Schweigen
, [
1731-1732] ein Zeitwort, welches in
dreyfacher Gestalt üblich ist. I. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben und
irregulärer Abwandelung; Imperf. ich schwieg; Particip. geschwiegen; Imperat.
schwieg oder schweige. Keine Stimme von sich hören lassen, und in engerer
Bedeutung, nicht reden. Als er das gesagt hatte, schwieg er. Ich habe lange
genug geschwiegen. Stille schweigen, eigentlich ein Pleonasmus für schweigen.
Stockstille, baumstille, mäuschenstille schweigen, Blumen der niedrigen
emphatischen Sprechart. Von etwas schweigen, nichts davon sagen.
Allein sie schwieg doch bald von ihren Fehlern still, Gell.
Zu etwas schweigen, nichts dazu sagen; im Oberdeutschen auch
mit Weglassung des Vorwortes. Müssen die Leute deinem großen Schwätzen
schweigen? Hiob 11, 3. Welche Wortfügung im Hochdeutschen ungewöhnlich ist. Von
einem schweigen, in seiner Gegenwart, ingleichen aus Furcht, aus Ehrerbiethung
vor ihm; wo man im Oberdeutschen gleichfalls das Vorwort zu verbeißen pflegt,
einem schweigen. In engerer Bedeutung. Fertigkeit besitzen, ein Geheimniß, eine
geheime Sache nicht durch Worte bekannt zu machen. Er kann nicht schweigen.
Kannst du schweigen? Figürlich, aufhören wirksam zu seyn. Im Kriege müssen die
Gesetze schweigen. Den Wind und das Meer schweigen heißen, Marc. 4, 29.
S. auch das Schweigen. II. Als ein Activum, gleichfalls
mit der obigen irregulären Conjugation, für verschweigen; eine im Hochdeutschen
ungewöhnliche Form, welche aber doch im Oberdeutschen gangbar ist. Das kann ich
nicht schweigen. Ich will die Zier der Mäjestät nicht schweigen, Opitz, Ps.
145.
Wir wollen mehr und mehr Gott dankbar seyn, und seinen Ruhm
und Ehr In Ewigkeit nicht schweigen, ebend. Ps. 115.
III. Als ein Factitivum, mit regulärer Abwandelung.
Imperfect. schweigete, Mittelw. geschweiget, Imperat. schweige; zum Schweigen
bringen, schweigen machen, es geschehe nun auf welche Art es wolle, durch einen
Befehl, durch Gründe, durch Befriedigung des Verlangens. Diese Bedeutung, in
welcher auch geschweigen vorkommt, ist schon sehr alt. Schon Notker gebraucht
kesueigen und sueigen als reguläre Zeitwörter in derselben: er habet sie
gesueiget.
Wintersgrimme Tuot si (die Stimme) swigen uberal, Graf Werner
von Hornberg.
Mit Gaben schweigt man die Kinder.
Das Mittel, dich zu schweigen, Wird seyn ein blankes Helm, ein
schönes Roß zu zeigen, Opitz.
Die Gottlosen müssen in der Hölle geschweiget werden, Ps. 31,
18, zum Stillschweigen gebracht werden. Wer leben will, und gute Tage sehen,
der schweige seine Zunge, 1 Petr. 3, 10. Mit den Worten schweigt er den man,
Theuerd. Kap. 21, brachte er ihn zum Stillschweigen. Sein Gewissen schweigen.
In der anständigen Sprechart der Hochdeutschen ist dieses ganze Factitivum
veraltet, allein im gemeinen Leben mancher Gegenden, besonders Meißens, ist es
noch völlig gangbar. Eben daselbst hat man auch die Intensiva schwigten,
beschwigten, beschwigtigen. Die Schreyer auf einige Tage schwigtigen, Klopst.
So auch das Schweigen. Anm. Das Neutrum lautet bey dem Kero suigeen, bey dem
Ottfried suigan, im Nieders. swigen, im Angelsächs. swighan. Es ist sehr
wahrscheinlich, daß der Begriff des Schweigens eine Figur des Weichens ist, und
daß jenes vermittelst des Zischwortes von diesem oder doch dessen ähnlichen
Stammworte gebildet worden, zumahl da auch das letztere mit dem Zischlaute
nicht selten ist. Im Schwed. ist sviga weichen, und Ottfried gebraucht suichan
für verlassen. Bey dem Hornegk kommt dagen für schweigen vor, welches, so wie
das Schwed. tiga, schweigen, seine Verwandtschaft mit tacere nicht verläugnen
kann, so wie vermittelst der gewöhnlichen Verwechselung des t und s auch das
Griechische -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - dahin
gehöret. [
1731-1732]