Verderben
, [
1199-1200] verb. irreg. et reg. welches
in der erstern Gestalt auf folgende Art abgewandelt wird: ich verderbe, du
verdirbst, er verdirbt; Conj. ich verderbe, verderbest, verderbe. Imperf. ich
verdarb; Conj. verdürbe. Mittelw. verdorben. Imper. verdirb. Es ist auf eine
doppelte Art üblich. I. Als ein Neutrum, welches das Hülfswort seyn erfordert,
wo die irreguläre Conjugation ohne Ausnahme üblich ist. 1. Unbrauchbar,
untauglich werden, die zu seiner Bestimmung und Absicht nöthige Eigenschaft
verlieren. Das Bier verdirbt, wenn es schal und sauer wird. Der Wein ist
verdorben. Verdorbenes Obst. Alles verderben lassen. Das Fleisch ist verdorben,
wenn es riechend geworden ist. Die Waare ist in der Nässe verdorben, wenn sie
verstockt, verfault u. s. f. ist. Es wird in diesem eigentlichen Verstande am
häufigsten von solchen Dingen gebraucht, welche durch eine innere Gährung oder
ähnliche Veranlassung von innen, die zu ihrer Absicht nöthige Brauchbarkeit
verlieren; das folgende Activum aber wird in einem weitern Umfange der
Bedeutung gebraucht. Wenn man daher sagt, das Werkzeug ist schon verdorben, das
Pferd ist bereits verdorben u. s. f. so scheinet es hier das Activum zu seyn,
und ist verdorben für ist verdorben worden, zu stehen, weil man nicht sagt, das
Werkzeug verdirbt, oder das Pferd verdarb, sondern wird und ward verdorben.
Besondere, doch nur in der vertraulichen Sprechart übliche R. A. sind. An dir
ist ein Lobredner verdorben, Less. d. i. du hättest dich zum Lobredner
geschickt, wenn du deine Fähigkeiten ausgebildet hättest. So auch: an ihm ist
ein Soldat, ein Poet, ein Advocat u. s. f. verdorben. Hingegen: ich bin zum
Comödianten verdorben, Less. bedeutet, ich tauge nicht dazu. 2. In weiterer und
figürlicher Bedeutung. (1) Im theologischen Verstande, in welchem doch das
Mittelwort der vergangenen Zeit am gangbarsten ist, heißt die menschliche Natur
verdorben, so fern sie durch die Sünde ihre ursprüngliche Vollkommenheit
verloren hat, zu ihrer ursprünglichen Bestimmung unfähig geworden ist; in
welchem Verstande es doch bey vielen regulär verderbt lautet, unser verderbtes
Fleisch, der verderbte Wille, da es denn zu dem folgenden Activo gehören würde.
Aber die Erde war verderbt vor Gottes Augen und voll Frevels, 1 Mos. 6, 11. (2)
In Verfall der Nahrung gerathen, doch nur im gemeinen Leben; wo man sagt, ein
Kaufmann sey verdorben, wenn er bankerott geworden ist. (3) Im höchsten Grade
unglücklich werden, umkommen, zu Grunde gehen, eine in der Deutschen Bibel noch
sehr gangbare Bedeutung, welche aber in der edlern Schreibart immer mehr zu
veralten anfängt, obgleich das Hauptwort das Verderben noch in derselben üblich
ist. Siehe, wir verderben und kommen um, 4 Mos. 17, 12. Es ist besser, ein
Mensch sterbe für das Volk, denn daß das ganze Volk verderbe, Joh. 11, 50. Vor
Hunger verderben; Hiob 80, 3. Du hast dich meiner Seele herzlich angenommen,
daß sie nicht verdürbe, Es. 38, 17. Wer sich gern in Gefahr begibt, der
verdirbt darin, Sir. 3, 27. Wer sehr pranget, der verdirbt, Kap. 20, 10. II.
Als ein Activum, wo es im Hochdeutschen gemeiniglich auch irregulär, im
Oberdeutschen aber regulär abgewandelt wird. 1. Ein Ding zu seiner Absicht, zu
seiner Bestimmung untauglich machen, aus dem gehörigen guten Zustande in einen
schlimmen versetzen; wo es ein Wort von sehr weitem Umfange ist, welches alle
besondere Arten unter sich begreift, daher auch in manchen einzelnen Fällen
bestimmtere Ausdrücke üblicher sind. Ein ungeschickter Schneider verdirbt das
Kleid, welches er verfertigen soll. Wenn jemand seinen Knecht in ein Auge
schlägt, und verderbet es, 2 Mos. 21, 26. Die wilden Thiere haben deinen
Weinstock verderbt, Ps. 80, 14. Ein Hümpler verdirbt ein Ding, Sprichw. 26, 10.
Mehltau verdirbt die Frucht, Kap. 28, 3. Ein einiger Bube verdirbet viel Gutes,
Pred. 9, 13. Ein Widerspenstiger verdirbt ein mildes Herz, Kap. 7, 8. Ein
schlechter Reiter verdirbt ein gutes Pferd. Böse Exempel
[
1201-1202] verderben gute Sitten. Seine Gesundheit durch
Ausschweifungen verderben. Das verdirbt mir die ganze Sache. Jemanden das Spiel
verderben. Jemanden seine Freude verderben. Kein Ekel verderbt ihm die immer
neuen Freuden, die die Schönheiten der Natur in endloser Mannigfaltigkeit ihm
anbiethen, Geßn. Dieß verdarb mir den ganzen Abend, brachte mich um den
angenehmen Genuß desselben. Es mit niemanden verderben, seine Gunst
verscherzen, ihn sich zum Feinde machen. Mit der Tugend werde ichs von freyen
Stücken niemahls verderben, Herr Orgon bey Gell. Er hat es mit mir verdorben.
Von einer Person, welche ein guter, ein angenehmer Gesellschafter ist, sagt
man, sie verderbe keine Gesellschaft. Der Hochmüthige, der Mißmüthige verdirbt
alle Gesellschaften. 2. Unglücklich machen, besonders im höchsten Grade
unglücklich machen. Das ein ledic wib mich verderbet gar ane schulde. Es fängt
in dieser Bedeutung an zu veralten, indessen kommt sie von zeitlichem Unglücke
noch zuweilen von der Versetzung in das ewige Unglück, d. i. von der
Verdammniß, in der theologischen Schreibart noch häufig vor. Netze stellen zu
verderben, Ps. 35, 7. Fürchtet euch vor dem, der Leib und Seele verderben mag
in die Hölle, Matth. 10, 28. 3. Den völligen Untergang eines Dinges bewirken,
zerstören, tödten, umbringen, gleichfalls als ein sehr allgemeines und
unbestimmtes Wort, daher es in dieser Bedeutung noch mehr veraltet ist, als in
der vorigen. Die Sündfluth soll alles Fleisch verderben, 1 Mos. 6, 17. Ehe der
Herr Sodoma und Gomorra verderbte, Kap. 13, 10. Herr, Herr verderbe dein Volk
nicht, 5 Mos. 9, 26. Pfeile zu verderben zurichten, Ps. 7, 14. Mit dem Schwert
verderben, Jer. 8, 17. Plötzlich rede ich wieder ein Volk, daß ichs ausrotten,
zerbrechen und verderben wolle, Jer. 18, 7. Daher die Verderbung, welches doch
nur in einigen wenigen Fällen der ersten Bedeutung des Activi gebraucht wird.
Anm. 1. Im Oberdeutschen unterscheidet man das Activum von dem Neutro sehr
genau, auch in der Conjugation und macht das erste regulär, das letztere aber
irregulär.
Wer nicht verderbet wird durch Liebe, der verdirbet, Opitz.
Allein, im Hochdeutschen ist dieser Unterschied nicht
angenommen worden, sondern man macht daselbst das Activum eben so irregulär,
als das Neutrum, obgleich einzelne Schriftsteller den Unterschied zu beobachten
gesucht haben. Das verderbt ihren Werth, Gell. In der Deutschen Bibel wird das
Activum bald regulär, bald irregulär abgewandelt, wie schon ans den im vorigen
angeführten Beyspielen erhellet, daher sich diejenigen irren, welche glauben,
daß Luther den Unterschied allemahl auf das genaueste beobachtet habe. Indessen
kann diese Ungleichheit auch von den Herausgebern und Correctoren herrühren. Zu
wünschen wäre es freylich, daß man das Activum von dem Neutro in
gleichlautenden Zeitwörtern, da, wo es das Alterthum hergebracht hat, auch in
der Conjugation unterschiede, so wenig solches auch im Hochdeutschen
geschiehet.
S. auch Brennen. Anm. 2. Im Nieders. verdarfen und
bedarfen, im Schwed. förderfva. Das Wort ist alt, ob es gleich in dieser
Gestalt bey unsern ältesten Oberdeutschen Schriftstellern vor den Zeiten der
Schwäbischen Dichter nicht vorkommt, als welche dafür fürwerden, verwerden,
verneißen, Notker verniuzzen, ohne Zweifel als der Gegensatz von genesen
gebrauchen. Wachter, Frisch, und andere leiten es von derb her, und legen der
Partikel ver hier eine destruirende Bedeutung bey. Allein, da in den verwandten
Sprachen auch das einfache derben in eben derselben Bedeutung vorkommt, wohin
das Schwed. derfva, das Angels. derven, und [
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selbst das von Hickes angeführte Alemannische derben gehören, welche insgesammt
verderben bedeuten, so findet diese Ableitung hier wohl nicht Statt, und ver
kann hier keine andere als intensive Bedeutung haben. Bey dem Ottfried und
andern alten Schriftstellern kommt ein Zeitwort daron, schaden, verletzen, vor,
welches das nächste Stammwort von diesem derben zu seyn scheinet, und mit der
zweyten Hälfte des Lat. perdere vermuthlich ein und dasselbe Wort ist. Indessen
ist es wahrscheinlich, daß das Activum verderben, perdere, von dem Neutro
verderben, perire, auch in der Abstammung verschieden ist, und da läßt sich
jenes, als einen Verwandten von dem schon gedachten daren, verletzen, dem
Angels. teran, zerreißen, zerren, von stören in zerstören, ansehen, dieses aber
zu darben, sterben und ihren Verwandten rechnen. Der Unterschied der
Conjugation, welcher im Oberdeutschen, als der ältesten Mundart, schon alt ist,
wie aus den Schwäbischen Dichtern erhellet, bestätiget diesen Unterschied in
der Abstammung. [
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