Verdrießen
, [
1207-1208] verb. irreg. ich verdrieße, du
verdrießest, (Oberd. verdreußest,) er, es verdrießt (Oberd. verdreußt); Imperf.
verdroß, Conj. verdrösse; Mittelw. verdrossen. Es ist ein unpersönliches
Zeitwort, welches mit der vierten Endung der Person und der ersten der Sache
verbunden, zuweilen aber auch persönlich gebraucht wird, welches doch nur in
der dritten Person geschehen kann. 1. * Unlust erwecken, in dem weitesten
Umfange dieser Bedeutung. Es, oder die Sache verdrießt mich, erweckt mir
Unlust, ich empfinde Unlust darüber. Es ist in dieser weitern Be- deutung
veraltet, indessen ist verdrießlich, so fern es unlustig überhaupt bedeutet,
noch von derselben übrig. Man gebraucht es nur noch, 2. in engerer Bedeutung,
von verschiedenen Arten der Unlust. (1) * Mißfallen, Unlust über das Verhalten
anderer. Da verdroß sie es sehr, daß ein Mensch kommen wäre, der Gutes suchte
für die Kinder Israel, Nehem. 2, 10. Drey Stücke sind, denen ich von Herzen
feind bin, und ihr Wesen verdreußt (verdrießt) mich übel. Siv. 25, 3. Welches
sie gar übel verdroß, Weish. 12, 27. Mich verdreußt die Hoffarth Jacob, Amos 6,
8. Es ist auch in dieser Bedeutung im Hochdeutschen veraltet, noch mehr aber,
wenn der persönliche Gegenstand mit dem Vorworte auf ausgedruckt wird. Es
verdreußt mich auf sie, daß sie sich wieder dich setzen, Ps. 139, 21. Üblicher
ist es, (2) in engerer Bedeutung, von der Unlust über eine empfangene
Beleidigung, wo es einen von außen merklichen aber doch geringern Grad der
Unlust bezeichnet, als kränken, schmerzen u. s. f. eine Unlust, welche durch
beleidigten Stolz erweckt wird. Es ist zwischen gleichen Personen am
üblichsten. Verdrießt dich das? Es verdroß ihn, da man ihn der Faulheit
beschuldigte. Wie kann dich das verdrießen? Gell. Ingleichen zuweilen
persönlich, doch nur in der dritten Person und von Sachen. Dieser Vorwurf
verdroß mich.
Dem (den) Gratulant (Gratulanten) verdroß die angethane
Schmach, Zach.
Ingleichen, obgleich in dieser Bedeutung seltener, mit dem
Zeitworte lassen, sich etwas verdrießen lassen, Unlust darüber empfinden. (3)
Unlust über die anhaltende Fortdauer einer Sache. Mich verdreußt zu leben, 1
Mos. 27, 46. Meine Seele verdreußt mein Leben, Hiob 10, 1. Wo es im
Oberdeutschen auch wohl mit der zweyten Endung der Sache gebraucht wird. Mich
verdrießt meines Lebens. Wanta mih der uuerlte bedruzet, Willer. In dieser
Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet, wo dafür überdrüßig seyn und werden
üblich ist. Die Niedersachsen sagen noch, es soll ihn endlich wohl verdrießen,
er soll es schon überdrüßig werden. (4) Unlust über anhaltende Beschwerden;
eine im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart übliche Bedeutung. Thes
Ganges thih n' irthruzzi, Ottfried. Im Hochdeutschen gebraucht man es nur noch
mit dem Zeitworte lassen. Er läßt sich die geringste Arbeit verdrießen. Am
häufigsten mit der Verneinung. Ob dirs sauer wird mit deiner Nahrung und
Ackerwerk, das laß dich nicht verdrießen, Sir. 7, 16. Gott lob, daß ich mich
keine Mühe dauern und auch um einen Pfennig keinen Weg verdrießen lasse, Gell.
Das Mittelwort verdrossen wird daher sehr häufig als ein eigenes Beywort im
intransitiven Verstande gebraucht, geneigt, und Fertigkeit besitzend, über jede
Bewegung, und in weiterm Verstande, über jede eigene Thätigkeit Unlust zu
empfinden, und darin gegründet; träge mit Widerwillen. Zu etwas verdrossen
seyn. Ein verdrossener Mensch. Das Volk war verdrossen auf dem Wege, 4 Mos. 21,
5. Ein Weib, da der Mann keine Freude an hat, die macht ihn verdrossen zu allen
Dingen, Sir. 25, 31. Werdet nicht verdrossen Gutes zu thun, 2 Thess. 3, 14.
Die Munterkeit erstarb in der verdroßnen Menge, Zachar.
Jemanden verdrossen machen. Daher die Verdrossenheit.
[
1209-1210] (5) Unlust über eine Handlung, die man
entweder schon begangen hat, für gereuen, oder während des Begehens derselben;
wo es im Hochdeutschen nur in der vertraulichen Sprechart, und auch hier nur
mit dem Zeitworte lassen und der Verneinung gebraucht wird. Du sollst ihm
geben, und dein Herz nicht verdrießen lassen; daß du ihm gibst, 5 Mos. 15, 10.
Lassen sie sichs nicht verdrießen, diese Kleinigkeit an ihn gewandt zu haben.
Er läßt sich keine Kosten verdrießen, es gereuen ihn keine Kosten. Anm. Schon
bey dem Ottfried firthriezen, im Nieders. verdreten; mit andern Vorsylben, bey
dem Ulphilas usthriutan, bey dem Notker irdriezen, pedriezen. Das einfache
drießen, ist längst veraltet, aber die Oberdeutschen haben davon noch Druße,
Plage, und die Niederdeutschen Dröte, Verdruß. In verschiedenen mit der
Deutschen verwandten Sprachen hat dieses Zeitwort mit seinen Verwandten in den
verschiedenen Bedeutungen auch verschiedene Formen. Im Schwed. ist Förtret,
Beschwerde, und förtreda, Beschwerde, Unlust erwecken, fortryta aber, gereuen,
beneiden, ermüden; trött ist eben daselbst träge, müde, Isländ. thrit, und
trötta, müde machen, tryta, kraftlos, förtryta, aufhören, tryta aber, Überdruß
und Unlust über etwas empfinden; und schon bey dem Ulphilas ist ustrudjan,
schwach, müde werden, abnehmen, usthriutan aber, Überdruß erwecken. Es kann
seyn, daß in einigen dieser Wörter verschiedene Stammbegriffe zum Grunde
liegen; allein im Deutschen scheint, um des einförmigen unpersönlichen
Gebrauches willen, nur ein einziger Statt zu finden, zumahl, da alle dem
Anscheine nach verschiedene Bedeutungen sehr leicht und natürlich aus einander
herfließen. Hornegk gebraucht für verdrießen auch betragen und pevillen. Die
Wortfügung mit der zweyten Endung der Sache, welche im Oberdeutschen in mehrern
Bedeutungen üblich ist, ist im Hochdeutschen ungewöhnlich.
S. auch Verdruß. [
1209-1210]