Vorbey
, [
1253-1254] ein Nebenwort, die Richtung
der Bewegung vor einem Dinge hin und in die Ferne, von demselben weg, zu
bezeichnen. 1. Eigentlich dem Orte nach, wo es allen den Zeitwörtern zugesellet
wird, welche eine Richtung oder Bewegung bezeichnen. Vorbey gehen, eilen,
laufen, fliegen, fließen, schwimmen, segeln, schiffen, reiten, fahren, zielen,
schießen u. s. f. Dasjenige Ding, neben welchem die Bewegung hingerichtet ist,
und von welcher sie sich zugleich entfernet, bekommt das Vorwort bey noch Ein
Mahl. Bey dem Hause vorbey gehen, bey dem Teiche vorbey fahren.
Den Dolch in seiner Hand schoß er mit blinder Wuth Bey mit
vorbey, Weiße.
Oder auch vor mit der dritten Endung, wenn der Begriff des
Vordertheiles oder der Gegenwart näher bezeichnet werden soll. Er ging
stillschweigend vor mir vorbey. Er trug es vor meinen Augen vorbey. Wir ritten
vor dem Hause vorbey. Vor dem Tische vorbey gehen. In einigen figürlichen Arten
des Ausdruckes, wo sich ein Nebenbegriff mit einschleicht, stehet die Sache mit
Verschweigung des Vorwortes nur in der vierten Endung, so daß vorbey die
Gestalt eines Vorwortes bekommt. Bey jemanden vorbey gehen, wird im
eigentlichen Verstande gebraucht, aber ihn vorbey gehen, heißt figürlich
entweder, ihm auf dem Wege unbesucht lassen, gehen sie unser Haus auf der Reise
nicht vorbey; oder auch ihn ungebührlich übergehen. Sich unmittelbar an den Hof
wenden, und den gehörigen Richter vorbey gehen, ihn übergehen. So auch jemanden
in der Wahl vorbey gehen, ihn übergehen. Ingleichen, ich will diese Sache mit
Stillschweigen vorbey gehen, wo doch übergehen edler und üblicher ist. Wo man
auch das Hauptwort die Vorbeygehung hat, mit Vorbeygehung des gehörigen
Richters. Sehr unschicklich ist es, wenn einige diese Wortführung auch in der
eigentlichen Bedeutung des Nebenwortes und des zu ihm gehörigen Zeitwortes
nachahmen. Die Armee den See vorbey führen. Die Flotte segelte die Insel
vorbey. Was für Bilder gehen da meine Seele vorbey! Dusch. Der Mensch beweiset
Reflexion, wenn er aus dem ganzen schwebenden Traum der Bilder, die seine Sinne
vorbey streichen u. s. f. Herd. für vor meiner Seele vorbey, vor seinen Sinnen
vorbey. Wäre der Accusativ hier der Natur der Sache gemäß, so müßte man auch
umgekehrt im Passivo sagen können: von was für Bildern wird meine Seele vorbey
gegangen! seine Sinne werden von Bildern vorbey gestrichen; wie man sagt, er
ist in der Wahl vorbey gegangen worden. Zu geschweigen, daß die Auslassung des
Vorwortes vor das Bild schwächt und unbestimmt macht. Überhaupt ist die
versuchte Versetzung einer R. A. in die passive Form, der wahre Probier-Stein
der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Accusativs in der scheinbaren thätigen.
Oft wird der Gegenstand, bey oder vor welchem die Bewegung vorbey gehet, ganz
verschwiegen, weil derselbe aus dem Zusammenhange deutlich genug ist. Vorbey
schießen, nähmlich bey dem Ziele. So auch vorbey zielen, vorbey schlagen,
vorbey treten, Die Gelegenheit vorbey gehen lassen, das Glas vorbey gehen
lassen, bey sich u. s. f. da es denn oft so viel wie fehl bedeutet; vorbey
treten, fehl treten, vorbey schießen, fehl schießen. 2. Figürlich, das Ende
einer Zeit oder Dauer zu bezeichnen, am häufigsten im gemeinen Leben, wofür in
der edlern Schreibart vorüber gebraucht wird. Der Monath, das Jahr ist vorbey.
Die Schmerzen sind vorbey, vorüber, zu Ende. Die große Hitze ist noch nicht
vorbey. Wir wollen den Regen erste vorbey lassen. Es ist mit ihm vorbey, er ist
verschieden, oder auch, er ist unglücklich, ingleichen, es ist nichts mit ihm
zu machen. Mit der Sache ist es vorbey, sie ist abgethan, ingleichen, es ist
keine Rechnung mehr darauf zu machen. Anm. Bey scheinet in dieser
Zusammensetzung so viel als weg, hin, zu bedeuten; es kann aber auch seyn, daß
vor hier aus ver entstanden ist, oder wenigstens eben dieselbe Bedeutung hat.
Unsere ältesten Schriftsteller haben für vorbey nur für und fir: firgein,
vorbey gehen, Ottfried; für riten, vorbey reiten, Winsbeck. Dem sey, wie ihm
wolle, so ist es, den oben gedachten Gebrauch mit dem Accusativ etwa
ausgenommen, ein wahres Nebenwort, daher es mit seinem Zeitworte eben so wenig
zusammen gezogen werden darf, als voran, voraus, vorher u. s. f. außer im
Infinitiv, wenn beyde zu einem Hauptworte zusammen schmelzen.
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1255-1256]