Frey
Frey,
[
287-288] -er, -este, adj. et adv. eine
Abwesenheit aller solcher Dinge zu bezeichnen, welche als eine Einschränkung,
als ein Zwang, oder als ein Hinderniß angesehen werden. I. In der weitesten und
vielleicht eigentlichsten Bedeutung, da denn die Sache, welche als abwesend
vorgestellet wird, das Vorwort von bekommt. Frey von Sorgen, von Geschäften,
von Beschwerden, von Abgaben, von Schulden, von Lastern, von Fehlern. Frey von
der Sünde, Röm. 6, 18. Frey vom Gesetz, Kap. 7, 3. Jemanden von einer Pflicht,
von der Strafe frey sprechen. Frey von Arbeit, frey von Geschäften seyn. Ein
von Sorgen freyes Gemüth. Ein von Lastern freyes Herz. So auch die
Zusammensetzungen fehlerfrey, dienstfrey, schuldenfrey, sorgenfrey, zinsfrey,
zollfrey, zweifelsfrey, accisfrey, und hundert andere, wo frey, wenn es diese
Bedeutung hat, an das Hauptwort angehänget wird. Im Oberdeutschen verbindet man
es häufig mit der zweyten Endung des Hauptwortes. Kein Mensch ist aller Sünden
frey. Und mach mich alles Kummers frey, Gryph.
Wer dich in Frieden schaut ist aller Furchten frey, Opitz.
Welches aber, die höhere und dichterische Schreibart etwa
ausgenommen, im Hochdeutschen eben so ungewöhnlich ist, als wenn dieses Wort
auch von der Abwesenheit solcher Dinge gebraucht wird, welche nicht eigentlich
als eine Einschränkung oder als ein Übel angesehen werden können. Swem si misse
vellet der ist ougen fri, Wernher von Honberg, d. i. wem sie mißfällt, der hat
keine Augen, der muß nicht sehen können. Denn daß viel Sachen so haben den
Beginn, ist aller Läugnung frey, Opitz, kann nicht geläugnet werden. II. In
engerm Verstande wird dieses Wort absolute und mit Auslassung des Hauptwortes
fast von allen so wohl körperlichen, als bürgerlichen und sittlichen Zwanges
gebraucht. Die vornehmsten mögen etwa folgende seyn. I. Frey von dem
körperlichen Zwange, oder der körperlichen Einschränkung. 1) Frey von
demjenigen, was die Bewegung hindert oder einschränket. Sich frey bewegen
können. Einen Gefangenen auf freyen Fuß setzen oder stellen. Er ist wiederum
frey. Jetzt athme ich wieder aus freyer Brust, wenn sie vorher beklemmt
gewesen. Ein freyer Eingang in ein Haus, der durch keine körperlichen
Hindernisse erschweret wird. Das Wasser hat seinen freyen Lauf, wenn derselbe
durch nichts gehindert wird, Einer Sache ihren freyen Lauf lassen, sie nicht
hindern, auch im figürlichen Verstande. Seinen Sorgen, seiner Einbildungskraft,
seinen Wünschen freyen Lauf lassen. Und soll das Haar auf seinem Haupte lassen
frey wachsen, 4 Mos. 6, 5. Aus freyer Hand zeichnen, ohne Original, ingleichen
ohne mechanische Hülfsmittel. Ein freyer Pinsel, ein freyer Grabstichel, ein
freyer Meißel, in den bildenden Künsten, der mit einer leichten und dreisten
Hand geführet wird. In engerer Bedeutung ist frey dem gezwungenen entgegen
gesetzt. Ein freyer Gang, freye Mienen und Geberden, welche der natürlichen
Beschaffenheit der Gliedmaßen gemäß sind. 2) Frey von demjenigen, was den Raum
oder die Ausdehnung einschränket. Ein freyer Platz, der nicht mit Gebäuden oder
andern großen Körpern angefüllet ist. Ein freyer Raum umher, vierzig Ellen,
Ezech. 45, 2. Das freye (ebene, offne) Feld. Freye Luft athmen. In der freyen
Luft schweben. Unter freyem Himmel schlafen. Eine freye Aussicht haben, die
durch nichts eingeschränkt wird. Jemanden die freye Aussicht verbauen. Ins
Freye (in die freye Luft) gehen. 3) Frey von der Berührung anderer Körper; am
häufigsten als ein Nebenwort. Ein Balken liegt frey, wenn er zwischen seinen
beyden Enden nirgends auflieget; ingleichen, wenn er an den Seiten von keinem
andern Körper berühret wird. Ein Schrank stehet frey, wenn er an nichts
anstehet. Das Haus stehet frey, wenn es auf keine Seite an andere Gebäude
stößet; Franz. isole. Der Baum stehet ganz frey auf dem Felde, wenn er allein,
ohne andere Bäume stehet. Ein Redner stehet frey, wenn kein Theil seines Leibes
von andern Körpern verdeckt wird, wenn er sich an nichts anlehnet. 2. Frey von
dem bürgerlichen und gesellschaftlichen Zwange. 1) Frey von dem Eigenthumsrecht
anderer. (a) Von Personen; wo dieser Zustand wiederum mehrere Grade hat. Ein
freyer Mensch, eine freye Person, ein Freyer, im Gegensatze eines Knechtes,
Sclaven oder Leibeigenen. Einen Leibeigenen frey geben, frey machen, frey
sprechen, frey lassen. Einen Lehrburschen frey sprechen, ihn von der
Dienstbarkeit, worin er in dem Lehrjahren stehet, frey erklären, ihn zum
Gesellen machen. Durch Untersuchung der Triebfedern der Natur entledigt sich
der Mensch der Knechtschaft der Natur, und wird zu einem freyen Weltbürger,
Sulz. Die freyer Künste, weil sie ehedem nur von freyen Personen geübet wurden;
zum Unterschiede von den Handwerken, welche von Knechten und Leibeigenen
getrieben wurden. Die biblische Wortfügung, frey von einem seyn, ihm nicht mit
Leibeigenschaft verbunden seyn, 1 Cor. 9, 19; Röm. 6, 20, ist im Hochdeutschen
ungewöhnlich.
S. Freybauer. (b) Von Sachen. Ein freyes Gut, dessen
Besitzer nicht leibeigen ist, auf welchem keine Frohndienste haften.
S. Freygut. Ein Gut frey machen, die darauf haftenden
Schulden bezahlen. Waaren, Güter frey machen, in einem andern Verstande, die
Abgaben, denen sie unterworfen sind, bezahlen. 2) Frey von der Oberherrschaft
anderer; wiederum mit mancherley Graden dieses Zustandes. Ein freyes Gut, ein
Allodium, welches keinem mit Lehenspflicht zugethan ist; im Gegensatze des
Lehengutes. Ein freyer Herr, welcher keines Vasall oder Lehensmann ist. Eine
freye Republik, ein freyer Staat, welcher keinem auswärtigen Oberherren
unterworfen ist.
S. Freystaat. In dem ehemahligen Deutschen Reiche schloß
dieses Wort nur die Oberherrschaft der Reichsstände, nicht aber des Kaisers und
des Reiches aus. Freye Reichsstädte, freye Reichsdörfer, die freye
Reichsritterschaft u. s. f. welche nur allein dem Kaiser und dem Reiche
unterworfen waren. 3) Frey von der Abhängigkeit und der Verbindung mit andern.
Ich bin nicht frey, hänge nicht von mir selbst ab, bin
[
289-290] nicht mein eigener Herr. Eine Person ist noch
frey, wenn sie mit niemanden ehelich versprochen ist. Sein Herz ist nicht mehr
frey, ist schon von Liebe gegen eine Person eingenommen. 4) Frey von der
Strafe, von der Verbindlichkeit eines Gesetzes, oder auch von willkührlichen
Pflichten. Frey gesprochen werden, von einem Verbrechen, oder von einer Strafe.
Da ward Jonathan und Saul troffen (von dem Loose) aber das Volk ging frey aus,
1 Sam. 14, 41. Einen Soldaten frey geben. Frey rauben und stehlen können, ohne
deßhalb einige Strafe zu besorgen. Das wird dir nicht so frey hingehen, ohne
Strafe. Die freye Jagd in einem Gehäge haben. 5) Frey von Geschäften. Ich habe
keine Stunde frey. Sich einen halben Tag frey machen. Leere Stunden, die unser
Stand oder Beruf frey lässet. 6) Frey von einer Gefahr; als ein Nebenwort. Frey
herum gehen. Frey aus- und eingehen. Den Rücken frey haben, in einem Gefechte.
Vor dem Schusse frey seyn,
S. Schußfrey. Ingleichen, was diese Sicherheit gewähret;
in einigen Fällen, und als ein Beywort. Ein freyes (sicheres) Geleit. 7) Frey
von allerley bürgerlichen Beschwerden, Polizey-Anstalten, und
gesellschaftlichen Hindernissen, mit Freyheiten begabt. Eine freye Messe. Ein
freyer Jahrmarkt. Ein freyer Hafen. Besonders frey von Abgaben. Ein freyes
Haus,
S. Freyhaus. Ein freyes Gut. Freyen Zutritt zu jemanden
haben. Ingleichen von der Bezahlung. Einem den freyen Tisch, freye Wohnung,
freyes Holz u. s. f. geben, ihm diese Dinge unentgeldlich geben. Er hat bey mir
freyen Tisch, freye Wohnung u. s. f. Alles frey haben. Jemanden frey halten,
für ihn bezahlen. Eine Zeche baut sich frey, im Bergbaue, wenn sie kleine
Zubuße mehr erfordert, sondern die Kosten von ihrem Ertrage bestreitet.
S. Gastfrey und Freygebig. 8) Keinen eigentlichen
Besitzer habend, von Dingen, deren Gebrauch mehrern zustehet. Es geschahe auf
freyer Straße, auf freyem Felde. In diesem Walde ist die Jagd frey, einem jeden
erlaubt. Ein freyer Wald, dessen sich jedermann bedienen kann; zum Unterschiede
von einem Forste. Freyes Feld, im Bergbaue, welches keinen eigentlichen
Besitzer hat. Ein Feld frey machen, es für frey, d. i. verlassen, niemanden
gehörig erklären. Eine Zeche fällt ins Freye, wenn sie von ihrem Besitzer
verlassen wird. Wer hat das Wild so frey lassen gehen? Hiob 39, 5. Zu derselben
Zeit wird das Haus David - einen freyen offenen Born haben, Zachar. 13, 1.
Siehe Vogelfrey, Freybürsche. 3. Frey von dem moralischen Zwange. 1) Überhaupt,
vermögend etwas zu einerley Zeit und unter einerley Umständen zu thun oder zu
lassen, oder fähig von zwey möglichen Dingen dasjenige zu wählen, welches uns
am meisten gefällt. Er hat die freye Wahl, er kann wählen, was er will. Es
stehet ihm frey, zu thun, was er will. Er hat seinen freyen Willen. Ein freyes
Versprechen, das durch nichts erzwungen worden. Geld das jedermann von freyem
Herzen opfert, 2 Kön. 12, 4, d. i. freywillig. Etwas von freyen Stücken thun,
im gemeinen Leben, freywillig, aus eigener Entschließung. Mit der Tugend werde
ichs von freyen Stücken niemahls verderben, Hr. Orgon im Gellert. Das Geld
können sie zu ihrem freyen Gebrauche anwenden, Gell. Jeder Mensch ist frey, und
nie muß er es mehr seyn, als wenn es die Wahl seines Glückes betrifft. Einem
etwas frey stellen. Freye Hände haben, nach eigener Willkühr handeln können. 2)
In engerm Verstande. (a) Frey von der Herrschaft der Sinne und Begierden, fähig
seine Handlungen nach der [
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Vernunft einzurichten, und die auf solche Art bestimmten Handlungen; in welchem
engsten Verstande dieses Wort sehr oft in der Sittenlehre und Theologie
vorkommt. Der freye Wille, im engsten Verstande. Eine Handlung kann freywillig
seyn, ohne eben alle Mahl frey zu seyn.
Kein Mensch ist edel und frey, der den Begierden gehorchet,
Noch groß, wenn er den Schöpfer nicht ehrt, Hall.
(b) Frey von Vorurtheilen. Frey reden, frey denken. Sehr frey
urtheilen. Ein freyer Verstand, ein freyer Geist.
S. Freydenker, Freygeist. Wer sich durch das Ansehen
anderer blenden läßt, ist in seinen Urtheilen nicht frey. (c) Frey von Furcht,
von Sorgen, von einem bösen Gewissen u. s. f. offenherzig, freymüthig. Jemanden
frey (unerschrocken) ansehen. Er hat ein freyes, offenes Gesicht. Frey
predigen, Apostg. 9, 27. Frey reden, Joh. 7, 13. Frey und offenherzig bekennen.
Frey mit jemanden umgehen. Ich will es ihnen frey gestehen. Wagen sie ein
freyes Geständniß. Ich sage es ihnen frey heraus. (d) Frey von der ängstlichen
Beobachtung der Regeln der Kunst. Eine freye Schreibart in der Musik, welche
sich Ausnahmen von den Regeln der Harmonie und Modulation erlaubt, und auf dem
Theater und in der Kammer herrscht; im Gegensatze der gebundenen, welche in der
Kirche üblich ist. Eine freye Übersetzung, eine freye Nachahmung, welche sich
nicht sclavisch an das Original bindet. (e) Frey von den Gesetzen des
Wohlstandes und der guten Sitten, im nachtheiligen Verstande und als ein
glimpflicher Ausdruck für das härtere frech. Der Mensch spricht sehr frey. Sie
thun gar zu frey. Ein freyes Leben. Ein freyes Frauenzimmer. Wer nichts
unerlaubtes denkt, der steht nie in Gefahr zu frey zu reden, Gell. Ein freyer
Mahler, der schlüpfrige Gegenstände mahlet. Anm. Dieses Wort lautet schon bey
dem Ulphilas frija, bey dem Kero fri, frig, in der Schweiz noch jetzt fryg, im
Niedersächs. frij, ehedem frig, im Angels. freah, freoh, frig, im Engl. free,
im Holländ. vry, im Dän. fri, im Schwed. fri und fraels. Daß dieses Wort schon
sehr alt ist, erhellet aus dem Hesychio, der den Nahmen der Phrygier,
-
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - durch -
hier
nichtlateinischer Text, siehe Image - -
hier nichtlateinischer Text,
siehe Image - , Freye, erkläret. Auch das Griech. -
hier
nichtlateinischer Text, siehe Image - , auslassen, heraus lassen, scheint
damit verwandt zu seyn. Dürfte man bey einem so alten und in so langer Zeit so
wenig veränderten Worte eine Muthmaßung wagen, so stammet es von der eben so
alten und noch in den nordischen Sprachen befindlichen Partikel fra, fram, ab,
aus, von, her; weil frey doch eigentlich eine Absonderung, Abwesenheit
bedeutet.
S. auch Frech. [
291-292]