Annehmen
, verb. irreg. act. (
S. Nehmen,) welches nach Maßgebung des einfachen
Verbi nehmen, verschiedene, theils eigentliche, theils figürliche
Bedeutungen hat. Es bedeutet aber:1. Von einem andern in Empfang nehmen, an
sich nehmen, so wohl in der eigentlichsten Bedeutung. Geld von einem annehmen.
Geschenke annehmen. Eine Bittschrift annehmen. Als auch in weiterer, für
übernehmen. Einen Dienst, ein Amt, eine Ehrenstelle annehmen. Einen
Antrag; einen Auftrag annehmen, ihn zu besorgen. Der Advocat hat die Sache
angenommen. Der Arzt will den Patienten, der Handwerks- [
341-342] mann die Arbeit nicht annehmen. Ferner, eines
Entschuldigung annehmen, damit zufrieden seyn. Eines Besuch, eines Einladung
annehmen, darein willigen. Was sie da sagen, werde ich niemahls für
Wahrheit, oder als Wahrheit annehmen. Der Herr nimmt mein Gebeth an,
erhöret dasselbe, ist eine bloß biblische Redensart.In noch weiterer
Bedeutung gebraucht man annehmen in diesem Verstande auch von
unvernünftigen und leblosen Dingen. So sagen z. B. die Jäger: die
Feldhühner nehmen den Schild an, wenn sie dessen gewohnt werden, und sich
nicht mehr davor fürchten. Der Hund nimmt die Fährte an, wenn er
fleißig auf derselben fortsuchet. Der Wagen nimmt die Speise nicht an,
wenn er sie aus Schwäche wieder von sich gibt. Bey den Färbern nimmt
das Zeug eine Farbe nicht an, wenn diese nicht auf dasselbe haften will, und
manche Steine nehmen keine Politur an, wenn derselben nicht fähig sind.2.
Mit Einfluß auf den Willen annehmen, für das erkennen, wofür es
ausgegeben wird, und es so gebrauchen. Guten Rath annehmen, denselben billigen
und ihm folgen. Eines Lehren, Warnung nicht annehmen wollen. Er will keinen
Trost von mir annehmen. Gottes Wort annehmen, demselben gehorchen. Auch diesen
Befehl nehme ich an, so sauer er mir auch wird, Gell.3. Sorge für etwas
tragen, als ein Reciprocum und mit der zweyten Endung der Sache. Sich einer
Sache annehmen. Potiphar nahm sich keines Dinges an. Er will sich keiner Sache
annehmen, sich keine Sache angelegen seyn lassen. Was dir Gott befohlen hat,
deß nimm dich stets an, Sir. 3, 23. Ingleichen in engerer Bedeutung
thätigen Antheil an jemandes Bedürfnissen nehmen, ihm Hülfe
leisten. Ich habe mich seiner treulich angenommen. Niemand will sich meiner
annehmen.4. In Verbindung mit sich nehmen. Ein armes Kind annehmen, an Kindes
Statt, oder doch es zu unterhalten. Einen zum Schwiegersohne annehmen. Einen
ungetreuen Bedienten wieder annehmen. Einen zu Gnaden annehmen. Besonders, in
seine Dienste nehmen. Einen Bedienten annehmen. Sich einen Haushofmeister
annehmen. Ingleichen, sich eines Dienste auf gewisse Zeit anvertrauen. Einen
Advocaten, einen Arzt, einen Beichtvater, einen Sprachmeister u. s. f.
annehmen.5. Sich eigen machen. Eines Meinung annehmen. Er hat alle
Irrthümer seines Lehrers angenommen. Eine andere Religion annehmen.
Besonders von Sitten und Gewohnheiten, so wohl auf kurze Zeit. Christus nahm
Knechtsgestalt an. Sie können eine fremde Person vortrefflich annehmen,
Gell. Einen ernsthaften Blick gegen jemanden annehmen. Als auch auf immer, sich
angewöhnen. Eines Sitten annehmen. Er hat ein mürrisches Wesen
angenommen. Ohne Liebe nimmt das menschliche Herz Leicht einen Hang zur
Traurigkeit und zum Eigenwillen an, Gell. Auf ähnliche Art heißt bey
den Jägern, ein angenommener Stand des Wildpretes, derjenige, wo sich
Wildpret gewöhnlicher Weise aufzuhalten pflegt, im Gegensatze des falschen
Standes, den es nur auf kurze Zeit beziehet. In dieser Bedeutung wird auch das
Particip. Pass. zuweilen für verstellt gebraucht. Sie hat eine angenommene
Nachlässigkeit an sich. Eine angenommene, oder verstellte Leutseligkeit.
Die Ziege hört des Hasen Klagen Mit angenommener
Traurigkeit, Haged.
6. Mit dem Verstande annehmen, zugeben, einräumen. Ich
nehme diesen Satz nicht an, kann ihn nicht einräumen. Das werde ich
nimmermehr annehmen, zugeben. Die Heiden neh-men mehr als ein göttliches
Wesen an, sie behaupten es. Die protestantische Kirche nimmt nur zwey
Sacramente an.7. Aufnehmen, auslegen. Sie werden das doch nicht für Ernst
annehmen: Man nahm es für Scherz an. Ich will es als geschehen annehmen.8.
Auf sich deuten. Das haben sie sich anzunehmen. Was du da sagst, kann ich mir
gleichfalls annehmen. Das werden sich mehrere annehmen können.Anm. Viele
dieser Bedeutungen sind bloß buchstäbliche Übersetzungen des
Latein. accipere und assumere, durch welches Mittel die Deutsche Sprache in den
ältern und mittlern Zeiten mit so vielen figürlichen Bedeutungen und
Ausdrücken bereichert worden. Es mit einem annehmen, z. B. Wohlan, so
nimms an mit meinem Herrn, Es. 36, 8 für aufnehmen, ist im Hochdeutschen
nicht gewöhnlich. Dieses Wort wurde ehedem in mehrern Fällen mit der
zweyten Endung der Sache verbunden, als heutiges Tages im Hochdeutschen
geschiehet. Sich einer Rede annehmen, sie auf sich deuten; sich großer
Heiligkeit annehmen, dieselbe vorgeben u. s. f. waren ehedem gebräuchliche
Wortfügungen, und in Oberdeutschland sind sie es zum Theile noch. Sich
eines Rechtes annehmen, bedeutete ehedem, sich dessen anmaßen,
S. Haltaus h. v. und, sich einer Sache annehmen,
hieß auch so viel, als sich darüber vergleichen;
S. Fabeln
aus den Zeiten der Minnes. Fab. 84. Das Hauptwort die
Annehmung, kann für die Handlung des Annehmens in allen Bedeutungen
gebraucht werden, nur in der dritten und achten nicht, wo das Verbum Reciprocum
ist. [
343-344]