Vergreifen
, [
1241-1242] verb. irreg. act. et recipr. (
S. Greifen.) 1. Durch Greifen alle machen, der Quantität
nach erschöpfen, wo es doch nur im figürlichen Verstande von Waaren gebraucht
wird, wenn sie bereits verkauft sind, oder häufig Liebhaber finden. Man
gebraucht es hier so wohl im Passivo: die Waare ist schon vergriffen, wird bald
vergriffen seyn, die ganze Auflage ist schon vergriffen. Als auch in der
Gestalt eines Reciproci. Die Waare, das Buch hat sich vergriffen. Eine gute
Waare vergreift sich bald. Als ein Hauptwort ist hier weder das Vergreifen noch
die Vergreisung, üblich. Ver hat hier die Bedeutung der Entfernung, wie in
verkaufen, vertauschen, verschenken u. s. f. Daher Gottscheds Ausspruch, daß
diese Bedeutung gar nichts tauge, voreilig und ungegründet ist. 2. Durch
Streifen das Gelenk der Hand beschädigen, wie verrenken, verstauchen,
verletzen, die Hand durch einen falschen Griff verrenken, als ein Reciprocum,
sich die Hand vergreifen, auch wohl, sich vergreifen. Daher das Vergreifen. 3.
Fehl, falsch greifen, das Unrechte ergreifen, als ein Reciprocum. Man vergreift
sich, wenn man aus Versehen ein Ding anstatt des andern ergreift. Ich habe mich
vergriffen. Daher das Vergreifen. 4. Unbefugter Weise nach etwas greifen,
vermuthlich eine Fortsetzung der vorigen Bedeutung. (1) In mehr eigentlichem
Verstande, sich eines fremden Gutes unbefugter Weise bemächtigen. Sich an
fremden Geldern vergreifen, sie sich unbefugter Weise anmaßen, sie in seinen
Nutzen verwenden; oft als ein glimpflicher Ausdruck für das härtere stehlen.
Sich an den Feldfrüchten, an jemandes Eigenthum vergreifen. Daher, obgleich
selten, die Vergreifung. (2) Sich an jemanden vergreifen, ihn unbefugter Weise
beleidigen, es sey mit Worten oder mit der That, im letztern Falle als ein
glimpflicher Ausdruck für das härtere schlagen, prügeln u. s. f. Sich mit
Worten an jemanden vergreifen, die schuldige Achtung in hohem Grade durch Worte
verletzen. Laßt uns ihn den Is- maeliten verkaufen, daß sich unsere Hände nicht
an ihn (ihm) vergreifen, 1 Mos. 37, 27. Wenn eine Seele sündigen würde, und
sich an dem Herren vergreifen, 3 Mos. 6, 2. Der sich am Könige vergriffen hat,
Bar. 6, 17. Aber absolute, mit Verschweigung der Person, wie 3 Mos. 5, 15: Wenn
sich eine Seele vergreift, daß sie es verstehet und sich versündigt, ist es im
Hochdeutschen veraltet. Daher die Vergreifung. Das Vergreifen ist seltener;
Ahab machte des Vergreifens am Herrn noch mehr, 2 Chron. 28, 22. Die
Vergreifung absolute für Versündigung, ist eben so veraltet, als das absolute
sich vergreifen. Es versammelten sich zu mir alle - um der großen Vergreifung
willen, Esra 9, 4. Kap. 10, 6. Vergreifen scheint in der letzten Bedeutung
gleichfalls fehl greifen, aus Versehen unrecht greifen, zu bezeichnen, welchen
Begriff die Partikel auch in sich vergehen, sich versehen u. s. f. hat.
[
1243-1244]