* Wahn
, [
1341-1342] adj. et adv. welches im
Hochdeutschen längst veraltet ist, und nur noch hin und wieder in einigen
Zusammensetzungen lebt. Es bedeutete: 1. Leer; eine sehr alte Bedeutung, welche
noch in einigen gemeinen Mundarten so wohl Ober- als Niederdeutschlandes
angetroffen wird. Das Faß ist wahn, nicht ganz voll. Ein wahnes Faß, ein
leeres, nicht ganz volles Faß. 2. Abwesend, fehlend und Mangel an etwas
leidend; ein wenigstens eben so alter Gebraucht. Ains thus wan ist, eines
fehlet dir, im Ulphilas, wo es im Angelsächsischen heißt; an thing the is wana.
Meisterlicher Künste wahn, derselben beraubt, daran Mangel leidend, im
Jeroschin Wan uuesan, fehlen, im Kero. 3. Thöricht, ungereimt. Ein wahner
Mensch, noch in einigen Gegenden, ein Narr. 4. Einen Fehler habend, er sey von
welcher Art er wolle; eine sehr weit ausgebreitete Bedeutung, welche
vornehmlich in vielen Zusammensetzungen lebt, welcher doch in den Provinzen
gangbarer sind, als im Hochdeutschen, wo man dafür in vielen Fällen die
Zusammensetzungen mit Miß- oder Un- hat. (Siehe viele dieser Wörter, im
folgenden.) Andere Wörter dieser Art sind: wahnartig, unartig, Wahnart, Unart,
Wahnmaß, ein falsches, allzukleines Maß, Wahnhoffnung, Verzweifelung,
Wahnorder, Unordnung, Wahnsprache, fehlerhafte Aussprache, Wahnkauf, ein
ungültiger Kauf, Wahnwaare, falsche oder auch verdorbene Waare, wahngläubig,
ungläubig, wahngönnen, mißgönnen, wahnmüthig, mißmüthig, ingleichen wahnsinnig
oder unsinnig, Wahntrauen, Mißtrauen, Wahnmacht, Schwachheit, Ohnmacht,
Wahnehre, Schande u. s. f. welche wieder aufzunehmen wenigstens sehr unnöthig
seyn würde, indem wir andere gangbare, und theils bestimmtere Ausdrücke haben,
jeden der obigen Begriffe auszudrücken. Da dieses wahn seiner ersten
ursprünglichen Bedeutung nach so dunkel, und folglich in allen Arten des
Gebrauches so schwankend ist, so ist dieß wohl die vornehmste Ursache, warum
man es im Hochdeutschen in denjenigen Fällen hat veralten lassen, wo man
bestimmtere Ausdrücke dafür hatte. So konnte wahngläubig, so wohl
schwachgläubig, als schwergläubig, als ungläubig, als endlich auch einen
irrigen Glauben habend, bedeuten, und bedeutete alles dieses wirklich.
Wahnhoffnung bedeutete nicht allein Verzweifelung, sondern auch eine
ungegründete, ferner eine fehlerhafte Hoffnung. Wörter dieser Art, welche in
jeder Sprache ein Fehler sind, entledigt sich jede derselben, so bald sie kann.
Anm. Die Kürze dieses Wortes und die Abwesenheit eines sichtbaren
Ableitungslautes ist ein Beweis, daß dieses Wort ein wahres Wurzelwort ist; es
ist daher auch eins der ältesten, nicht allein in der Deutschen, sondern auch
in allen verwandten, und selbst in vielen fremden Sprachen. Was die Deutsche
betrifft, so ist es die Wurzel von wenig, und vermuthlich auch von Wandel, ein
Fehler, und ein Verwandter von ohne und un. Im Englischen ist to wane abnehmen,
und want, der Mangel. Das Lateinische vanus ist genau damit verwandt. Man hatte
davon ehedem auch ein Substantivum, der Wahn, der Mangel, Abgang, Fehler u. s.
f. Tausend Gulden ohne Wahn, genau tausend Gulden.