Die Wollust
, [
1609-1610] plur. doch nur von mehrern
Arten, die -lüste, welches so wohl von der Empfindung, als von der Begierde
darnach, und endlich von dem Gegenstande gebraucht wird. 1. Von der Empfindung,
da es einen hohen Grad des sinnlichen Vergnügens bedeutet, und von mehrern
Arten desselben auch den Plural verstattet. (1) Im engern Verstande bezeichnet
es hier die höchsten Grade jedes ungeordneten sinnlichen Vergnügens, besonders
dasjenige, welches mit der Vermischung beyder Geschlechter verbunden ist. Der
Wolluft nachhängen. Sich allen Wollüsten ergeben, sich in allen Wollüsten
wälzen. (2) In weiterer Bedeutung, der höchste Grad eines jeden, selbst
erlaubten und mehr geistigen Vergnügens. Sein ganzes Herz zerfloß in Wolluft. O
was ist ein Umgang mit großen Herzen für eine Wollust! Gell. Seine süßeste
Wollust ist, andern Gutes zu thun. Es sind Thränen der Wolluft, die meine ganze
Seele vergnügen, Gell. Die wahre Freude läßt den Menschen alle Wollüfte des
Lebens schmecken, alle die rührenden Wollüste, welche das Laster nicht kennet.
Mir scheinet diese weitere Bedeutung ein wenig unschicklich zu seyn, weil doch
dem Worte immer etwas von der ungeordneten Sinnlichkeit anklebt, welche in der
folgenden zweyten Bedeutung noch merklicher ist. 2. Die ungeordnete Neigung zu
den höchsten Graden des sinnlichen Vergnügens, besonders zu demjenigen, welches
aus der unerlaubten Vermischung der Geschlechter bestehet; ohne Plural. In
diesem Verstande ist es oft ein anständiger Ausdruck für das niedrige und harte
Geilheit. Speisen, welche die Wolluft erregen. Der Wolluft pflegen, nachhängen.
3. Ein Gegenstand, welcher den höchsten Grad des sinnlichen Vergnügens
gewähret; eine nur in bey neuern Zeiten eingeführte Bedeutung. Es war eine
Zeit, da ihr Nahme die Wollust meines Ohres war. Anm. Das Wort lautet schon im
neunten Jahrhunderte Wollust, indessen gebraucht Kero noch Wunilust, Wonnelust,
dafür. Es ist von wohl und Lust zusammen gesetzt, vermuthlich zu einer Zeit, da
wohl noch als ein Adjectiv oder Substantiv üblich war, denn im Tatian heißt die
Wollust nur Wolo, Wenigstens ist es ein sehr altes Wort, und dieses hohe Alter
erhellet auch aus dem Baue desselben. In den ältesten Zeiten befolgte man bey
der Ableitung und Zusammensetzung der Wörter die Regel, daß, wenn auf diese Art
zwey Consonanten zusammen trafen, der vorher gehende Vocal geschärft wurde,
weil dieser Satz eine der Grundregeln der Deutschen Aussprache ist. Wohl war
für sich allein gedehnt; allein in der Verbindung mit Lust ward es geschärft,
weil zwey l auf das o folgten, folglich Wollust, da man denn zum Zeichen dieses
geschärften Tones, nachmahls auch das h wegließ, ungeachtet die Abstammung es
erforderte. Eben dieser alten Analogie folgen vierte, Viertel, von vier, Bürde
von bären, tragen, dieß von dieses, fertig, Furt, von fahren, größte von groß,
wahrlich von wahr und hundert andere mehr. Da man in der Folge sahe, daß durch
die Befolgung dieser Regel die nächste Abstammung zu sehr verdunkelt wurde, so
verließ man sie, und opferte der Deutlichkeit und Klarheit die andere Regel
auf, nach welcher zwey Consonanten den vorher gehenden Vocal schärfen. Allein,
die einmahl gangbaren Wörter mußte man behalten, und so behielt man auch
Wollust, ungeachtet es wider die neuere Analogie gebildet ist. In andern
Wörtern behielt man die nächste Abstammung wenigstens in der Schrift bey, wenn
gleich die Aussprache sie verloren hatte, und so schreibt man noch wahrlich,
vierte, Viertel, vierzig, dieß, u. s. f. ob man gleich alle diese Wörter
geschärft, und nicht gedehnt spricht. Wenn zwey entgegen gesetzte Analogien
zusammen treffen, so muß freylich die eine weichen, und das macht denn die
Ausnahmen in den Sprachlehren. [
1611-1612]