Die Ärgerniß
, plur. die -sse, und das Ärgerniß, des -sses, plur.
die -sse.I. Im Neutro, das Ärgerniß. 1) Die lebhafte Empfindung des
Unerlaubten oder Schändlichen in der Handlung anderer, zum Unterschiede
von dem schwächern Anstoß; ohne Plural. Einem ein Ärgerniß
geben, durch seine Handlungen diese Empfindung bey ihm erwecken. In der
Theologie gebraucht man es in noch engerm Verstande für die Verleitung
anderer zur Sünde durch unsere Handlungen. Ein gegebenes
Ärgerniß, wovon, wegen der dabey übertretenen Pflicht, ein Theil
der Schuld uns zugerechnet werden kann. Ein Ärgerniß nehmen, an etwas
nehmen. Ein genommenes Ärgerniß, wenn jemand ohne unser Wissen und
Willen aus unserm Betragen einen Bewegungsgrund zum Bösen nimmt. Zum
Ärgernisse gereichen.2) Dasjenige, was andern zum Ärgernisse
gereichet, und in weitere Bedeutung, alles, was wider die Ehrbarkeit, die guten
Sitten und die allgemeine Meinung streitet. Ein allgemeines, ein
öffentliches Ärgerniß. Dergleichen Ärgernisse können
nicht ungestraft bleiben.II. In beyden Geschlechtern, die und das
Ärgerniß, ein geringerer Grad des unterdrückten Zornes, der mehr
auf die eigene Empfindung, als auf die äußern Gegenstände
wirket. Er hat mir viel Ärgerniß gemacht. Ich möchte vor
Ärgerniß vergehen.Bey vielem Ärgerniß und unter allen
Sorgen, Günth. Man möchte vor Ärgerniß des Todes seyn,
Gell. Das geringste Ärgerniß kann mich so sehr mitnehmen, als andere
Leute ein hitziges Fieber, ebend.Anm. In der ersten und zweyten Bedeutung ist
dieses Wort im Hochdeutschen ohne allen Widerspruch ungewissen Geschlechtes,
weil wir es in der selben von den Oberdeutschen haben, bey welchen die meisten
Wörter auf niß in diesem Geschlechte gebraucht werden. Allein in der
dritten Bedeutung, welche eigentlich aus Niedersachsen herstammet, wird es von
vielen auch im weiblichen Geschlechte gebraucht, und dieser
Niedersächsischen Mundart ist es auch zuzuschreiben, daß Luther
dieses Wort selbst in der ersten Bedeutung einige Mahl als ein weibliches
gebraucht.
S. -niß. Die Alten hatten noch verschiedene andere
Wörter, den Begriff des Ärgernisses in der ersten und zweyten
Bedeutung auszudrucken. Kero gebraucht dafür Zuruuaridono, im Plural;
Ottfried Asuuich; Notker Werra, Scantuuerron, Arge, Argerunga, Spirneda; die
Angelsachsen, Aeswic, Geswic, Aeswicunge und Besuicheide; deren Ableitung und
eigentliche Bedeutung man in den Glossarien aufsuchen muß. Bey den
Niedersachsen ist auch Schandaal, von Scandalum, üblich. [
425-426]