Vermuthen
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1097-1098] verb. reg. act. welches auf
doppelte Art gebraucht wird. 1. Als ein eigentliches Activum, aus Einem oder
mehreren wahrscheinlichen Gründen schließen, wie muthmaßen, aus Vergleichung
mehrerer wahrscheinlicher Gründe. Das habe ich nicht vermuthet. Wer hätte das
vermuthen sollen? Es ist zu vermuthen, daß es so kommen wird. Es wird
vermuthet, man vermuthet, daß u. s. f. Das hätte ich von dir nicht vermuthet.
Jemanden vermuthen, in engerer Bedeutung, seine Ankunft vermuthen, aus
wahrscheinlichen Gründen hoffen, daß er kommen werde. Ich vermuthe heute
Besuch. Wer hätte ihn in dem Aufzuge vermuthet. Ein vermutheter Besuch. Etwas
vermuthen seyn, für etwas vermuthen, ist eine Niederdeutsche Wortfügung, welche
indessen auch im gemeinen Leben der Hochdeutschen nicht selten ist. Ich bin es
mir vermuthen. 2. Als ein Reciprocum, sich etwas vermuthen, in den vorigen
Fällen, aber am häufigsten nur im gemeinen Leben und der vertraulichen
Sprechart. Ich glaube, daß sie sich dergleichen fremden Antrag niemahls
vermuthet hätten. Daher das Vermuthen, der Zustand der Seele, da sie etwas
vermuthet. Wider alles Vermuthen. Über alles Vermuthen. Ingleichen die
Vermuthung, die wahrscheinliche Meinung selbst,
S. solches besonders. Anm. Vermuthen, Nieders. vermoden,
Schwed. förmoda, stammt von dem veralteten Zeitworte muthen her, welches ehedem
von mehreren Verrichtungen der Seele gebraucht wurde, (
S. Muth.) Ver bezeichnet hier eine bloße Intension,
daher die Niedersachsen auch nur das einfache moden, muthen, dafür gebrauchen.
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1097-1098]