Rufen
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1195-1196] verb. irreg. ich rufe, du
rufst; Imperf. ich rief; Mittelw. gerufen; Imperat. rufe. Es ist in doppelter
Gestalt üblich. I. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben, eine laute Stimme
von sich hören lassen, wo doch rufen keine so laute Stimme voraussetzt, als
schreyen. 1) Überhaupt. Er wird nicht schreyen noch rufen, Es. 42, 2. Rufet mit
voller Stimme und sprechet, Ier. 4, 5. Der König rief überlaut, daß u. s. f.
Dan. 5, 7. Zu Gott rufen, in der Deutschen Bibel. In dieser allgemeinen
Bedeutung fängt es im Hochdeutschen an zu veralten, ob es gleich noch in
einigen Fällen gangbar ist. Um Hülfe, um Rache rufen. Feuer rufen. Ins Gewehr
rufen. Keine Thräne seiner Unterthanen ruft wider ihn um Rache. So auch in den
Zusammensetzungen ausrufen, nachrufen, zurufen, widerrufen u. s. f. 2) In
engerer Bedeutung ist dieses rufen, durch laute Stimme einem andern ein Zeichen
geben, daß er aufmerke, und in engerer Bedeutung, daß er sich uns nähere, da es
denn die dritte Endung der Person erfordert. Gott rief ihm aus dem Busch, 2
Mos. 3, 4. Du hast mir gerufen, 1 Sam. 3, 6. Saul ließ allem Volk rufen zum
Streit, Kap. 23, 8. Ich rief ihm, meinem Sohne, aus Egypten, Hos. 11, 1; und so
in andern Stellen mehr. Wirpel hat in seinen Anmerkungen zu Bödikers
Sprachkunst dieser Wortfügung beynahe vier ganze Seiten gewidmet, wo er zu
behaupten sucht, daß rufen hier eigentlich zurufen bedeutet, welches doch mit
den Stellen, worin es vorkommt, leicht widerlegt werden kann. Rufen hat hier
die völlige Bedeutung des folgenden Activi, nur weil es hier als ein Neutrum
die vierte Endung nicht haben kann, so verbindet man es mit der dritten.
Indessen ist diese ganze Wortfügung im Oberdeutschen einheimisch, und die
Hochdeutschen kennen sie eigentlich nicht, außer was etwa von einigen aus
Nachahmung geschiehet.
Wer ruft Heer der Sterne? Gell. Doch hör des Volks Getön ruft
mir zu Pflichten, Schleg. Warum er unsrer Welt vor tausend andern rief, Als
alles in der Nacht der Möglichkeit noch schlief, Gieseke.
II. Als ein Activum. 1) Mit lauter Stimme bekannt machen. Die
Stunden rufen, wofür man doch lieber abrufen sagt, so wie überhaupt diese
Bedeutung in den Zusammensetzungen abrufen und ausrufen am üblichsten ist. 2)
Mit lauter Stimme zu sich fordern, durch laute Stimme einem andern ein Zeichen
geben, daß er sich uns nähere, wo es mit der vierten Endung der Person
gebraucht wird, und im Hochdeutschen statt des vorigen Neutrins in der engern
Bedeutung üblich ist. Jemanden rufen. Wer hat mich gerufen? Ich habe dich nicht
gerufen. Sie kommen wie gerufen. Jemanden zum Zeugen rufen. Jemanden heraus,
hinein, herauf, bey Seite, zu sich rufen u. s. f. Auch wenn man Thiere durch
Nachahmung ihrer Stimme oder durch andere Töne näher zu bringen sucht.
Ingleichen figürlich. Gehe, wohin die Ehre dich ruft. Die Glocke ruft uns. Die
Trompete ruft die Krieger zur Schlacht. Unter diesem für mich ewig fremden
Himmel möchte ich noch Ein Mahl die Freuden meiner muntern Jugend zurück rufen,
Zimmerm. So auch das Rufen. Anm. Bey dem Ottfried und Notker ruofan, im Isidor
hreofun, bey dem Ulphilas hropjan, in Schwaben noch jetzt riafun, im Nieders.
ropen, im Schwed. ropa, im Finnländ. raawun, und selbst im Arab. rafan, wo
Rufaet eine laute Stimme bedeutet. Es ist eine unmittelbare Onomatopöie des
lauten Rufens, und da eben dieser Ton auch andern Arten des Geräusches eigen
ist, so ist -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - im Hebr.
Zank. Einige Oberdeutsche Schriftsteller werfen den Meißnertz vor, daß sie
dieses Zeitwort wider das Beyspiel des größten Theiles Deutschlandes regulär
abwandeln. den Meißnern geschiehet damit zu viel, wohl aber findet man es bey
den meisten Schlesischen Dichtern häufig in der regulären Form. Gryphius und
Günther gebrauchen mehrmahls geruft und gerufen. Wir ruften Pluto an, Opitz.
Auch in Baiern gebraucht man es fast durchgängig regulär.
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1197-1198]