammensetzungen
Kammerherr, Kammerjunker, Kammerdiener, Kammerlackey, Kammerpage u. s. f.
üblich ist, solche Personen zu bezeichnen, welche zur nächsten Bedienung des
Herren in seinen geheimen Zimmern bestimmt sind, zum Unterschiede von ähnlichen
Personen, deren Titel mit Hof - zusammen gesetzet sind. Kammer - bedeutet in
solchen Zusammensetzungen so viel als in andern das Wort Leib - obgleich auch
Fälle vorkommen, wo beyde noch verschieden sind. In vielen Fällen, in welchen
man ehedem das Wort Kammer in diesem Verstande gebrauchte, ist jetzt das Franz.
Cabinett eingeführet. (bb) Figürlich auch die zur nächsten Bedienung der Person
eines großen Herren in den Zimmern seiner Residenz gehörigen sämmtlichen
Personen. So bestehet die Kammer des Churfürsten von Sachsen aus den
Kammerpagen, dem geheimen Secretär, dem Secretär, dem Cassirer, dem geheimen
Kämmerier, den Kammerdienern, dem Friseur, dem Leibschneider, dem
Kammerthürhüther und andern geringern Personen; worunter manche noch von denen
verschieden sind, welche auf der Reise und auf der Jagd gebraucht werden. (b)
Das Zimmer, worin die Einkünfte eines Fürsten oder einer Gemeinheit verwahret
werden. (aa) Eigentlich; im mittlern Lat. Camera, welches in dieser Bedeutung
schon bald nach den Zeiten Carls des Großen vorkommt, weil die großen Herren
ihre Einkünfte und Schätze ehedem unmittelbar in ihren Wohn- und Schlafzimmern
zu verwahren, und gemeiniglich auch selbst zu verwalten pflegten; im mittlern
Griech. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - Camera est locus,
in quem thesaurus recolligitur, vel conclave, in quo pecunia reservatur, heißt
es bey dem Ockam. Kamerhort bedeutet bey einem der Schwäbischen Dichter einen
geheimen Schatz. In dieser Bedeutung ist es heut zu Tage veraltet, wo es (bb)
nur noch figürlich ein Collegium der zur Verwaltung der landesfürstlichen
Einkünfte bestellten Räthe und Bedienten bezeichnet; wo es doch fast in jedem
Lande auf andere Art eingeschränkt und eingerichtet ist. In manchen Provinzen
hat die Kammer, oder wie sie auch heißt, die Hofkammer, die Rentkammer u. s. f.
die sämmtlichen Einkünfte eines Landesherren zu verwalten, in andern nur die so
genannten Kammer- oder Tafelgüter, in andern noch andere Zweige der Einnahme.
In manchen Provinzen ist sie das oberste Collegium in solchen Angelegenheiten
welche die Einkünfte eines Landesherren betreffen; in manchen aber ist sie
einem besondern Finanz-Collegio oder einem andern untergeordnet. In einigen ist
sie von der Rentkammer oder Renterey nicht verschieden; in andern machen diese
einen untergeordneten Theil derselben aus.
S. Kammer-Collegium und viele der folgenden
Zusammensetzungen, wo ich diese Art der Kammer die Finanz-Kammer nennen will,
um sie von andern Arten zu unterscheiden. Kleinere Herren, Städte, Gemeinheiten
u. s. f. nennen ein solches Collegium gemeiniglich die Kämmerey. (cc) Der
öffentliche Ort, wo sich die zu einem Kammer-Collegio gehörigen Personen
versammeln. Auf die Kammer gehen. Von der Kammer kommen. Bey kleinern Herren
und Gemeinheiten gleichfalls die Kämmerey. (dd) Die zu den unmittelbaren
Bedürfnissen eines Landesherren und seines Hofstaates gehörigen Güter und
Einkünfte selbst; im mittlern Lat. Camera. Doch nur noch in einigen
Zusammensetzungen.
S. Kammerknecht. (c) Ein Zimmer oder Gebäude, in welchem
sich die zur Handhabung des Rechtes und der Gerechtigkeit bestimmten Personen
versammeln. (aa) Eigentlich; eine größten Theils veraltete Bedeutung, welche
nur noch in denjenigen Orten üblich ist, wo dieses Wort in der folgenden
Bedeutung gebraucht wird. (bb) Figürlich, ein solches Collegium selbst; wo es
nur noch in einigen Fällen üblich ist. Das vornehmste Collegium dieser Art ist
die kaiserliche und des Reichs Kammer zu Wetzlar, das höchste Reichsgericht
über die Reichsstände und ihre Unterthanen, welches vollständiger das
Kammergericht genannt wird. Nach dem Muster dieses Gerichtes errichteten
verschiedene Reichsstände in ihren Landen solche Kammern oder Kammergerichte,
welche theils noch vorhanden sind, theils andern ähnlichen Collegiis haben
Platz machen müssen, theils gar verändert und eingeschränket worden sind. (
S. Kammergericht,) Da diese Gerichte anfänglich die
höchsten Gerichte eines Landes waren, so scheinet es, daß mit ihrer Benennung
zunächst die Wohnzimmer des Landesherren gesehen worden, um dadurch ihre
Unabhängigkeit von andern Gerichten, außer dem Landesherren selbst, zu
bezeichnen. Hingegen ist in einigen Niedersächsischen Städten, so wie in
Schweden, die Kammer ein Untergericht, welches unter dem Vorsitze des Kämmerers
oder Kämeners in Injurien- und Ehesachen erkennet, und auch das Kämmereygericht
genannt wird. (d) Ein kleineres verwahrtes Zimmer über der Erde ohne Ofen, in
welcher Bedeutung es im gemeinen Leben am üblichsten ist; im Nieders. Kamer.
Dadurch, daß es über der Erde ist, unterscheidet es sich von einem Keller,
durch den Mangel des Ofens von einer Stube, durch die geringere Größe von einem
Saale oder Boden, und durch die bessere Verwahrung von einem Stalle. In einer
Kammer schlafen, wohnen. Nach Maßgebung des verschiedenen Gebrauches bekommt es
besondere Nahmen; z. B. Speisekammer, Holzkammer, Vorrathskammer, Rollkammer,
Milchkammer, Rauchkammer, Bettkammer, Kohlenkammer, Schlafkammer u. s. f.
welche letztere man im engsten Verstande unter der Kammer schlechthin
verstehet. Anm. Bey dem Kero bedeutet Chamara eine Zelle, bey dem Ottfried
Kamaru, im Tatian Kamara und bey dem Notker Chamer, ein jedes Zimmer, im Engl.
Chamber, im Franz. Chambre, im Ital. Camera, im Böhm. und Pohln. Komora, im
Wallachischen Kumpa, im Alban. Kumpe. Die meisten sind in der Ableitung dieses
Wortes auf das alte Bretagnische Camm, krumm, cammo, ich krümme, Griech.
-
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , gefallen, und erklären
es durch ein gewölbtes Zimmer; worin ihnen schon Papias vorgegangen ist.
Camera, heißt es bey ihm, a curvitate dicta, est enim volumen introrsum
respiciens. Camera quia camura, i. e. curva, dicitur lapidea domus. Allein aus
den beyden ersten Bedeutungen erhellet, daß man noch ein wenig weiter hinauf
gehen müsse; zumahl da es schon Kero, einer unserer ältesten Schriftsteller,
bloß von einer Zelle gebraucht. Doch auch bey dem Begriffe einer Höhle findet
der Begriff der Krümme Statt, man wollte es denn lieber von bedecken herleiten,
da es denn zu Heim gehören, ja seiner ersten Hälfte nach eine härtere
Aussprache dieses Wortes seyn würde. Im Lappländ. ist Kiemi eine Hütte. Zur
weitesten Bedeutung gehöret auch das noch hin und wieder übliche Kieme, ein
Fischohr,
S. dasselbe. Die Herzkammer heißt in den alten
Friesischen Gesetzen Hertchamon. Die Sylbe -er ist die gewöhnliche
Ableitungssylbe, welche ein Werkzeug, oft aber auch ein handelndes Ding selbst
bedeutet. Kammer würde also einen Ort bedeuten, der etwas verbirget, oder zu
verbergen geschickt ist; eine Bedeu- [
1483-1484] tung, aus
welcher sich alle andere sehr natürlich und ungezwungen herleiten lassen.
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1483-1484]