Die Urkunde
, [
1153-1154] plur. die -n, ein sehr altes,
in den neuern Zeiten oft mißverstandenes Wort. Es bedeutet, 1. Ein Zeugniß, in
welcher Bedeutung dieses Wort sehr alt ist, und schon im Isidor Archundi, bey
dem Kero aber Urchundi lautet. Ther quam ci urkunde, der kam zum Zeugnisse, im
Tatian. Ottfried und seine Zeitgenossen gebrauchen es in dieser Bedeutung sehr
häufig.
Darnach er zu Vrkunndt erschalt Sein Horen, Theuerd.
Zum Beweise, zum Zeugnisse. Da es denn auch wohl männlichen
Geschlechtes war. Tabernakel des Urkundes, die Hütte des Zeugnisses, des
Stifts, in einer alten Bibel-Übersetzung bey dem Frisch. Zi urchundi ziuho, in
der Monseeischen Glosse, ich ziehe oder bezeuge zum Zeugnisse. Man gebraucht es
in dieser Bedeutung nur noch in schriftlichen Zeugnissen oder andern
schriftlichen Verhandlungen, am Schlusse derselben. Zu Urkunde dessen (des
obigen) ist gegenwärtige Schrift - unterschrieben - und untersiegelt worden u.
s. f. Zu dessen Zeugniß, Beweis. Außer welchem Falle es im Hochdeutschen
veraltet ist. Sehr häufig bedeutete es ehedem auch im männlichen Geschlechte
einen Zeugen. Thie mugun urkundon sin, die mögen Zeugen seyn, Ottfr. Ein warer
Godes urkunde, in dem alten Fragmente auf Carln den Großen bey dem Schilter.
Und alsdann hieß zum Unterschiede ein Zeugniß auch Urkundschaft (bey den
Handwerkern noch jetzt Kundschaft,) und Urchundituom, welches letztere in den
Monseeischen Glossen vorkommt. 2. In engerer Bedeutung, ein schriftliches
Zeugniß, besonders aber jede schriftliche, vornehmlich öffentliche Verhandlung,
so fern sie in spätern Zeiten zu einem völligen Beweise dienet; wo dieses Wort
von allen öffentlichen Verhandlungen, besonders älterer Zeiten gebraucht wird,
welche man mit einem ähnlichen Lateinischen Ausdrucke auch Documente zu nennen
pflegt; eine Beweisschrift. Alte Urkunden sammeln. Urkunden heraus geben, sie
drucken lassen. Handschriftliche, geschriebene, gedruckte Urkunden. Ein
Urkundenbuch, Chartularium, in welches die Urkunden eingetragen werden. Die
Urkundensammlung, welche, so fern sie öffentlich ist, ein Archiv heißt. Woraus
erhellet, daß es von allen Beweisschriften dieser Art gebraucht wird, ohne
einen Unterschied zwischen Originalen oder Copien zu machen. 3. In den neuern
Zeiten haben einige Schriftsteller angefangen, dieses Wort theils in engerer,
theils in weiterer Bedeutung für Original zu gebrauchen, so fern es so wohl die
Urschrift, im Gegensatze der Copie, als auch den Grundtext, die Grundschrift,
im Gegensatze der Übersetzung, bezeichnet. Ohne Zweifel hat die Mißdeutung der
Partikel ur in dieser Zusammensetzung diesen Mißbrauch veranlasset, denn daß in
derselben kein Grund zu einer solchen Bedeutung vorhanden ist, indem Urkunde
nichts mehr als Beweisschrift bezeichnen kann, wird sogleich erhellen. Anm.
Denn es ist erweislich genug, daß ur hier nicht das erste oder ursprüngliche
seiner Art bedeutet, sondern das bloß er nach der veralteten rauhen Aussprache
ist, und von dem alten arkunden, urkunden, erkunden, bezeugen, beweisen,
Kundschaft geben, abstammet. Mit gareuuem Bilidum dher Heiligi chiscribes eu
izs archundemes, wir wollen es mit angezogenen Beyspielen der heiligen Schrift
beweisen, im Isidor. Die Regel habend wir geschrieben durch das, - das wir uns
damit erzogen zu haben ersam sitten oder ein anfang der bekerung erkunnen, wir
haben die Regel geschrieben, - damit wir dadurch beweisen, daß wir ehrsame
Sitten oder einen Anfang der Bekehrung haben. Also ich ouch erchunneta, Notker
Ps. 55. Und so in andern Stellen mehr, wo erkunden, und nach einer gröbern
Mundart urkunden, nichts anders als bezeugen, beweisen bedeutet.
S. auch das folgende. [
1153-1154]