Ungefähr
, [
853-854] adj. et adv. welches besonders
in einer dreyfachen Bedeutung gebraucht wird. 1. * Was man nicht wahr genommen,
was unvermuthet ist und geschiehet. Ein ungefährer Tod, ein unvermutheter. Die
ungefähre Ankunft eines Freundes, die unerwartet, unvermuthete. Ein ungefährer
Zufall. Doch diese Bedeutung ist im Hochdeutschen veraltet, ob sie gleich noch
in einigen Provinzen gangbar ist. 1. In engerer Bedeutung nennet man eine
Begebenheit ungefähr, wenn uns ihre Ursachen unbekannt sind, zufällig, daher
wir sie auch nicht vermuthen können, da es denn in noch engerer Bedeutung oft
dem vorsetzlich entgegen gesetzet ist. Ein ungefährer Stoß, so wohl, der ohne
Vorsatz geschiehet, als auch, dessen Ursachen uns unbekannt sind, daher wir uns
nicht davor hüthen können. Ein ungefährer Fall. Am häufigsten als ein Nebenwort
für zufälliger Weise. Es begab sich ohngefär, (ungefähr) daß ein Priester
dieselbige Straße hinzog, Luc. 10, 31. Gott hat ihn lassen ohngefär in seine
Hände fallen, 2 Mos. 21, 13. Wenn er ihn ohngefär stößet, 4 Mos. 35, 22. Er kam
ungefähr dazu. Wenn es sich ungefähr zutragen sollte. Wo man doch im
Hochdeutschen noch gern das von beyzufügen pflegt. Ich sahe ihn von ungefähr;
von ungefähr erblickte ich ihn. Er redete als von ungefähr und ohne Absicht mit
ihm davon.
Bis der Gast von ungefähr Über sich was Fremdes siehet,
Lichtw.
Da denn auch das Ungefähr häufig als ein Hauptwort gebraucht
wird, doch ohne Plural, so wohl eine ungefähre Begebenheit zu bezeichnen, es
war ein Ungefähr; als auch dasjenige unbekannte Wesen, von welchem nach der
Philosophie des großen Haufens die zufälligen Begebenheiten, d. i. die deren
Ursachen uns unbekannt sind, abhängen sollen, und welches auch wohl der blinde
Zufall, das Schicksal genannt wird.
Durchs liebe Ungefähr, das manches Glücksstern ist, Michael,
der Dichter.
3. Endlich wird dieses Wort oft dem genau bestimmt entgegen
gesetzet, und da bedeutet es etwas, das nicht genau bestimmt ist; beynahe. Die
ungefähre Weite nehmen. Am häufigsten auch hier als ein Nebenwort. Es waren
ungefähr sieben Ellen, nicht genau, etwas darüber oder darunter. Es ist
ungefähr vierzehn Tage her. Wir warteten ungefähr eine Stunde. Ungefähr
sechzehn Groschen. Etwas nur ungefähr messen, ohne das Maß auf das genaueste zu
bestimmen.
So groß, als ungefähr mein Daumen, Weiße.
Das war es ungefähr, was ich sagen wollte. Die Lebhaftigkeit
des Geistes ist in der Seele ungefähr das, was die Geschwindigkeit in der
Bewegung eines Körpers ist. Etwas nur ungefähr wissen, nur obenhin, nicht
genau. Anm. Die erste Sylbe ist die Vorsylbe un, welche im Oberdeutschen gern
in ein ohn gedehnet wird, daher auch dieses Wort selbst noch von vielen
Hochdeutschen ohngefär geschrieben und gesprochen wird, welches doch der
Analogie der übrigen mit un zusammen gesetzten Wörter zuwider ist, das einige
Ohnmacht etwa ausgenommen. Die zweyte Hälfte ist das alte gefähr, welches für
gewahr gebraucht wurde, oder vielmehr aus diesem letztern gebildet ist, so daß
ungefähr eigentlich unwahrgenommen bedeutet. In erfahren ist dieses w
gleichfalls in das nahe verwandte f übergegangen. Hieraus erhellet zugleich die
Nothwendigkeit, dieses Wort in der letzten Sylbe mit einem h zu schreiben.
Gefer für böser Vorsatz kommt noch in dem Theuerdanke vor.
Es ist warlich nicht mit gefer Geschehen, das ich wider aus
Den scheff bin gangen heim zu Haus. Ich hett vergessen ein groß sach. Kap. 43.
Wo es aber auch unser heutiges Gefährde seyn kann, welches
nicht hierher, sondern zu Gefahr gehöret. Ungefähr lautet bey den ältern Oberd.
Schriftstellern auch on geferd, ungeferlich, angefer. Die Niederdeutschen
gebrauchen dafür in der zweyten Bedeutung ungeschicht, von Ungeschicht, von
Wahnschichten, indem Unschicht und Wahnschicht auch als Hauptwörter, das
Ungefähr, den Zufall bedeuten; in der dritten Bedeutung aber heute, heuter,
hinzu, es ist heute acht, ungefähr acht. [
855-856]