- Iren
- Iren,
[
1391-1392] eine Endsylbe vieler,
besonders aus fremden Sprachen entlehnten Zeitwörter, welche noch dem Muster
der Latein. Zeitwörter auf are, ere und ire gebildet ist, und vermöge welcher
man fast allen Lateinischen und Französischen Zeitwörtern ein Deutsches Ansehen
geben kann, und im gemeinen Leben wirklich gibt. Dergleichen sind studiren,
formiren, rebelliren, barbiren, tapeziren, spaziren, marschiren, colligiren,
amüsiren, complimentiren, parliren, protestiren, flattiren, prozessiren und
tausend andere mehr, welche theils als Kunstwörter in verschiedenen Künsten und
Wissenschaften einmahl eingeführet worden, theils aus Unwissenheit der
gleichbedeutenden Deutschen Wörter, oder aus kindischer Ziererey im gemeinen
Leben von vielen bis zum Ekel gebraucht werden. Einige Zeitwörter, welche vor
dem iren noch ein i haben, werden gemeiniglich zur Ungebühr um dasselbe
gebracht. Injuriren, vicariren, variren, pronunciren u. s. f. sollten billig
injuriiren, vicariiren, variiren, pronunciiren heißen. Nur copiren ist für
copiiren beynahe schon allgemein geworden. Nach dem Notker dieser aus fremden
Sprachen entlehnten Zeitwörter, hat man auch verschiedenen vollkommen Deutschen
Wörtern diese Endung angehänget, um daraus Zeitwörter zu bilden, welche dadurch
ein ausländisches Ansehen haben. Z. B. sich erlustiren, halbiren, haseliren,
gastiren, stolziren, herbergiren, hausiren, hofiren, schattiren, hantiren,
schändiren, (in der niedrigen Sprechart für schmähen, in Baiern maulbiren,)
haftiren, inhaftiren, buchstabiren, pitschiren, spintisiren u. a. m. Es ist
nicht ausgemacht, was zu dieser, beim Anscheine nach seltsamen Bildung, Anlaß
gegeben haben könne. Entstanden diese Wörter etwa zu den Zeiten des ehemahligen
üblen Geschmackes, die anständige und zierliche Schreibart mit Brocken aus
allen Sprachen anzufüllen, weil man etwa glaubte, ein neues Wort könne
unmöglich sein Glück machen; wenn es nicht ein fremdes Ansehen habe? Oder fällt
der Ursprung dieser wörter in diejenige Zeit, da das barbarische Latein noch
die gesellschaftliche Sprache der Geistlichen und Gelehrten war, welche
Deutschen Wörtern die Lateinische Endung are anhingen und daraus Lateinische
Zeitwörter machten, welche mit dieser Larve nachmahls wieder in das Deutsche
übergegangen sind? Alle Zeitwörter auf iren, sie seyen nun wirklich fremde,
oder der ersten Hälfte nach Deutsch, werden in den zusammen gesetzten Zeiten
ohne Augment abgewandelt. Complimentirt, protestirt, haselirt u. s. f. nicht
gecomplimentirt, geprotestirt, gehaselirt; ungeachtet solches in der Sprache
des großen Haufens nichts seltenes ist. Das i ist in dieser Endung gedehnt,
daher gefragt wird, ob man diese Endung nicht billig ieren schreiben müsse? Die
meisten sind für das i; allein das ie hat doch überwiegende Gründe für sich. Es
ist das Zeichen eines gedehnten i, und wird im Deutschen fast in allen Fällen
gebraucht, wo das i gedehnt ist. selbst ausländische Wörter, welche in der
Ursprache kein ie haben, werden im Deutschen in diesem Falle mit ie
geschrieben; Klystier, Turnier u. a. m. Durch die Endung iren wollte man
fremden Zeitwörtern ein einheimisches Ansehen geben, es ist also billig, daß
man es ihnen ganz gebe, und sie, wo es seyn kann, auch in der Schreibart den
Regeln der Deutschen Sprache unterwerfe. Es scheinet, daß man schon vor Alters
von dieser Nothwendigkeit überzeuget worden, indem einige alte Wörter dieser
Art, z. B. regieren, spazieren, fast von je her mit einem ie geschrieben
worden. Warum sollen denn andere hier eine Ausnahme machen? Hierzu kommt noch,
daß manche Zeitwörter dieser Art von Hauptwörtern herkommen, in welchen das ie
nothwendig ist; z. B. quartieren von Quartier, Franz. Quartier, petschieren von
Petschier, turnieren von Turnier, revieren, bey den Jägern, von Revier,
rappieren von Rappier, visieren von Visier u. s. f. Soll man diese etwa auch
ohne e schreiben, oder soll man gar Quartir, Petschir, Rappir u. s. f.
schreiben, und dadurch einen Unkundigen verleiten, Quartirr, Petschirr zu
sprechen? [
1393-1394]