Verlangen
, [
1263-1264] verb. reg. act. et imperson.
welches in einer doppelten Bedeutung üblich ist. 1. Ein lebhaftes Wollen nach
einem entfernten Gute empfinden, mit beygemischter Unruhe oder Unlust über der
Erwartung, wovon sich sehnen ein stärkerer Grad ist. Es wird in diesem Falle
auf doppelte Art gebraucht. (a) Als ein persönliches Zeitwort, da denn der
Gegenstand mit dem Vorworte nach ausgedruckt wird. Mein Fleisch verlanget nach
dir, Ps. 63, 2. Ich habe lange darnach verlanget. Der Kranke verlangt sehr nach
dem Arzte. Man verlangt mit Ungeduld zu sehen u. s. f. Obgleich dieser
persönliche Gebrauch noch hin und wieder vorkommt, so ist er doch weder der
üblichste, noch edelste. Am häufigsten gebraucht man es in diesem Verstande.
(b) Als ein unpersönliches Zeitwort mit der vierten Endung der Person, so daß
der Gegenstand gleichfalls mit dem Vorworte nach, oder auch mit dem Infinitiv
und dem Wörtchen zu, zuweilen, obgleich seltener, auch mit dem Bindeworte daß
ausgedruckt wird. Nach dir, Herr, verlanget mich, Ps. 25, 1. Mich hat herzlich
verlangt, das Osterlamm mit euch zu essen, Luc. 22, 15. O, müßtest du, wie mich
nach dir verlangt! Am häufigsten gebraucht man dieses unpersönliche Wort mit
Fürwörtern, seltener mit Hauptwörtern. Es verlangte den Kranken, oder den
Kranken verlangte nach dem Arzte; besser er hatte ein Verlangen, oder
allenfalls auch persönlich, er verlangte. Eine besondere R. A. ist, es soll
mich doch verlangen, wie das ablaufen wird, ob er kommen wird u. s. f. für: es
verlangt mich sehr zu wissen, wie u. s. f. Im Oberdeutschen wurde dieses
unpersönliche Zeitwort ehedem auch mit der zweyten Endung der Sache gebraucht,
welche Verbindung daselbst noch hin und wieder gehöret wird, im Hochdeutschen
aber veraltet ist. Es verlangt mich seiner, für nach ihm. Sin langet mih,
Notker. 2. In weiterer Bedeutung ist verlangen weiter nichts, als haben wollen,
da es denn auch von gegenwärtigen Dingen gebraucht wird, und den Nebenbegriff
der unruhigen Erwartung nicht hat. Es wird in dieser Bedeutung persönlich
gebraucht, da es denn auch die vierte Endung der Sache erfordert, welche über
dieß auch durch den Infinitiv, mit dem Wörtchen zu, oder mit dem Bindewort daß
ausgedruckt werden kann. Was verlangen sie von mir? Ich verlange nicht, daß du
dich so weit erniedrigen sollst. Man verlangt zu wissen ob u. s. f. man will
wissen. Ich verlange Gehorsam von dir. Von jemanden Geld, Hülfe, ein Amt
verlangen. Ich verlange nichts unbilliges. Eine Waare wird verlangt, wenn sich
Käufer darnach melden. Er hat sie zur Frau verlangt, da sie arm war, Gell. Jede
Frucht verlangt ihren eigenen Boden, erfordert ihn. Er besitzt viel, aber seine
Eitelkeit verlangt auch vielen Aufwand, Gell. Anm. Das Mittelwort verlangt kann
nur in der zweyten Bedeutung als ein Beywort gebraucht werden. Dieses Zeitwort
lautet bey unsern alten Oberdeutschen Schriftstellern nur langen, bey einigen
auch belangen, im Angels. laengian, im Schwed. anlänga, förlänga, im Engl. to
long. Im Niedersächsischen hat man davon das Intensivum lungern, lüstern nach
etwas seyn, sehnlich verlangen. Wenn man dieses Zeitwort genau betrachtet, so
scheint es in seinen beyden Bedeutungen zunächst zwey verschiedenen Wörtern
abzustammen. In der letzten Bedeutung scheinet es, eine Figur von langen, die
Hand nach etwas ausstrecken, zu seyn, in der ersten aber von lange abzustammen,
sich gleichfalls die Zeit nach etwas lange werden lassen, daher es hier auch
den Begriff der unruhigen Erwartung hat, welcher der zweyten Bedeutung fehlet.
Dieses wird nicht nur durch die gemeinen Sprecharten bestätigt, wo sich
verlangen lassen, absolute, so viel bedeutet, als sich die Zeit lange werden
lassen.
Mein Engel laß dich nicht verlangen, Die Freude bringt das
Warten ein, Gell.
Sondern auch durch das Französische, wo, il me tarde, auch
verlangen ist. Die verschiedene Form der Zeitwörter und ihre verschiedene
Construction bestätigt diese verschiedene Abstammung, auf welche man nothwendig
sehen muß, wenn man den Unterschied dieses Wortes von begehren, Lust haben,
wollen u. s. f. bestimmen will, ungeachtet solches noch von keinem geschehen,
selbst von Stosch nicht, der sich in seinen kritischen Anmerkungen S. 112 am
weitläufigsten dabey aufhält. [
1265-1266]