Erkennen
, verb. irreg. act. (
S. Kennen,) welches die Bedeutungen der Lateinischen
Zeitwörter cognoscere und agnoscere in sich vereiniget, und auch nach
denselben gebildet zu seyn scheinet. 1) * Durch die Sinne empfinden,
wahrnehmen, in welcher jetzt ungewöhnlichen Bedeutung es einige Mahl in
der Deutschen Bibel vorkommt. Mein Herr, du erkennest, daß ich zarte
Kinder habe, 1 Mos. 33, 13; für, du siehest. Daß das Volk nicht
erkannte das Tönen mit Freude vor dem Geschrey, Esr. 3, 13; für,
hörete. Ein groß Volk, die Kinder Enak, die du erkannt hast, 5 Mos.
9, 2; für, gesehen, erfahren hast. Ich habe gesehen das Elend meines
Volks, - und hab ihr Geschrey gehöret, - ich hab ihr Leid erkannt, 3 Mos.
3, 7. 2) Sich eine Sache vorstellen, wir mögen sie uns nun klar oder
dunkel, deutlich oder undeutlich vorstellen; in welcher weitesten Bedeutung es
bey den neuern Philosophen sehr häufig ist. Eine Sache dunkel, klar,
deutlich erkennen. Eine nur dunkel erkannte Wahrheit. Einem etwas zu erkennen
geben, eine Vorstellung davon in ihm erwecken, es geschehe durch Worte oder auf
andere Art. Die Heiden erkannten Gott auf eine sehr verworrene Art. In dem
gemeinen Sprachgebrauche, auch in den Wissenschaften, gebraucht man es am
häufigsten, 3) in engerer Bedeutung, eine klare Vorstellung von einem
Dinge bekommen, so daß man es von andern Dingen unterscheiden kann, und
zwar so wohl vermittelst der Sinne, als auch vermittelst des Verstandes.
Siehest du nicht den Baum dort? - Er ist mir zu weit, ich kann ihn nicht
erkennen. Die Schrift ist mir zu klein, ich kann sie nicht erkennen. Gott aus
seinen Werken erkennen. Sich selbst erkennen lernen. Einer erkannten Wahrheit
widerstreben. Gott erkennet alle Dinge, in dem höchsten Verstande. Auf
daß sie es sehen, und nicht erkennen, und - hören und doch nicht
verstehen, Marc. 4, 12. Mit den Augen werdet ihrs sehen und nicht erkennen,
Apostelg. 28, 26. Das Merkmahl der klaren Vorstellung bekommt die
Vorwörter an und aus. Ich erkenne den Baum an seinen Ästen. Daran
sollte ihr den Willen Gottes erkennen, 1 Joh. 4, 2. Woraus erkennest du das?
Ehedem gebrauchte man statt dessen auch das Vorwort bey. Der Feind wird erkannt
bey seiner Rede, Sprichw. 26, 24. Wobey soll ich das erkennen? Luc. 1, 18.
Welcher Gebrauch aber im Hochdeutschen veraltet ist. 4) In noch engerer
Bedeutung, eine klare Vorstellung bekommen, daß ein Ding eben dasselbe
sey, welches man vorher schon gekannt hat. Ich erkannte meinen Freund von
weiten. Saul erkannte die Stimme Davids, 1 Sam. 26, 17. Sich jemanden zu
erkennen geben, ihm Merkmahle an die Hand geben, woran er uns erkennen kann.
Joseph gab sich seinen Brüdern zu erkennen. Das Merkmahl bekommt auch hier
das Vorwort an. Ich erkannte ihn sogleich an seiner Stimme, an seinem Gange, an
seiner Kleidung. 5) Prüfen, untersuchen und erkennen; welche Bedeutung
doch wenig mehr vorkommt. Er ist kommen, - daß er erkennete deinen Ausgang
und Eingang, und erführe alles, was du thust, 2 Sam. 3, 25. [
1905-1906] Vertraue keinem Freunde, du habest ihn denn erkannt in der Noth, Sir.
6, 7. 6) Mit Überzeugung erkennen; von einer Sache überzeuget werden,
wissen; doch größten Theils nur in der Deutschen Bibel und biblischen
Schreibart. Bis er erkannte, ob der Herr zu seiner Reise Gnade gegeben
hätte, 1 Mos. 24, 21. Heute erkennen wir, daß der Herr unter uns ist,
Jos. 22, 31. Da erkannte Manoah, daß es ein Engel des Herren war, Richt.
13, 21. 7) Mit einem Urtheile erkennen, mit dem Vorworte für. Ich erkenne
dich für einen ehrlichen Mann. Ich erkenne dich für meinen besten
Freund. Ich erkenne ihn für einen gelehrten tugendhaften Mann. Ingleichen,
erkennen und annehmen. Jemanden für sein Kind erkennen. Ich will dich
nicht mehr für meinen Sohn erkennen. Einen Contract für gültig,
eine Unterschrift für die seinige erkennen. Ich erkenne deinen Schmerz
für meinen.
Der kein Gesetz erkennt, als das er selbst gemacht, Gell.
8) Mit Einfluß auf den Willen erkennen, eine Sache
lebendig erkennen. Erkenne doch dein Glück, erkenne es und mache dir
dasselbe zu Nutze. Sein Unrecht, seine Sünden erkennen, erkennen und
bereuen. Ich habe Unrecht gethan, ich erkenne es wohl. Besonders von Wohltaten,
empfinden, daß man Dank dafür schuldig sey. Ich erkenne deine
Höflichkeit. Etwas mit Dank erkennen. Die Wohlthaten werden nicht erkannt.
Er ist nicht werth, daß man ihm diene, denn er erkennet es nicht. Wir
haben ihm viele Wohlthaten erwiesen, allein er hat sie nicht erkannt.
S. Erkenntlich und Erkenntlichkeit. 9) Ein Urtheil
fällen. Ich erkenne es für recht, für unrecht, für billig,
für unbillig. Besonders von einem gerichtlichen Urtheile, in der Sprache
der Gerichtshöfe. Ich will darüber erkennen lassen; im gemeinen
Leben, ich wills erkennen lassen. In einer Sache erkennen. Auf die
Ehescheidung, auf die Bezahlung erkennen, in dem gerichtlichen Urtheile auf die
Ehescheidung, auf die Bezahlung dringen.
S. Aberkennen, Zuerkennen. 10) Beyschlafen, sich mit
einer Person fleischlich vermischen; eine Bedeutung, welche nur noch allein der
Deutschen Bibel, von beyden Geschlechtern vorkommt. Adam erkannte sein Weib
Heva, und sie ward schwanger u. s. f. 1 Mos. 4, 1. Führe sie (die
Männer) heraus zu uns, daß wir sie erkennen, Kap. 19, 5. Ich habe zwo
Töchter, die haben noch keinen Mann erkannt, V. 8. Man könnte in
Versuchung gerathen, erkennen in dieser Bedeutung von dem alten kennan, zeugen,
Griech. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , Lat. geno, genui, herzuleiten; wenn nicht glaublicher wäre,
daß es eine bloße buchstäbliche Übersetzung des mittlern
Lateinischen cognoscere ist, welches in eben dieser Bedeutung nicht bloß
in der Vulgata, sondern schon bey dem Lampridius und andern vorkommt.Anm. In
den meisten der jetzt angeführten Bedeutungen lautet dieses Wort, bey dem
Kero erchennan, bey dem Isidor archennan, bey dem Ottfried yrkennan und
irkennan. Kero gebraucht es auch für hersagen, herlesen. In der Deutschen
Bibel stehet es mehrmahls für das einfache kennen. Ich erkenne die meinen,
und bin bekannt den meinen, Joh. 10, 14. Kein Prophet wie Mose, den der Herr
erkannt hätte von Angesicht zu Angesicht, 5 Mos. 34. Dagegen gebrauchten
die alten und mittlern Deutschen das einfache kennen sehr häufig für
unser erkennen, welche Bedeutung auch noch das Engl. to ken und das Schwed.
kaenna hat.
S. auch Bekennen. [
1907-1908]