Verfallen
, [
1217-1218] verb. irreg. neutr. (
S. Fallen,) welches das Hülfswort seyn erfordert, und
nach Maßgebung so wohl der Partikel, als auch des einfachen Zeitwortes, in
verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. 1. Für das einfache fallen, so daß
ver hier eine bloße Intension bezeichnet, doch nur in einigen figürlichen
Bedeutungen. (1) In ein Übel gerathen. In Sünde, in Laster verfallen, wofür man
doch lieber fallen sagt. Da sieht man, wohin ein so böses Gemüth verfallen
kann. In Strafe verfallen, straffällig werden. Unter das Todesurtheil Gottes
verfallen seyn. (2) In weiterer Bedeutung ist auf etwas verfallen, so wie
fallen, mit den Gedanken von ungefähr darauf gerathen, einen Einfall bekommen.
Wie verfällst du darauf? Darum bin ich auf Blumen verfallen, weil sie jetzt
selten sind. In beyden Fällen kann indessen auch die folgende vierte Bedeutung
Statt finden. 2. Einfallen zu Boden fallen, eigentlich nur von Gebäuden und
deren Theilen. Ein Haus ist verfallen, wenn es entweder ganz, oder zum Theil
eingefallen ist. Der Brunnen war verfallen, Sir. 50, 3. Eine verfallene Mauer.
Figürlich bedeutete es ehedem auch, in einen üblen Zustand der Nahrung, in
Abnahme gerathen, ingleichen nicht mehr beobachtet, nicht mehr geübt werden.
Das Christenthum verfällt. Wofür man jetzt lieber sagt, in Verfall kommen und
gerathen. 3. * Von einem eingefallenen Dinge verschüttet werden; eine im
Hochdeutschen fremde Bedeutung.
Sind durch den Dampf erstickt, verfallen durch die Wände,
Opitz.
4. In folgenden Fällen hat ver zunächst die Bedeutung des
Fort, der Entfernung, doch mit verschiedenen Schattirungen. (1) In der
Schifffahrt verfällt ein Schiff, wenn es von seinem Laufe abfällt. Schiffe,
welche nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung segeln wollen, verfallen oft auf
die Brastlische Küste. (2) Die Zeit ist verfallen, die bestimmte Zeit ist um,
verstrichen; in welcher Bedeutung es noch hin und wieder gangbar ist. Am
häufigsten gebraucht man es in diesem Verstande von Zahlungen,
Schuldverschreibung u. s. f. wenn die Zeit, da eine Zahlung geschehen sollte,
um ist. Ein Wechsel ist verfallen, wenn die Zahlungszeit da ist. (3) Einem
andern Eigenthümer anheim fallen, doch nur, so fern solches so wohl durch
Versäumniß der bestimmten Zeit, als auch durch Unterlassung der schuldigen
Pflicht, geschiehet. Im erstern Falle verfällt ein Pfand, wenn es durch
Versäumniß der bestimmten Einlösungszeit dem Inhaber anheim fällt. Verfallene
Pfänder. Im Oberdeutschen gebraucht man dafür auch das Zeitwort verstehen;
verstandene Pfänder. Im zweyten Falle verfällt ein Lehen, wenn es durch
versäumte Lehensempfängniß, ingleichen durch unterlassene Lehenspflichten, dem
Lehensherren anheim fällt. Eine Waare ist verfallen, wenn der gehörige Zoll
davon nicht entrichtet wird. Sein Haus soll dem Gericht verfallen seyn, um der
That willen, Esr. 6, 11. In ähnlichen Verstande wird auch verwirken gebraucht,
nur daß dieses mehr Thätigkeit, verfallen aber mehr eine Unterlassung
bezeichnet. Ungewöhnlich ist es im Hochdeutschen, wenn verfallen seyn in dieser
Bedeutung mit der ersten Endung der Person und der vierten der Sache als ein
Activum gebraucht wird. Das ist das Schuldopfer, das er dem Herren verfallen
ist, 3 Mos. 5, 19.
Sie sollten Habe, Geld und Land verfallen seyn, Opitz.
In welchem letztern Beyspiele es in noch weiterm Verstande
für verlustig seyn, oder verlustig gehen, stehet. (4) An gutem Wohlstande, an
blühender Gesundheit abnehmen. Er verfällt ganz, sagt man von jemanden, welcher
mager und kraftlos wird. Daß euch die Angesichte verfallen, und der Leib
verschmachte, 3 Mos. 26, 16. Meine Gestalt ist ganz verfallen, Ps. 6, 8. Sein
verfallnes Gesicht war in Schwermuth und Verdruß eingehüllet. Abfallen wird im
gemeinen Leben in ähnlichem Verstande gebraucht. (5) * Sterben, umkommen; eine
im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Eure Leiber sollen in der Wüste
verfallen, 4 Mos. 14, 29, 32. Wenn aber beyde in Gott den Herren verfallen
sind, in einer alten Urkunde. In andern Urkunden kommen auch die R. A. vor,
Todes wegen verfallen, Todes halben verfallen, Todes verfallen, wo dieses
Zeitwort so wie Todes verfahren gebraucht wird. Nach einer noch weitern, aber
eben so veralteten Figur heißt es in der Deutschen Bibel: es ist keines von
allen seinen Worten verfallen, 1 Kön. 8, 56, umgekommen, auf die Erde gefallen.
So auch das Verfallen. [
1219-1220]