Stehen
, [
323-324] verb. irreg. ich stehe, du
stehest oder stehst, er stehet oder steht; Imperf. ich stand, (im gemeinen
Leben stund) Con- junct. ich stände, (im gemeinen Leben stünde) Mittelw.
gestanden; Imperf. stehe oder steh. Es ist ein Neutrum, welches im
Hochdeutschen das Hülfswort haben bekommt, und bedeutet, auf seiner kleinsten
Seite ruhen, in welcher Stellung ein Körper zugleich die größte mögliche Höhe
hat. 1. Eigentlich. Ich habe den ganzen Tag gestanden. Auf seinen Füßen stehen,
auf dem Kopfe stehen; welches Vorwort auf gemeiniglich auch der Ort oder Raum
bekommt, welchen man in dieser Stellung einnimmt. Auf der Erde, auf dem Stuhle,
auf dem Tische stehen. Das Glas stehet auf dem Schranke, im Fenster, im Ofen u.
s. f. Immer auf Einer Stelle stehen. Am Ufer, am Markte stehen. Eine Leiter
stund (stand) auf Erden, 1 Mos. 28, 12. Das Stehen fällt mir beschwerlich.
Gerade, aufrecht, schief stehen. Sie standen alle um uns herum. Hinter der Thür
stehen. Stehen bleiben. Jemanden im Wege stehen; auch figürlich für hindern. Er
war schon lange der geschworne Feind des Umgekommenen, der allen seinen
Absichten im Wege gestanden hatte, Sulz. Etwas stehend thun. Stehendes Fußes
hingehen, den Augenblick, auf der Stelle. Die Haare stehen mir zu Berge, ein
gewöhnlicher Ausdruck, den höchsten Grad des Schauderns, des mit Abscheu
verbundenen Schreckens zu bezeichnen. Das Messer steht uns an der Kehle, wir
befinden uns in dem Augenblicke der größten Gefahr. Ein stehender Gang, im
Bergbaue, der dem Compasse nach die Stunde von 12 bis 3 führet. Dem Fallen nach
ist eben daselbst ein stehender Gang, welcher gerade nieder, oder doch 80 Grad
nach dem Zirkelbogen fällt, im Gegensatze eines donlegen, flachen und
schwebenden Ganges. Stehendes Holz, im Forstwesen, welches noch auf dem Stamme
stehet, und nicht gefället ist. In allen diesen Fällen wird stehen entweder
ohne Rücksicht auf eine andere Art der Stellung, oder auch im Gegensatze des
Liegens und Sitzens gebraucht. In sehr vielen Fällen aber wird es auch, dem
Gehen und im weitern Verstande der Bewegung überhaupt entgegen gesetzt. Stehen
oder stille stehen. Und die Träger stunden, nähmlich still, Luc. 7, 14. Sonne
steht still zu Gibeon! Die Uhr bleibt stehen. Stehendes Wasser, im Gegensatze
des fließenden. Einen flüssigen Körper umrühren und stehen lassen. Etwas stehen
lassen, es im Stande der Ruhe lassen. Die Pferde wollen nicht stehen. Wie ich
gehe und stehe, wie ich gewöhnlich gekleidet bin. Stehendes Tauwerk, auf den
Schiffen, welches fest angeschlagen ist, im Gegensatze des laufenden. Stehende
Hebungen eines Gutes, gewisse Einkünfte, im Gegensatze der ungewissen. Worauf
sich denn auch verschiedene figürliche Arten des Ausdruckes beziehen. Die
Soldaten stehen im Felde, wenn sie Stand halten, ihren Feind erwarten, um ihm
zu widerstehen. Der Feind wollte nicht stehen, war nicht zum Stehen zu bringen.
Einem stehen, ihn erwarten, um ihm Widerstand zu leisten, ihm Rede und Antwort
zu geben u. s. f. Um diese Zeit (im 28sten Jahre) sind die Frauenzimmer in
ihren stehenden Jahren, Rabener, wo ihr Alter gleichsam einen Stillstand macht.
Ein Fluß steht, wenn er mit Eis bedeckt ist, und also nicht sichtbar fließet.
Bey etwas stehen bleiben, nicht weiter fortfahren, sich dabey aufhalten,
ingleichen dabey und damit abbrechen. Wir blieben bey den drey Morgensegen
stehen, Gell. 2. In weiterer und figürlicher Bedeutung. (1) In einigen doch nur
einzelnen und bestimmten Fällen wird es von solchen Handlungen gebraucht,
welche mit einem Stehen verbunden sind, da es denn auch die vierte Endung der
Sache bekommt, als wenn es ein Activum wäre. Schildwache stehen, Gevatter
stehen, bey jemanden Gevatter stehen, im gemeinen Leben zu Gevatter
[
325-326] stehen. Ich habe Gevatter gestanden, Gell. Bey
jemanden die Jahre stehen, die Lehrjahre bey ihm aushalten und vollbringen.
Sein Vater und ich haben die Jahre mit einander gestanden, Weiße; sind zu Einer
Zeit bey einem Lehrherren in der Lehre gewesen. Seinen Mann stehen, eigentlich
in der Vertheidigung es mit seinem Gegner aufnehmen, demselben gewachsen seyn,
und in weiterer Bedeutung, sich männlich wehren, widerstehen. Opitz sagt dafür:
seinen Mann nach Vermögen wehren. Der Hund steht einen Hasen, bey den Jägern,
wenn der Hühnerhund ein Wildbret angetroffen und vor demselben stille stehet.
(2) Sehr häufig verlieret sich der Begriff der kleinsten Fläche, und da
bedeutet stehen bloß sich an einem Orte befinden, oft ohne allen Nebenbegriff,
oft mit dem Nebenbegriffe der Ruhe, oft aber auch der Dauer, des Daseyns u. s.
f. Die Pferde stehen im Stalle, befinden sich in demselben. Sechs Pferde auf
dem Stalle stehen haben. Es steht ein Gewitter am Himmel. Die Waaren stehen im
Hause. Von Truppen gebraucht, bedeutet es, sich eine Zeitlang an einem Orte im
Stande der Ruhe befinden. Im Lager, in Garnison, in den Winter-Quartieren, im
Felde stehen. Der Stab steht in der Stadt. Die Franzosen stehen am Rhein. Mein
Herz erweitert sich von einem frohen Stolze, indem eine Thräne in meinem Auge
stehet. Dusch. Und mit der auch nicht ungewöhnlichen Verwechselung des
Subjects. Die Augen stehen voll Thränen; der Stall steht voller Pferde. Das
Wildbret stehet in einem Holze, bey den Jägern, wenn es sich gewöhnlich und
gern in demselben aufhält. Es stehen artige Sachen in dem Buche. Das steht in
der Bibel. Geld bey jemanden stehen haben, Geld auf Interessen stehen haben.
Ein Capital auf Grundstücken stehen haben. Der Altar steht in der Kirche, der
Baum am Wasser, das Haus auf einem Berge. Es stehet mir ein Unglück, bevor. Es
stehet noch dahin, ist noch ungewiß. Zurück stehen müssen, zurück gesetzt
werden. Das Haus, die Stadt steht noch, ist noch wirklich vorhanden. So lange
die Welt stehet, wirklich ist. Besonders mit allerley Vorwörtern, welche theils
figürliche Redensarten bilden helfen, theils auch dem Stehen allerley
Nebenbegriffe ertheilen, doch so, daß der Begriff des örtlichen Befindens immer
der herrschende bleibt. (1) Mit an. Hoch am Brete bey jemanden stehen, bey ihm
in Ansehen stehen. Die Ochsen stehen am Berge, im gemeinen Leben, wir können
wegen eines Hindernisses nicht weiter. (2) Mit auf. Auf dem Sprunge, auf dem
Puncte stehen, im Begriffe seyn. Auf jemandes Seite stehen, es mit ihm halten,
seine Partey nehmen. Stehe nicht auf deinem eigenen Kopfe, Sir 10, 29, wofür
man jetzt bestehen sagt. Auf seiner Huth stehen. Das Haus stehet auf den Fall,
im Oberdeutschen, neiget sich zum Falle, ist im Begriffe zu fallen. Auf deinen
Kopf stehet eine Belohnung. Es stehet der Galgen, eine große Strafe darauf. (3)
Mit bey. Das stehet bey ihnen, ist in ihrer Gewalt, Willkühr. Das stehet bey
Gott, kommt auf Gottes willen an. Die Zahl der Monden steht bey Gott, Hiob 14,
5. Mein Glück stehet bey ihnen, in ihrem Vermögen. Hätte es bey mir (in meinem
Willen) gestanden, so würde es nicht geschehen seyn. Gut bey jemanden stehen,
bey ihm in Gunst, in Gnaden stehen. Er steht ziemlich schlecht bey ihr, so sehr
sie sich auch nach seiner Weise zu richten scheint, Less. Stehe ich bey ihnen
noch so wie ehemahls? Bey jemanden stehen Ps. 94, 9, ihm Beystand leisten, ist
veraltet, weil beystehen dafür üblicher ist. (4) Mit für. Wir stehen für Einen
Mann, vertreten die Stelle eines einzigen, handeln mit vereinigten Kräften. Ich
stehe dafür, bin gut dafür: im gemeinen Leben, ich stehe dir gut dafür. Für
eine Schuld stehen. Ich wollte nicht da- [
327-328] für
stehen, daß er das nicht thun sollte. Wer stünde mir denn für mein Leben? Gell.
Dein Herz wird für dich stehn, dein Wandel für dich sprechen?
Schleg.
Wer soll die Kosten stehen? d. i. tragen, mit Auslassung des
für. (5) Mit in. In Gnaden bey jemanden stehen, in dessen Gunst stehen. (
S. mit dem Vorworte bey.) Das stehet noch in weitem
Felde, ist noch sehr ungewiß. Das stehet nicht in meiner Macht, in meinem
Vermögen, in meinen Kräften, in meiner Gewalt. Unser Schicksal stehet in den
Händen der Vorsicht, Gell. Unsre Zeit steht in Gottes Hand, Ps. 31, 16. Im
Begriffe stehen. In den Gedanken, in der Meinung stehen. In Zweifel, in Furcht
stehen. Ich stehe in dem Verdachte, so wohl ich hege den Verdacht, als auch
andere hegen von mir den Verdacht. In gutem Vernehmen, in Verbindung mit
jemanden stehen. Im Rufe der Wahrheitsliebe und Tugend stehen. Wenn es in
seinem Gehirne so richtig stünde, als in seinem Gewissen, so wollte ich gut für
ihn seyn, Schleg. Er steht in der Blüthe seiner Jahre.
Du liebst ihn, doch dein Herz steht mit sich selbst in Streit,
Gell.
Wer nicht unerlaubtes denkt, der steht nie in der Gefahr zu
frey zu reden, eben ders. In der Vereinigung mit Gott stehen. Sein Herz steht
jetzt nicht in der Verfassung, sich deßwegen zu beruhigen. Bey jemanden in der
Lehre, in Arbeit, in Condition stehen. In einem öffentlichen Amte stehen. Das
Reich Gottes stehet nicht in Worten, 1 Cor. 4, 20. für bestehet, eine veraltete
Bedeutung. (6) Mit nach. Jemanden nach dem Leben stehen, trachten. Mit andern
Hauptwörtern ist es im Hochdeutschen veraltet. In Luthers Bibel kommt noch vor,
einem nach der Seele stehen, Ps. 17, 19. Nach einem höhern Stande stehen, Sir.
3, 22. Nach der Gerechtigkeit stehen, Röm. 9, 30. Und Opitz sagt noch:
Die, so nach gutem Wandel stehen.
(7) Mit unter. Unter jemanden stehen, von ihm in seinem
Verhalten eingeschränkt werden. Unter jemandes Gerichtbarkeit, Herrschaft,
Gewalt stehen. Er steht, so wie die meisten Männer, unter dem Pantoffel. (8)
Mit vor. Vor den Riß stehen. Und so in hundert andern Fällen mehr. Of wird es
auch in noch weiterm Verstande für seyn schlechthin gebraucht. Sie stehen in
einer Gleichheit, sie sind einander gleich. Es stehet dir frey, du hast die
Erlaubniß, die Freyheit dazu. Das Haus, die Thür steht offen. Mein Haus steht
ihnen offen. Zu Kaufe stehen, im gemeinen Leben für feil seyn. Jemanden zu
Gebothe stehen, bereit, verbunden seyn, dessen Befehle anzunehmen. Das stehet
zu ihren Diensten. Was stehet zu ihrem Befehle? Alle Leidenschaften müssen der
herrschenden zu Gebothe stehen. Ingleichen mit dem Infinitiv, welche Wortfügung
besonders den Oberdeutschen sehr geläufig ist. Es stehet nicht zu läugnen,
nicht abzusehen. Das stehet leicht zu ermessen, zu gewarten, zu wünschen, zu
hoffen, zu überlegen u. s. f. Ohne sein Vorwissen stehet mir nichts zuzusetzen,
darf ich nichts hinzusetzen. Für den Leib stehet nichts bessers zu gewarten,
als Tod und Verwesung. Wem nicht zu rathen steht, dem steht auch nicht zu
helfen. (9) In vielen Fällen bedeutet stehen auch befinden, dem äußern
Zustande, den äußern Umständen nach. Wie stehen die Sachen? in was für
Umständen befinden sie sich? Die Sache steht gut, schlecht. Wie stehet es zu
Hause? Ich weiß schon wie ich stehe, in was für Umständen ich mich befinde.
Ingleichen mit einigen Vorwörtern. Wie stehet es mit deinem Bruder? mit
[
327-328] deiner Gesundheit? u. s. f. Wie steht es mit
deinem Herzen? Gell. Es steht schlecht mit ihm, so wohl der Gesundheit, als
auch dem Vermögen, den häuslichen Umständen nach. Wie steht es um unsre Sachen?
Sehen sie doch, wie es um mein künftig Glück steht, Gell.
Wie schlimm wirds um die Sphären stehn? eben ders.
Hingegen, mit jemanden stehen, bezeichnet das Verhältniß
verschiedener Art, in welchem man sich mit jemanden befindet. Ich weiß am
besten, wie ich mit ihm stehe. Mit jemanden auf einem guten Fuße stehen, in
einem guten Vernehmen mit ihm leben. Der Umgang mit einem Menschen, mit welchem
man so stehet, ist sehr peinlich. Sich gut stehen, in guten Umständen des
zeitlichen Vermögens seyn. Sich gut bey etwas stehen, Gewinn, Vortheil bey
einer Sache haben. (4) Zu stehen kommen, deutet in der vertraulichen Sprechart
auf den Preis, um welchen man eine Sache hat. Das Gut kommt mir (nicht mich)
hoch, theuer, nicht hoch, nicht theuer zu stehen. Der Spaß könnte mir sonst
theuer zu stehen kommen, Weiße, er könnte nachtheilige Folgen für mich haben.
Die Rache kam ihm hoch zu stehn, Lichtw.
(5) Gut stehen, gut lassen, zieren. Das Kleid stehet mir
nicht, kleidet, zieret mich nicht. Die Ohrgehenke stehen ihnen ganz
vortrefflich, Gell. Ja, lockigt Haar steht fein, eben ders.
Umkränzt mit Rosen eure Scheitel, Noch stehen euch die Rosen
gut, Haged. Ihr empfindliches Gewissen Hasset, was so weltlich steht, eben
ders.
Vnd stat din rosenkranz dir eben, die Winsbeckinn. So auch
das Stehen, doch nur in der eigentlichen und der ersten figürlichen Bedeutung.
Anm. 1. Im Oberdeutschen ist dieses Zeitwort, so wie sitzen und liegen, mit dem
Hülfsworte seyn üblich. Ich stelle es dahin, ob Budorgis jemahls hier gestanden
sey, Opitz. Das Schloß ist ehemahls auf dem Eggberge gestanden, Bluntschli.
Welches auch wohl einige Hochdeutsche nachahmen. Das ist mir im Wege gestanden,
Gottsch. Allein die Hochdeutsche Mundart kennt eigentlich nur das Hülfswort
haben. Diese und andere Beyspiele haben denn auch wohl einige Sprachlehrer
bewogen, daß sie diesem Zeitworte beyde Hülfswörter beylegen, welches doch
nicht anders als mit Vermischung der Mundarten geschehen kann. Anm. 2. Bey dem
Kero, Ottfried und andern Alten, ingleichen noch bey den heutigen Schweizern
staan, standan, im Nieders. gleichfalls staan, bey dem Ulphilas standan, im
Angelsächs. standan, stondon, im Schwed. sta, standa, im Isländ. standa, im
Engl. to stand, im Böhm. stati, im Pohln. stoie, ich stehe, im Lat. stare, im
Griech. hier nichtlateinischer Text, siehe Image, hier
nichtlateinischer Text, siehe Image; woraus das hohe Alter und der weite
Umfang dieses Zeitwortes zur Genüge erhellet. Im Oberdeutschen wurde es ehedem
auch für steigen gebraucht. Tewrdank stund von seim pferdt. Theuerd. Kap. 25.
Darumb so steet ab pald zu fuß, Kap. 30. Diese mehr thätige Bedeutung scheinet
eine der ersten und ursprünglichsten gewesen zu seyn, so daß stehen oder stahn,
eigentlich den Laut nachahmet, welcher mit dem Auftreten verbunden ist, welches
mit andern Endlauten und härterm Laute auch von stapfen, Stufe u. s. f. gilt. (
S. Staat, Stadt, Statt, Stand, Stätig, stets u. s. f.)
welche insgesammt von diesem Zeitworte abstammen.) Das Factitivum von stehen
ist stellen, stehen machen. [
327-328]