2. Unter
, [
895-896] eine sehr alte Partikel,
welche überhaupt den Umstand der Tiefe, in Beziehung auf ein darüber
befindliches Ding ausdruckt; im Gegensatze des über. Es ist in doppelter
Gestalt üblich. I. Als ein Nebenwort, wo es doch nur in dem im gemeinen Leben
üblichen Ausdrucke mit unter vorkommt. Es muß mit unter gehen, mit unter
laufen, es muß unter andern Dingen schon mitgehen, mitlaufen, wo es nicht die
zu den Zeitwörtern gehörige Präposition ist, und daher mit denselben auch nicht
als Ein Wort geschrieben werden darf. Ingleichen figürlich, zuweilen, zu
manchen Zeiten, hin und wieder. Wir hatten schön Wetter, mit unter regnete es
ein wenig. Mit unter hatten gibt es noch ehrliche Leute. Sie haben Scenen mit
unter, die u. s. f. Less. Man stehet leicht, daß diese R. A. eigentliche
Ellipsen sind, wo die zu dem Vorworte gehörige Endung weggelassen worden, da
denn jenes die Gestalt eines Nebenwortes bekommen hat. Mit unter stehet für,
unter andern mit. Unter her und unter hin, oder, wenn man lieber will, unterher
und unterhin, für herunter und hinunter, sind im Hochdeutschen veraltet.
Er stürze plötzlich unterhin, Opitz.
II. Als ein Vorwort, welches wieder in einem doppelten Fallen
betrachtet werden kann. Es stehet entweder für sich allein, und hat sein
Nebenwort bey sich, oder es wird mit andern Wörtern zusammen gesetzt. 1. Für
sich allein, in Begleitung seines Nennwortes, wo im Ganzen auch von diesem
Vorworte dasjenige gilt, was bereits bey dessen Gegensatze über angemerket
worden, daß nähmlich der Gebrauch dieses Wortes in den Sprachlehren äußerst
mangelhaft un- unbestimmt abgegeben wird. Die gewöhnliche Regel bey diesem und
andern Vorwörtern, welche zweyerley Endungen zu sich nehmen, ist, daß sie auf
die Frage worin? den Dativ, auf die Frage wohin? aber den Accusativ erfordern.
Ob dadurch der Gebrauch dieses Vorwortes einem Unwissenden nur einiger Maßen
erleichtert werden könne, wird aus der Vergleichung mit dem folgenden erhellen.
Wir finden dieses Wort so wohl mit dem Genitiv, als mit dem Dativ, als endlich
auch mit dem Accusativ. 1) Mit dem Genitiv oder der zweyten Endung, in den R.
A. unter Weges, unter dessen, unter Essens u. s. f. Doch da diese Fälle der
Bedeutung nach mit zu der folgenden des Dativs gehören, so sollen sie dort
erwogen werden. 2) Mit der dritten Endung oder dem Dativ. Es bedeutet alsdann:
(a) Einen Stand der Ruhe, oder Handlung im Stande der Ruhe, in Beziehung auf
ein darüber befindliches Ding, im Gegensatze des über. aa) Eigentlich. (1)
Einen Stand der Ruhe in der Tiefe, in Beziehung auf ein darüber befindliches
Ding, einen Stand der Ruhe zwischen einem höhern Dinge und dem Mittelpuncte der
Erde oder ihrer Oberfläche; im Gegensatze des über. Es liegt unter dem Tische.
Unter einem Baume sitzen. Die Vögel unter dem Himmel. Das Fenster unter dem
Dache. Unter dem freyen Himmel schlafen. Er wohnet sicher und ruhig unter
seinem friedlichen Dache, Geßn. Du mit dem bedeckten Antlitze, unter deiner
Hülle ist graues Haar. Wohin denn auch verschiedene sprichwörtliche und
figürliche Ausdrücke gehören. Mit jemanden unter einer Decke liegen, mit ihm an
einer bösen Sache geheimen Antheil haben. Das ganze Land stehet unter Wasser,
ist mit Wasser überschwemmet. Unter der Hand, heimlich, unvermerkt, in der
Stille. Unter der Hand ließ ich es ihn errathen. Jemanden etwas unter der Hand
zustecken. (2) Eine Bewegung oder Handlung im Stande der Ruhe in Beziehung auf
ein darüber befindliches Ding; im Gegensatze des über. Es geschiehet nichts
neues unter der Sonnen. Alle, die wir unter dem Monde leben. Mein Kind, das ich
neun Monathe unter meinem Herzen getragen habe; 2 Macc. 7, 28. Etwas unter dem
Arme, unter dem Mantel tragen. Unter jemandes Fahne streiten. Unter der Last
seufzen. Die Erde that sich unter seinem Füßen auf. Mein Herz hebt sich mühsam
unter einer drückenden Last, Dusch. Hier schwank ich unter der geliebten Last,
Raml. Etwas unter den Händen haben, daran arbeiten. (3) Eine horizontale
Bewegung in Beziehung auf ein darüber befindliches Ding. Unter der Bank hervor
ziehen. Unter dem Regen hin laufen. Unter der Brücke hin gehen. Unter dem
gewölbten Gange spazieren gehen. Unter dem Wasser schwimmen, gehen. Hier auf
dem Gipfel des Berges, wo tief unter mir furchtbare Gewitter hinziehen. Das
Vorwort über erfordert in einigen ähnlichen entgegen gesetzten Fällen die
vierte Endung. Ein Deckel über den Topf, ein Gestell unter den Tisch. Der
Unterschied rühret von den verschiedenen Nebenbegriffen her, von welchen bey
dem Vorworte über bereits das nöthigste gesagt worden. bb) Figürlich. (1) Sehr
oft bezeichnet es dasjenige Verhältniß, da ein Ding von einem andern höhern
oder mächtigern eingeschränket ist, eine Unterwerfung, Unterthänigkeit; im
Gegensatze des über. Ich habe unter mir Kriegsknechte, Matth. 8, 9. Ein Weib,
das unter dem Manne ist, Röm. 7, 2. Unter dem Gesetze
[
1087-1088] seyn, Gall. 4, 3, 5. Unter dem Joche seyn,
leben. Unter dem Zwange, unter der Aufsicht, unter dem Gehorsam stehen, leben.
Unter einem weisen Monarchen leben. Unter ihm wirds wachsen, Zachar. 6, 12.
Unter den Waffen schweigen die Gesetze, wenn die Waffen die Oberhand haben.
Unter dem Aufsehen und dem Schutze des großen Herren der Welt seyn. Sich unter
der Leitung der Magnetnadel auf das ungeheuere Weltmeer wagen. Alles unter
sich, unter seinem Beschlusse haben. Alles Geld unter seinen Händen, unter
seinem Schlüssel haben. Wenn ich es auch unter zehn Schlössern hätte, so wollte
ich es hergeben, wenn es auch mit zehn Schlössern verwahrt wäre. (2) Ingleichen
das Verhältniß des geringern Ranges in Beziehung auf etwas Vornehmeres; im
Gegensatze des über. Er saß unter mir, mir zur linken Hand. Der Rathsherr gehet
unter dem Doctor, gehet ihm zur linken Hand. Im gemeinen Leben auch das
Verhältniß des geringern Werthes. Du bist weit unter ihm, kommst ihm am
Verdiensten u. s. f. nicht gleich. (3) Das Verhältniß einer geringern Zahl,
eines geringern Preises. Unter zehn Thalern kann ich es nicht geben, nicht
geringer als für zehn Thaler. Eine Witwe unter sechzig Jahren, 1 Tim. 5, 9.
welche noch nicht sechzig Jahre alt ist. Unter zehn Tagen werde ich nicht
fertig. Kinder unter zehn Jahren. Unter drey Monathen wird er nicht wieder
kommen. Eine Waare unter dem gewöhnlichen Preise verkaufen, wohlfeiler als der
gewöhnliche Preis ist. Gottsched hatte sich durch den Fehler des großen
Haufens, ich gebe es nicht unter funfzig Thaler, verleiten lassen, dem Vorworte
in dieser Bedeutung die vierte Endung zuzuschreiben, welcher Irrthum aber wohl
keiner weitern Widerlegung bedarf. Merkwürdig ist indessen, daß über in den
Gegensätzen dieser drey letztern Bedeutungen allemahl die vierte Endung
erfordert. Über andere herrschen; unter einen stehen. Sey ein Herr über deine
Brüder; demüthige dich unter ihm. Der Jünger ist nicht über seinen Meister; du
bist weit unter ihm. Über einen Fürsten sitzen; unter einem Bauer gehen. Über
vierzig Jahre alt; ein Mann unter vierzig Jahren. Ich komme über vierzehn Tage
wieder; unter vierzehn Tagen kann ich nicht wieder kommen. Welches denn doch
wohl nur den verschiedenen Nebenbegriffen zuzuschreiben ist, unter welchen man
sich anfänglich diese Fälle gedacht. (4) Die Art und Weise, doch nur in solchen
Fällen, wo das Bild eines darüber befindlichen Dinges Statt findet. Sich unter
einer Maske in den Tanzsal einschleichen. Jemanden unter der Larve der
Freundschaft hintergehen. Jemanden seine Gedanken unter Bildern vortragen, in
der Gestalt der Bilder. Im Winter fällt die Natur unter einem drohenhen
schrecklichen Bilde in die Augen. Unter dem Nahmen des Vergnügens liegt oft
strafbare Ausschweifung verborgen. Eine Arzeney, welche unter dem Nahmen des
Theriakes bekannt ist. Unter seinem Nahmen, Röm. 1, 5. Unter der Bedingung,
unter dem Scheine, unter dem Vorwande. Unter solchem Schein, Jer. 2, 23. Unter
der Gestalt eines Engels erscheinen, besser in der Gestalt. Ich glaube unter
gewissen Fällen das Gegentheil, besser in gewissen Fällen. Unter seiner eigenen
Hand und Unterschrift. (b) Ein Daseyn, ein Mitbefinden zugleich mit andern
Dingen dem Orte nach, gleichsam in der Mitte derselben. Wenn es aber eine
Bewegung, eine Bemühung zu dieser örtlichen Coexistenz bezeichnet, so erfordert
es die vierte Endung. [
1089-1090] aa) Eigentlich. Einer
unter ihnen. Unter welchem ist Hymenäus und Philetus, Timoth. 2, 17. Der
Gläubigen ist wenig unter den Menschenkindern, Ps. 12, 2. Der da wandelt mitten
unter den sieben Leuchtern, Offenb. 2, 1. Uneinigkeit unter Eheleuten. Das ist
so unter uns üblich. Er war mit darunter. Unter den Zuschauern sitzen. Du bist
der schönste unter den Menschenkindern, Ps. 45, 3. Der größte, der weiteste,
der gelehrteste unter allen. Unter zehn Ducaten war nur einer zu leicht. Unter
allen Speisen ist diese die gesündeste. Unter andern Ursachen ist auch diese zu
bedenken. Wo das zu ander gehörige Hauptwort oft verschwiegen wird. Unter
andern sagte er auch dieß. Es geschahen viele Wunderzeichen; unter andern
regnete es auch Blut. Es liegt alles unter einander. Unter zweyen Übeln das
kleinste wählen. Unter seinen Söhnen habe ich, mir einen König erwählet, 1 Sam.
16, 1. Sich unter mehrern das Beste aussuchen. Einen Unterschiede unter mehrern
Dingen machen. So lange der Erbe ein Kind ist, so ist unter ihm einem Knechte
kein Unterschied, Galat. 4, 1. Wo es denn oft auch eine Handlung im Stande der
Ruhe unter mehrern Dingen bezeichnet. Dahin gehöret auch das in der
vertraulichen Sprechart übliche unter uns. Das soll unter uns bleiben, außer
uns soll es niemand erfahren. Unter uns geredet, gesprochen, so, daß es außer
uns niemand erfahre. Unter uns gesagt. Bekennen sie nur unter uns, daß sie
lieben. Unter bezeichnet in diesem Verstande bloß ein Mitbefinden in der Reihe
mehrerer Dinge, ohne weitere nähere Bestimmung des Platzes, als daß sich ein
Ding gleichsam in der Mitte anderer befinde, gleichsam mit denselben vermengt
sey. Um des Nachdrucks willen setzet man oft noch mitten dazu. Er war mitten
unter uns. Näher bestimmt diese Mitbefinden das Vorwort zwischen welches im
Hochdeutschen allemahl ein Daseyn oder eine Handlung im Stande der Ruhe in der
Mitte oder gleichsam in der Mitte zweyer Dinge bezeichnet. Dessau liegt
zwischen Magdeburg und Berlin. Es ist ein Unterschied zwischen mir und dir.
Hingegen sagt man auch, es ist ein Unterschied unter weiß und schwarz. In den
Niederdeutschen Mundarten wird zwischen sehr häufig für unter gebraucht,
welches auch den aus Niederdeutschland gebürtigen Hochdeutschen Schriftstellern
anklebt. Unter kommt in dieser Bedeutung mit dem Lat. inter genau überein, so
wie beyde in derselben mit in verwandt sind. Viele unserer Wortforscher haben
diese Bedeutung getadelt. Wachter sagt, das ganze Alterthum habe sie nicht
gekannt, und wir könnten sie auch jetzt füglich entbehren. Ihre behauptet, das
Schwedische in gleicher Bedeutung übliche under sey von unwissenden
Dolmetschern nach dem Lateinischen inter gemodelt; und Stosch setzt noch hinzu,
daß dieser Gebrauch oft Mißdeutung verursache. Allein, es läßt sich doch noch
manches zur Vertheidigung derselben anbringen. Wahr ist es, daß unter in dieser
eigentlichen Bedeutung bey alten Oberdeutschen Schriftstellern noch nicht
angetroffen worden; aber es kommt doch in den folgenden figürlichen häufig
genug vor, woraus denn erhellet, daß auch diese eigentlichere ihnen nicht
unbekannt gewesen seyn müsse, wenn sie gleich in den wenigen von ihnen noch
vorhandenen Überresten nicht angetroffen wird. Es ist also eine bloße
Vermuthung, daß unter nach dem Lateinischen inter gebildet sey, welche eben so
unwahrscheinlich ist, als wenn jemand behaupten wollte, in, aus, über u. s. f.
wären aus in, ex, super, entlehnet. Unter scheinet in dieser Bedeutung vielmehr
ein von dem vorigen ganz verschiedenes Wort zu seyn, und zu und und mit
demselben auch zu in zu gehören, in welchen der Begriff der Verbindung der
herrschende ist, der auch hier der Stammbegriff zu seyn scheinet. Die von
Stosch vorgegebene Viel- [
1089-1090] deutigkeit wird sich
sehr verlieren, wenn man nur auf den Zusammenhang achtet. Es war mit Seide
gestickt und Gold darunter, wird sich alsdann gewiß nicht so verstehen lassen,
daß das Gold unter der Seide gelegen habe, und von derselben bedeckt gewesen.
In der R. A. aber; er ist weit unter ihm, und er gehört unter die großen
Gelehrten, erhellet der Unterschied der Bedeutung schon aus der verschiedenen
Endung. Allenfalls würde unter diese Vieldeutigkeit mit allen übrigen
Vorwörtern gemein haben, deren jedesmahlige Bedeutung unter so vielen in den
meisten Fällen aus der Verbindung des Ganzen ersehen werden muß. Es ist daher
gar nicht abzusehen, wie wir diese Partikel entbehren könnten, da wir kein
anderes Wort haben, diesen Begriff auszudrücken; denn daß wir das
Niedersächsische mank dafür annehmen sollten, wird wohl im Ernste niemand
anrathen, gesetzt es wäre auch besser als jenes, wie doch unerweislich ist. Im
Hochdeutschen ist es schon darum verwerflich, weil es dieser Mundart fremd ist.
bb) Figürlich. (1) Den Umstand der Zeit, doch nur so fern angedeutet werden
soll, daß etwas erfolget, indem ein anderes Ding geschehen, eine Coexistenz der
Zeit nach, so wie in der vorigen Bedeutung eine Coexistenz des Raumes, wenn man
nur das Wort Coexistenz in beyden Fällen nicht in dem weitesten Umfange seiner
Bedeutung nimmt. Es druckt in diesem Verstande eben den Begriff aus, welchen
man sonst auch durch über, während, und zuweilen auch durch bey und in zu
bezeichnen pflegt. Unter der Arbeit einschlafen, indem man arbeitet, über der
Arbeit, wo über nur noch den Nebenbegriff der Veranlassung hat. Unter dem
Tumulte nach Hause eilen. Unter dem Essen, unter dem Lesen. Unter der Gemeine,
1 Cor. 14, 34; wofür man jetzt lieber sagen würde, während der Versammlung.
Unter der Stunde des Räucherns, Luc. 1, 11. Meine Haare sind unter Freuden grau
geworden, Geßn. Durch diese Denkungsart ist unter lauter Freuden mir das Haar
verbleichet, Kleist. Dieser große Gedanke muß deine Seele unter ihrem Grame
mächtig aufrichten, wo es aber auch eine Figur der ersten Hauptbedeutung seyn
kann. Sie ging unter Vergießung vieler Thränen nach Hause.
Auch unter schlauen Scherzen Bleibt doch die Liebe schön,
Weiße.
Unter der Zeit, während derselben, indessen. Ehedem wurde es
in dieser Bedeutung häufig mit der zweyten Endung verbunden, und in manchen
Mundarten und Fällen ist solches noch üblich, doch nur ohne Artikel. Unter
Essens, im gemeinen Leben, für unter dem Essen. Unter Tages, bey Tage da es
noch Tag ist, im Gegensatze des unter Nachts, während der Nacht. Unter Weges,
auf dem Wege, welches auch unterweges, und im gemeinen Leben unterwegens
lautet, aber auch mit der dritten Endung üblich ist, unter Wegen, oder
unterwegen. Figürlich ist unter Weges lassen und bleiben, im gemeinen Leben so
viel als unterlassen und unterbleiben. Besonders gehöret hierher unter dessen
oder unterdessen, zusammen gezogen unterdeß, welches als eine eigene Partikel
von einem beträchtlichen Umfange der Bedeutung ist, aber in der edlern
Schreibart gern mit indessen verwechselt wird. (
S. dieses Wort, wo bereits das nothwendigste davon gesagt
worden.) Unter Lichts hingegen, welches in einigen gemeinen Mundarten für
in der Dämmerung üblich ist, gehöret nicht hierher, weil unter hier auf eine im
Hochdeutschen ungewöhnliche Art für zwischen stehet, gleichsam zwischen zwey
Lichtern, wie man auch im Niederdeutschen sagt. Diese Wortfügung ist alt, denn
schon bey dem Stryker kommt inder des er das sprach vor, Ottfried aber
gebraucht dafür [
1091-1092] innan thes, indessen. Es
erhellet hieraus zugleich, daß unter in dieser zweyten Hauptbedeutung den Alten
nicht so unbekannt war, als Wachter glaubte. Es ist sehr wahrscheinlich, daß
dieser Genitiv nicht so wohl von dem Vorworte, als vielmehr von einem
ausgelassenen Hauptworte, z. B. Zeit, u. s. f. herrühret. Im gemeinen Leben
wird unter in dieser Bedeutung gern mit dem gleich bedeutenden während
verbunden: unter währendem Gebethe, unter dem Gebethe, während des Gebethes;
welches aber ein Pleonasmus ist, welcher in der anständigen Sprech- und
Schreibart vermieden werden muß, wenn gleich auch Opitz sagt: unter währendem
Gespräche. (2) In engerm Verstande, in Verbindung mit der vorigen Bedeutung der
Herrschaft, der Gewalt, der Regierung; während der Regierung eines Obern. Unter
der Regierung Kaiser Carl VI. Unter dem Kaiser Claudio, Apost. 11, 28. Unter
Pontio Pilato, 1 Tim. 6, 13. Unter ihm wirds wachsen, Zachar. 6, 12. Unter
Heinrich VII. ward Nordamerika entdecket, während seiner Regierung. Unter dem
Bürgermeister Cajus. 3) Wenn dieses Nebenwort mit der vierten Endung oder dem
Accusativ verbunden wird, so bezeichnet es: (a) Ein Verhältniß der Tiefe im
Stande der Bewegung, in Beziehung auf ein darüber befindliches Ding, im
Gegensatze des über. aa) Eigentlich, eine Bewegung in die Tiefe, oder bloß eine
Bewegung in einen Raum in Beziehung auf ein darüber befindliches Ding. Sich
unter einen Baum setzen. Etwas unter die Treppe werfen. Sich unter das Wasser
tauchen. Sich unter ein Faß verstecken, wo das Zeitwort gleichfalls die
Richtung der Bewegung mit andeutet. Das Licht unter einen Schäffel setzen. Er
machte zween güldne Rinken unter den Kranz, 2 Mos, 37, 27; wo machen
gleichfalls die Richtung der Bewegung mit ausdruckt, weil sonst die dritte
Endung stehen, müßte. Ich bin nicht werth, daß du unter mein Dach gehest,
Matth. 8, 8. Komme ich wieder zurück unter mein ruhiges Dach, o, wie entzückt
mich da deine holde Geschäftigkeit, mich zu erquicken! Geßn. Es ist zu groß, es
gehet nicht darunter. Seide unter das Kleid füttern. Unter das Joch bringen.
Sich unter den Adel seines Wesens erniedrigen. Jemanden unter die Laube laden.
Die Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel. Sich unter jemandes
Herrschaft begeben. Ingleichen in den theils sprichwörtlichen theils
figürlichen Redensarten. Ein Land unter Wasser setzen, es überschwemmen.
Jemanden etwas unter die Hand, unter den Fuß geben, ihm ins geheim Nachricht
von etwas, einen Anschlag zu etwas geben. Ein Gesetz unter die Füße treten, es
mit vorsetzlicher Verachtung übertreten. Unter Segel gehen, die Segel
aufspannen und fortschiffen. Jemanden unter die Augen sehen, ihm gerade in das
Gesicht sehen. Jemanden unter die Augen treten, kommen, in seine Gegenwart
kommen. Komme mir nie wieder unter die Augen! Jemanden Grobheiten unter die
Augen sagen, sie ihm ungescheut persönlich sagen. Jemanden etwas unter die Nase
reiben, in den niedrigen Sprecharten, es ihm vorrücken, vorwerfen. Jemanden
unter die Erde bringen, so wohl eigentlich, ihn beerdigen, im gemeinen Leben,
als auch figürlich Schuld an seinem Tode seyn. Will er mich vor der Zeit unter
die Erde bringen? Gell. Viele Köpfe unter einen Hut bringen, sie eines Sinnes
machen. bb) Figürlich, eine Bewegung oder Handlung, so fern dadurch ein Ding
der Gewalt eines andern übergeben oder ausgesetzet wird; im Gegensatze des
über. Der Amtmann befahl [
1091-1092] ihm unter seine Hand
alle Gefangene, 1 Mos. 39, 12. Der Herr gab sie unter die Hand der Midianiter,
verkaufte sie unter die Hand Cusan u. s. f. welche biblische R. A. mit dem
Worte Hand für Gewalt ungewöhnlich sind. Die Vernunft unter den Gehorsam
Christi gefangen nehmen, 2 Cor. 10, 5. Unter das Gesetz gethan, Gal. 4, 4.
Etwas unter seine Gewalt, unter das Joch bringen. (b) Eine Bewegung oder
Handlung nach der Mitte mehrerer Dinge, gleichsam ein Ding mit andern zu
vermengen; so wohl eigentlich als figürlich. Unter die Todten gerechnet werden.
Jemanden unter seine Freunde rechnen, zählen. Sich unter die Tänzer
einschleichen. Alles unter einander werfen, mischen u. s. f. Er gehöret mit
unter die wenigen Rechtschaffenen. Das gehöret nicht darunter. Unter Mörder
gerathen. Mitten unter das Volk gerathen. Es reißen viele üble Gewohnheiten
unter sie ein. Daß es nicht weiter einreiße unter das Volk, Apost. 4, 17; wo
doch mit dem Zeitworte einreißen, die dritte Endung üblicher ist, weil die
Handlung hier auch im Stande der Ruhe betrachtet werden kann; es ist unter
ihnen eingerissen. Die Beute unter sich theilen. Was ist das unter so viele?
Den Überschuß unter die Armen austheilen. Den Sauerteig unter das Mehl, Spreu
unter das Getreide thun. Thue ein wenig Salz darunter. Die Landmiliz unter die
regulären Truppen stecken. Unter die Soldaten gehen. Sprichw. Wer sich unter
die Träber mengt, den fressen die Schweine. Menge, mische es darunter. Etwas
unter die Leute bringen, es bekannt machen. Es kommt unter die Leute, im
gemeinen Leben, es wird bekannt. Jemanden etwas unter vier Augen sagen, im
gemeinen Leben, es ihm allein, ohne alle andere Zeugen sagen. Es gibt
Belehrungen, die nicht unter vier Augen gehören, Hermes. Wenn in einigen
Fällen, deren doch nur wenige sind, beyde Endungen, so wohl die dritte als
vierte, üblich sind, so rühret solches daher, weil die Handlung bald im Stande
der Ruhe, bald auch im Stande der Bewegung, betrachtet wird. Fehlerhaft aber
sind folgende Stellen: Das sind die Erbtheile, die Eleasar, und Josua unter den
Geschlechtern austheileten, für, unter die Geschlechter. Ein kluger Knecht wird
unter den Brüdern das Erbe austheilen, Sprichw. 17, 2; wo der Dativ eine ganz
falsche Bedeutung veranlassen könnte. Sie begruben ihre Gebeine unter dem Baum,
2 Sam. 31, 13; wo der Dativ ungewöhnlich ist, ob gleich die Natur der Sache
denselben verstattet. Er ließ seinen Leichnam unter dem gemeinen Pöbel
begraben, Jer, 26, 23; für unter den. Dagegen stehet 2 Chron. 24, 16. ganz
richtig, sie begruben ihn unter die Könige. Unter den Kindern Gottes kommen,
Hiob 1, 6. Kap. 2, 1. Und so in andern Stellen mehr. 2. Was die Zusammensetzung
dieses Wortes mit andern Wörtern betrifft, so lässet es sich zusammen setzen.
1) Mit Partikeln, wo das Vorwort bald voran stehet, wie in den Oberdeutschen
unterhin und unterher, für hinunter und herunter, unterwärts, unterhalb, dem
gleichfalls Oberdeutschen untereinst für unterdessen; bald nachfolgt, wie in
darunter, hierunter, herunter, hinunter, worunter. Daß die Auflösung der mit
der relativen Partikeln da und wo zusammen gesetzten Vorwörter oft ein Fehler
wird; ist schon bey Da II. angemerkt worden. 2) Mit Nennwörtern, wo so wohl
Bey- als Hauptwörter diese Zusammensetzung leiden. Zu den erstern gehören
unterthänig, unterwürfig u. s. f. welche doch größten Theils von Haupt- oder
Zeitwörtern abgeleitet sind; zu den letztern aber Unteracht, Unterblatt,
Untergang, Untergericht, Unterholz, Unterlaß, Unterhalt, Unterthan, Unterlippe,
Unterleib, Unterpfand, [
1093-1094] Untertheil, nebst
vielen andern. Diese Wörter bezeichnen theils ein Ding, welches unter zweyen
einer Art das untere ist, theils etwas, welches der Gewalt, der Würde, dem
Range nach einem andern nachstehet, beydes im Gegensatze der mit ober- zusammen
gesetzten Wörter gleicher Art. In manchen ist die eigentliche Bedeutung des
Vorwortes noch dunkel, welches auch von vielen der mit dieser Partikel zusammen
gesetzten Zeitwörtern gilt; ob gleich manche deutlich genug nach den mit inter
zusammen gesetzten gleichbedeutenden Lateinischen Wörtern gebildet zu seyn
scheinen. 3) Mit Zeitwörtern, da denn dieses Vorwort mit zu den wenigen
gehöret, welche in der Zusammensetzung den Ton bald behalten, bald auf das
Zeitwort werfen. Diejenigen, in welchen der Ton auf der Partikel bleibt, haben
das gewöhnliche Augment ge, und im Infinitiv tritt das zu zwischen das Vor- und
das Zeitwort. Überhaupt ist das Vorwort hier eine trennbare Partikel, welche in
der Conjugation hinter das Zeitwort tritt. Der Landmann ackert den Samen unter.
Die Sonne ist untergegangen. Es unter zu schieben. Die Zeitwörter dieser Art
sind bald Activa; wie unterackern, unterarbeiten, unterbreiten, unterbringen,
unteregen, unterfüttern, unterlegen, unterpflügen, untersetzen, unterstecken,
unterscharren, unterschieben, unterstreuen. Bald Neutra, wie untergehen,
unterkommen, unterkriechen, unterliegen, untersinken, untertauchen. In andern
liegt der Ton auf dem Zeitworte. In diesen ist das Vorwort untrennbar, daher es
die ganze Conjugation vor demselben stehen bleibt. Das Augment fällt in den
vergangenen Zeiten weg, und im Infinitiv tritt das zu vor die ganze
Zusammensetzung. Wer unterhält ihn? Es ist noch nicht unterschrieben. Seine
Absichten zu unterstützen. Dahin gehören die Activa: unterbauen, unterbinden,
unterbrechen, unterdrücken, unterfangen, unterfressen, untergeben, untergraben,
unterhalten, unterhandeln, unterjochen, unterlassen, unterminiren, unternehmen,
unterrichten, untersagen, unterscheiden, unterschlagen, unterschreiben,
untersiegeln, unterstreichen, unterstützen, untersuchen, unterweisen,
unterwerfen, unterwinden, unterzeichnen, unterziehen. Ingleichen die Neutra,
unterbleiben, unterreden, und das Reciprocum sich unterstehen. In einigen ruhet
der Ton nach dem Unterschiede der Bedeutung bald auf dem Vor- bald aber auf dem
Zeitworte; welche denn auch auf beyderley Art conjugiret werden. Unterstehen,
das ist, unter ein Obdach treten, und sich unterstehen; die Hand unterhalten,
und jemanden unterhalten; einen Balken unterziehen, und sich einer Sache
unterziehen. Man siehet schon hieraus, daß die Regeln hier nicht anzuwenden
sind, nach welchen sich die mit durch, um und über zusammen gesetzten
Zeitwörter in den meisten Fällen bestimmen lassen. Weder die active und
neutrale Form, noch die Bedeutung liefert etwas, welches zu einer Regel dienen
könnte; daher man es hier bloß aus dem Gebrauche ersehen muß, ob der Ton auf
der Partikel oder auf dem Zeitworte haftet. Anm. 1. Im gemeinen Leben und der
vertraulichen Sprechart wird dieses Vorwort gern mit den Artikeln, dem, den und
das zusammen gezogen; unterm, untern und unters für unter dem, unter den und
unter das. Die anständige und edle Schreibart vermeidet diese wie alle ähnliche
Zusammenziehungen. Anm. 2. Diese Partikel lautet schon bey dem Ulphilas undar,
im Isidor, bey dem Kero, Willeram u. s. f. unda, untar, unter, im Holländ.
onder, im Nieders. Schwed. Isländ. Dän. und Angels. under; im Wallisischen aber
wrth. So wie in dessen [
1093-1094] Gegensatze über allem
Ansehen nach zwey verschiedene Bedeutungen zusammen geflossen sind, die
Bedeutung der Höhe und der horizontalen Richtung, so finden auch bey diesem
zwey Hauptbedeutungen Statt, die der Tiefe in Beziehung auf ein oberes Ding,
und die des örtlichen Mitbefindens in der Mitte mehrerer Dinge, welche mit dem
Begriffe der Verbindung sehr genau zusammen hänget, so, daß unter in dieser
Bedeutung als ein naher Verwandter von und, in u. s. f. angesehen werden muß,
zumahl da die Endsylbe er eine bloße Ableitungssylbe ist. Das Lat. inter ist
nicht so wohl die Quelle, als vielmehr ein gleichzeitiger Seitenverwandter des
Deutschen, so wie in der ersten Hauptbedeutung infra. Aus manchen der folgenden
Zusammensetzungen erhellet, daß dieses Wort ehedem noch manche jetzt unbekannte
Bedeutungen gehabt haben müsse. [
1093-1094]