Das Wesen
, [
1507-1508] des -s, plur. der doch nur in
der einzigen concreten Bedeutung gebraucht wird, ut nom. sing. Da dieses Wort
in seinen heutigen Bedeutungen eines der abstractesten ist, abstracte Begriffe
aber erst durch die Länge der zeit und Aufklärung aus concreten entstanden
sind, so halte ich es der Natur der Sache gemäß, auch hier, so wie in andern
ähnlichen Fällen, die anschaulichste Bedeutung, so fern sie sich noch auffinden
lässet, zum Grunde zu legen, und vor ihr stufenweise zu der abstractesten
fortzuschreiten. Nach diesem Gesetze müssen die bekanntesten Bedeutungen dieses
Wortes folgender Gestalt geordnet werden. 1. Geräusch, ohne Plural; eine noch
im gemeinen Leben, besonders Oberdeutschlandes, übliche Bedeutung. Was ist das
für ein Wesen? für ein Lärm. Das böse Wesen, die Epilepsie. In weiterer
Bedeutung sagt man, jedoch auch nur im gemeinen Leben, viel Wesens von etwas
machen, viel Geräusch, viel Aufhebens, viel Geschwätz. In noch weiterer
Bedeutung ist Wesen Weitläufigkeit, besonders, unangenehme, lästige
Weitläufigkeit. Es wird nicht viel Wesens brauchen, nicht viel Umstände. Wenn
du mir des Wesens zu viel machst, so schreibe ich alles an, Weiße. Es scheinet,
daß in Leidwesen, wehklage, eben dieselbe Bedeutung der lauten Klage zum Grunde
lieget. 2. Der Inbegriff mehrerer zusammen gehöriger Dinge Einer Art, doch für
sich allein nur in dem Ausdrucke, das gemeine Wesen, die Verbindung einzelner
Gesellschaften zur gemeinschaftlichen Beförderung der äußern Wohlfahrt, nach
dem Lat. res publica. Am häufigsten ist diese Bedeutung in den
Zusammensetzungen, das Hauswesen, Kriegeswesen, Forstwesen, Münzwesen.
Jagdwesen, Fuhrwesen, Postwesen u. s. f. welche doch nicht nach Willkühr
vermehret werden dürfen, indem diese Bedeutung schon zu den veralteten gehöret.
Es scheinet, daß auch hier das mit der Mehrheit verbundene Geräusch der Grund
der Benennung ist. 3. * Der Aufenthalt an einem Orte, besonders so fern er mit
Handlungen verbunden ist, oder um des Gewerbes Willen geschiehet; eine
veraltete Bedeutung, welche aber noch in der Deutschen Bibel häufig ist. Sein
Wesen an einem Orte haben, sich daselbst aufhalten, sein Gewerbe daselbst
treiben. 4. Das äußere Betragen eines Menschen, dessen Sitten; auch als ein
Collectivum, und am häufigsten im gemeinen Leben und der vertraulichen
Sprechart. Ein Mensch von einem stillen Wesen. Sein wesen gefällt mir nicht,
seine Sitten. Das traurige und eingeschränkte Wesen, das man in der Liebe
annimmt. Er ist von einem wilden, ungestümen Wesen. 5. Die Art und Weise des
Daseyns, der Zustand; auch ohne Plural, wie alle vorige, und nur mit einigen
Verbis und nur in einigen Fällen. Etwas in baulichem Wesen, in seinem Wesen
erhalten. 6. Das Daseyn, die Existenz; ohne Plural, und am häufigsten im
Oberdeutschen. Das Schloß war schon in seinem Wesen, als der Krieg anging, war
schon vorhanden.
Mein wesen wird nicht bald gerathen Auf seines Bleibens
letzten Tag, Opitz.
d. i. ich werde so bald nicht sterben. Doch sagt man auch im
Hochdeutschen, einem Dinge das Wesen geben, das Daseyn. 7. Die wahre, wirkliche
Beschaffenheit eines Dinges, im Gegensatze des Scheines. Den Schein, aber nicht
das Wesen der Tugend haben. 8. Das Wesen eines Dinges, das, was es von allen
andern unterscheidet, was es zu dem macht, was es eigentlich ist, was in allen
Fällen, und unter allen Veränderungen bey demselben angetroffen wird, im
Gegensatze des Zufälligen; eine sehr abstracte Bedeutung, welche nach dem
Lateinischen essentia gebildet worden. Man muß auf das Wesen sehen, nicht auf
das Zufällige. Das Wessen Gottes, der Umfang aller seiner Vollkommenheiten. 9.
Ein selbstständiges Ding, an welchem man weiter nichts, als diese
Selbstständigkeit, bezeichnen will, ohne Rücksicht, ob es körperlich ist, oder
nicht, eine gleichfalls sehr abstracte Bedeutung, und zugleich die einzige, in
welcher es einen Plural leidet. Alle Wesen in der Welt. Gott ist ein
unendliches Wesen, die Seele ist ein geistiges Wesen. Alle Körper sind
vergängliche Wesen. Anm. Es ist eigentlich der sehr alte Infinitiv von dem
Verbo seyn, der schon bey dem Ulphilas wisan, im Isidor und Kero wesan, im
Angels. wesan, und jetzt im Nieders. wesen lautet, und wovon unser gewesen noch
ein Überbleibsel ist. (
S. Seyn) das Griech. hier nichtlateinischer Text,
siehe Image, hier nichtlateinischer Text, siehe Image, und
das Latein. esse sind in ihren Quellen unstreitig auch damit verwandt.
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1509-1510]