Dichten
, verb. reg. neutr. welches mit dem Hülfsworte haben
abgewandelt wird, aber in einigen Fällen auch als ein Activum üblich
ist. Es bedeutet,1. * Nachdenken, im Nachdenken begriffen seyn, welche
Bedeutung aber im Hochdeutschen völlig veraltet ist, obgleich noch
Schlegel sagt: Gewiß er dichtet hier auf etwas Böses. Das Tichten und
Trachten des menschlichen Herzens, 1 Mos. 6, 5. Rufet laut, denn er ist ein
Gott, er dichtet, oder hat zu schaffen, 1 Kön. 18, 27. Das Herz des
Gerechten dichtet, was zu antworten ist, Sprichw. 15, 18.
Unfallo auf mer schalkheit dicht, Theuerd. Kap 34. Denn er
stets auf mein schaden dicht, Kap. 69. Jedoch vergeß ich nimmer den
Gebrauch, Daß ich bey mir auf deine Satzung tichte, Opitz. Die so Tag als
Nacht auf krumme Ränke dichten, Günth.
In gleicher Bedeutung kommt schon bey dem Ottfried ih dihton
für meditor, und thes tihtonnes für meditationis vor. Im Schwedischen
ist dickta gleichfalls nachdenken.2. * Nachdenken, ein Verlangen zu
befriedigen, auf Mittel und Wege denken, eine Absicht zu erreichen, welche
Bedeutung im Hochdeutschen gleichfalls veraltet ist. Ihr Tichten wider mich
täglich, Klagel. 3, 62.
Deins Herzen Dichten ward nichts guts, Hans Sachs. Segne meiner
Sinnen Tichten, Gryph. Lenk wie du willst mein Dichten und Beginnen,
Can. Entfernt man sich von dem, dem man zu schaden dichtet? Schleg.
Auch im Böhmischen bedeutet Duchtenj das Verlangen,
duchteti verlangen, und dychteti streben, welches aber wohl
zunächst [
1475-1476] von dem Slavon. Duch, der Athem,
der Geist, und dychati, athemen, herkommt.3. * Erdichten, in der
Einbildungskraft zusammen setzen, was man nicht also empfunden hat; eine
Bedeutung, welche im Hochdeutschen gleichfalls nicht mehr üblich ist.
Lügen dichten.
Wer mag wohl dem von uns was dichten, Der Herz und Nieren
prüfen kann! Günth.
In engerem Verstande bedeutet es bey den neuern Philosophen
zuweilen die Theile eines vorher in Gedanken zergliederten Dinges
willkürlich wieder zusammen setzen. Das Schwed. dickta hat diese Bedeutung
gleichfalls.4. Hervor bringen, von verschiedenen Handlungen, welche mit
Nachdenken verbunden ist. 1) * Überhaupt hervor bringen, verfertigen. In
dieser Bedeutung kommt dihtan, im Angels. tihten bey dem Stryker, und dight
noch jetzt im Englischen für zubereiten vor. Daß das Buch ein ander
Geticht sey, daß es verändert sey, im Buche Belial von 1472. Was
Fleisch und Blut dichtet, das ist ja bös Ding, Sir. 17, 30. 2) *
Vermittelst der Sprache hervor bringen. Eure Zunge dichtet Unrechtes, Es. 59,
3. 3) * Schreiben. Themo dihton ih thiz Buach, dem schreibe ich dieß Buch,
Ottfr. Um das Jahr 1369 kommt Ticht von der Schreibart vor. 4) * Beschreiben.
Ob ich euch wolt berichtenund vollikleich tichten Des Tempels
Form und Geschaft,
ein alter ungenannter handschriftlicher Dichter bey dem Pez
im Glossario. Alle diese Bedeutungen sind im Hochdeutschen gleichfalls fremd,
in welcher Mundart dichten nur noch, 5) von der Verfertigung eines Gedichtes
oder einer vollkommen lebhaften Rede vorkommt. Singet, spielet und dichtet ihm
von allen seinen Wundern, 1 Chron. 17, 9. Ein fein Lied dichten, Ps. 45, 2. In
dieser Bedeutung kommt tichten schon um das Jahr 1240, ingleichen bey dem
Hornegk vor. Das mittlere Latein. dictare, eine Schrift, einen Brief, ein
Gedicht verfertigen, Dictamen, ein Gedicht, und Dictator, ein Dichter, scheinen
aus dem Deutschen gebildet zu seyn. Obgleich nach unsern heutigen Begriffen von
der Dichtkunst und einem Gedichte, das Wesen desselben in der Erdichtung, oder
vielmehr in dem höchsten Grade der Lebhaftigkeit bestehet, so haben doch
die Alten, da sie diese Beschäftigung dichten nannten, darauf wohl nicht
gesehen, sondern sich mehr nach dem Griech. und Latein. Poeta, Poema gerichtet,
welche von -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , machen, hervor bringen, herkommen; zumahl da aus dem vorigen
erhellet, daß dichten, von mehrern Arbeiten des Geistes gebraucht wird.
S. Dichter und Dichtung.Anm. Dichten gehöret ohne
Zweifel zu dachten, oder dachen, welches noch in däuchten, und in einigen
Temporibus des Zeitwortes denken übrig ist. In unsern alten
Denkmählern finden sich noch einige ähnliche Verba, welche
gleichfalls hierher zu gehören scheinen. Dergleichen sind, dichan, digan
und thigan, bitten bey dem Kero, Ottfried und in den Monseeischen Glossen;
diccan, anbethen, in den letztern; thiggen, geloben, wünschen, Githig,
Verlangen, Wunsch, bey dem Ottfried, (
S. Geitz,) und andere mehr. Ja das Latein. dicere,
scheinet aus eben der Quelle herzustammen, zumahl da dihtan im Angels. auch
für dictiren, in der Feder sagen, vorkommt. Im Oberdeutschen lautet dieses
Zeitwort tichten, welche Schreibart sich auch in einigen Stellen der Deutschen
Bibel eingeschlichen hat, vermuthlich weil Luther und seine Gehülfen es in
ältern Oberdeutschen Übersetzungen so geschrieben
fanden. [
1477-1478]