Scheuen
, [
1431-1432] verb. reg. act. et reciproc.
welches eigentlich fliehen bedeutet hat, von welchem jetzt veralteten Gebrauche
noch hin und wieder Spuren vorkommen. Bey dem Notker ist das abgeleitete
skigtig sin fliehen. Jetzt ist es nur noch in verschiedenen figürlichen Arten
des Gebrauches üblich. 1) Eine auf dunkele Vorstellungen gegründete Furcht vor
einem Dinge empfinden und sich von demselben zu entfernen suchen; als ein
Reciprocum. Das Pferd scheuet sich vor einer Windmühle, das Kind vor dem
Ruprecht. In weiterer Bedeutung ist sich scheuen, einen gewissen Grad des
Widerwillens, des Ekels, ingleichen der Furcht vor etwas empfinden. Sich
scheuen, mit einem andern aus einem Glase zu trinken. Sich vor den Blattern
scheuen. Sie scheut sich nicht vor der Liebe, sondern nur vor dem Nahmen
derselben, Gell. 2) Als ein Übel zu vermeiden suchen; als ein Activum mit der
vierten Endung der Person. Ein gebranntes Kind scheuet das Feuer. Die Kälte,
die Arbeit scheuen. Jemandes Umgang scheuen. Das Lichtscheuen. Wo in manchen
Fällen auch das Reciprocum gebraucht werden kann. Sich vor der Kälte, vor der
Arbeit scheuen. Aber für sich hüthen ist es im Hochdeutschen ungewöhnlich,
obgleich Luther es mehrmahls so gebraucht. Sich vor der Abgötterey scheuen,
Sir. 15, 13. Daß sich auch die Höhen fürchten und scheuen auf dem Wege, Pred.
12, 5. Daß ihr vor ihrem Aase euch scheuet, 3 Mos. 11, 11. 3) Aus Achtung
Bedenken tragen, etwas jemanden mißfälliges zu begehen, oder den Wohlstand zu
verletzen; als ein Reciprocum. Sich vor niemanden scheuen. Ich scheue mich, es
zu sagen. Vor wem sollt ich scheuen? Sich scheuen jemanden unter die Augen zu
kommen. Zuweilen, obgleich seltener, auch mit der vierten Endung. Thue Recht,
scheue niemand. Zuweilen gebraucht man es auch mit der zweyten Endung der
Sache: wenn ihr euch auch der Sünde nicht scheuet, so solltet ihr euch der
Schande fürchten, Hermes; d. i. wenn ihr euch auch nicht scheuet, die Sünde zu
begehen. Daher das Scheuen, noch mehr aber die Scheu. Anm. Schon bey dem
Ottfried sciuhan, der es nicht nur für meiden und vermeiden, sondern auch für
fürchten und befürchten gebraucht; tho er nan sciuhen gisah, da er ihn sich
fürchten sahe. Bey dem Notker skien, von welcher Form es vermuthlich noch
herrühret, daß dieses Zeitwort in einigen Oberdeutschen Gegenden, z. B. im
Salzburgischen, irregulär gehet, Imperf. ich schieh, Mittelw. geschiehen. Im
Nieders. schouen, schuwen, im Engl. to eschew, im Schwed. sky, im Ital.
schivare, im Span. esquivar. Ohne Zweifel ist der Begriff des Fliehens, der
schnellen Bewegung, der erste und herrschende in diesem Worte, der auch in
geschehen, scheinen und andern Verwandten mehr zum Grunde liegt. Ehedem hatte
man davon das Intensivum scheutzen, scheußen, sich sehr scheuen, welches mit
schießen verwandt ist, und wovon auch unser scheußlich abstammet.
S. auch Scheusal.