Ungeachtet
, [
851-852] -er, -ste, adj. et adv. nicht
geachtet. 1. Eine ungeachtete Waare, welche nicht geachtet, nicht geschätzet
wird. Ein Ungeachteter wird aufkommen, welchem die Ehre des Königreichs nicht
bedacht war, Dan. 11, 21. 2. Sehr häufig wird dieses Mittelwort als eine
Partikel gebraucht, von achten, in Erwägung ziehen, da sie denn so viel
bedeutet, als solches nicht in Betrachtung gezogen, keine Rücksicht darauf
genommen, und auf doppelte Art gebraucht wird. So wohl mit einem Hauptworte,
welches alsdann in der zweyten Endung stehet. Ungeachtet des übeln Wetters ging
die Reise dennoch vor sich, d. i. ob es gleich übles Wetter war. Ungeachtet
seiner Geschicklichkeit, ist er doch übergangen worden. In den meisten Fällen
ist es dem Wohlklange gemäßer, diese Partikel dem Nennworte nachtreten zu
lassen. Seines Fleißes ungeachtet. Deines Alters ungeachtet, wirst du der
Strafe nicht entgehen. Welches besonders von Fürwörtern gilt, welche allemahl
voran stehen. Dessen ungeachtet, alles dessen ungeachtet. Im Oberdeutschen wird
sie häufig auch mit der dritten Endung verbunden, seinem Fleiße ungeachtet;
welches auch wohl einige Hochdeutsche nachahmen, besonders mit dem Fürworte,
dem oder diesem unge- achtet, welches andere noch ungeschickter als Ein Wort
schreiben, demungeachtet, demunerachtet, oder wohl gar demohnerachtet. Die
dritte Endung ist in diesem Falle einmahl im Hochdeutschen fremd und
ungewöhnlich, und es ist kein Grund vorhanden, ungeachtet gerade mit dem
Fürworte in der dritten Endung, in andern Fällen aber mit der zweyten zu
gebrauchen. Der Einwurf, welchen irgendwo jemand gemacht hat, dieses alles
ungeachtet klänge doch nicht, beweiset nichts. Der Übelklang rühret hier theils
von der zweymahligen Endsylbe es, theils daher, weil nicht deutlich wird, ob
dieses alles nicht die vierte Endung ist. Am sichersten wird, der Übelklang
durch Veränderung des Fürwortes vermieden. Alles dessen ungeachtet ist doch
wohl eben das, als dieses alles ungeachtet. Die zweyte Art, diese Partikel zu
gebrauchen, ist mit dem Indicativ des Zeitwortes, da es denn die völlige
Gestalt eines Bindewortes annimmt, und für obgleich stehet. Es macht, daß in
den zusammen gesetzten Zeiten das Hülfswort hinter das Zeitwort tritt. Er that
es doch, ungeachtet ich es ihm verbothen hatte. Zürnest du noch, ungeachtet ich
es dir schon abgebethen habe? Das konnte er nicht, ungeachtet er so groß ist.
Die Wortfügung mit dem Bindeworte daß: ungeachtet, daß er solch' Vorhaben so
oft geändert hatte, 3 Macc. 5, 39. ist im Hochdeutschen ungewöhnlich. Im
Oberdeutschen, wo un noch so oft ohn lautet, wird diese Partikel sehr häufig
ohngeachtet geschrieben und gesprochen, welches sich auch noch bey vielen
Hochdeutschen erhalten hat, aber von Schriftstellern, welche auf die Reinigkeit
und den Wohlklang der Sprache aufmerksam sind, billig vermieden wird.
Ungeachtet ist von dem Mittelworte des Zeitwortes achten, so fern es in
Erwägung, in Betrachtung ziehen, bedeutet; erachten hat eine andere Bedeutung,
welche hier nicht so schicklich ist. Es ist daher nicht so richtig, wenn manche
unerachtet oder wohl gar ohnerachtet dem ungeachtet vorziehen, welche sich
leicht begreifen lässet, wenn man die Bedeutungen bey der Zeitwörter mit
einander vergleicht. Im Oberdeutschen hat man mehrere ähnliche Ausdrücke,
welche daselbst statt dieser Partikel und auf eben dieselbe Art gebraucht
werden; z. B. ohngehindert, ohn- oder unerwogen, unangesehen, unermessen u. s.
f. welche aber im Hochdeutschen insgesammt fremd sind.
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