Gelinde
Gelinde,
[
535-536] -r, -ste, adj. et adv. 1.
Eigentlich. 1) Sanft, glatt, dem Gefühle nach, im Gegensatze dessen, was rauh
ist. Ihre Worte sind gelinder (glatter) denn Öhl, Ps. 55, 22. Mandelöhl macht
eine gelinde Haut, gelinde Hände. Gelindes Leder. 2) Weich, im Gegensatze
dessen, was hart ist; doch nur noch selten. Gelindes Fleisch, welches weich
aber mürbe ist. Ein gelindes Bett, ein gelindes Küssen, ein weiches, im
Oberdeutschen. Gelinde Saiten aufziehen, figürlich, nachgeben. Das Kupfer ist
gelinde, bey den Kupferstechern, wenn der Grabstichel dasselbe leicht und rein
schneidet. 2. Figürlich. 1) Die gelinde Aussprache eines Buchstaben, im
Gegensatze der harten. Jemanden, mit gelinden Worten besänftigen, mit sanften,
sanftmüthigen. Gelinde Sitten haben, im Gegensatze der rauhen. Eine parteyische
Empfehlung der Blutsfreunde ist, sie mit dem gelindesten Nahmen zu belegen, ein
frommer Betrug, Gell. 2) Einen geringen Grad der innern Stärke oder des
Prädicates überhaupt habend. Ein gelinder Regen, ein sanfter Regen. Eine
gelinde Wärme, Gelindes Wetter, im Gegensatze des kalten. Ein gelinder Wein, im
Gegensatze eines starken, feurigen. Eine gelinde Purganz, gelinde Arzeney, im
Gegensatze einer heftigen. Die Arzeney wirkt sehr gelinde. Ein gelindes Feuer
anmachen, im Gegensatze eines starken oder heftigen. Ein gelinder Wind. Ein
gelinder Schmerz. Jemanden sehr gelinde strafen. Etwas gelinde anrühren. 3)
Geneigt, in Beurtheilung anderer und in seinem Betragen gegen sie auf das
vortheilhafteste, d. i. so wie es ihre Wohlfahrt erfordert, zu verfahren; im
Gegensatze dessen was strenge ist. Niemand lästern, nicht hadern, gelinde seyn,
Tit. 3, 2. Eine gelinde Strafe. Seinen Kindern gar zu gelinde seyn. Sehr
gelinde mit jemanden umgehen. Eine gelinde Herrschaft. Gelinde Mittel
versuchen, im Gegensatze der strengen. Anm. Im gemeinen Leben Ober- und
Niederdeutschlandes oft nur linde, welches auch Sprichw. 15, 1, 15 vorkommt,
bey dem Ottfried und seinen Zeitgenossen lindo und lind, im Nieders. und Dän.
lind, im Schwed. len, im Angels. lith, im Latein. lenis. Das e am Ende ist das
e euphonicum, welches durch die gelinde Aussprache des d nothwendig wird. Bey
den Schwäbischen Dichtern kommt auch das Zeitwort gelinden vor, gelinde werden.
S. Lindern. [
537-538]