Vorgehen
, [
1265-1266] verb. irreg. neutr. (
S. Gehen,) welches das Hülfswort seyn erfordert, und
nach Maßgebung der Partikel vor in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. 1.
Von vor, vor einem andern, eher als derselbe. (1) Einem vorgehen, der Ordnung
nach eher gehen, den Vorgang vor ihm haben, voran gehen. Das Volk, das vorging,
Pred. 4, 16, Math. 21, 9. Am häufigsten mit der dritten Endung der Person.
Einer will dem andern vorgehen. Er ging allen vor. Ingleichen figürlich, den
Vorzug haben, an Wichtigkeit übertreffen. Pflichten müssen den Übungen
vorgehen, den Vorzug vor ihnen haben. (2) Einem vorgehen, ihn im geschwinden
Gehen übertreffen, ihm im Gehen zuvor kommen. (3) Zum Muster der Nachahmung in
jemandes Gegenwart gehen; im Gegensatze des nachgehen. Einem vorgehen.
Ingleichen figürlich. Andern mit einem guten Exempel vorgehen. Ich war in allen
Dingen fröhlich, das machet, die Weisheit ging mir in denselbigen vor, Weish.
7, 12. 2. An der vordern Seite eines Dinges gehen; ein ungewöhnliche Bedeutung,
in welcher man nur im figürlichen Verstande sagt, das gehet mir vor; wohl
eigentlich, das schwebt dunkel vor meiner Seele. Das ist mit lange vorgegangen,
hat mir lange geahndet. Dem guten Herrn ging wohl vor, was geschehen ist. 3.
Hervor gehen, wiederum in verschiedenen Fällen. (1) Vorragen, ein anderes Ding
an horizontaler Ausdehnung übertreffen, vorragen; wo es entweder absolute
gebraucht wird. Das Futter des Kleides geht vor. Oder mit dem wiederhohlten
Vorworte. Das Futter gehet vor dem Oberzeuge vor. Das Dach gehet eine Elle vor
der Mauer vor. Mit der dritten Endung, das Dach gehet die Mauer vor, ist es
hier ungewöhnlich. (2) * Unter die Leute, in das Publicum gehen; eine
ungewöhnliche Bedeutung, in welchem Verstande man nur noch im Oberdeutschen
sagt, eine Kindbetterinn gehe vor oder hervor, wenn sie nach zurück gelegten
sechs Wochen das erste Mahl wieder öffentlich zur Kirche gehet. (
S. Vorgang und Kirchgang.) (3) Sich als eine Veränderung
ereignen, zutragen, geschehen; fast wie vorfallen. Was ist vorgegangen? was ist
geschehen? Ist nichts neues vorgegangen? Über der Tafel ging nichts
merkwürdiges vor, Gell. Die Erhaltung der Geschöpfe gehet durch eine beständige
Folge von innern Veränderungen derselben vor. Ich habe es lange an ihren Mienen
gemerkt, was in ihrem Herzen vorgeht, Gell. Ich hätte nicht gedacht, daß mir
noch so viel daran liegt, zu wissen, was in der Welt vorgeht, Weiße. Daher das
Vorgehen, doch nur in einigen wenigen Bedeutungen; z. B. das Vorgehen des
Futters, vor dem Oberzuge. In andern ist der Vorgang üblicher.
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1267-1268]