Reuen
, [
1093-1094] verb. reg. neutr. welches das
Hülfswort haben erfordert, und ehedem in einem weitern Umfange der Bedeutung
üblich war, als jetzt. Es bedeutete, 1. * Wehklagen, ächzen, schreyen, welches
letztere vermittelst des vorgesetzten Zischlautes davon abstammet. Mit mihilon
riuuuon, Ottfr. mit großem Geschrey, Wehklagen. Auch bey dem Ulphilas ist
Hraiwa dubono faguk ein Paar Turteltauben, eigentlich, ein Paar ächzender
Tauben. Reuen ist in dieser ersten eigentlichen aber längst veralteten
Bedeutung eine Onematopöie, welche den Laut des Wehklagens selbst nachahmet.
Siehe Schreyen. 2. * Kummer, Schmerzen über etwas empfinden, und solches an den
Tag legen; eine gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher es auch ein Activum
war, und mit der vierten Endung der Sache verbunden wurde. Thie sulih riuuetin,
welche Kummer darüber empfanden, es beklagten, Ottfr. Ir rewet mih, ihr dauert
mich, Stryk. Thie dati sie ryuun, die bedauerten die That, Ottfr. Auch im
Angels. ist hreowan traurig, betrübt seyn, und unser Trauer, traurig, stammt
vermittelst des vorgesetzten t davon ab, so wie auch grauen damit verwandt ist,
indem man in einigen Oberdeutschen Mundarten für reuen auch rauen sagt. Riuui
ist bey dem Ottfried Widerwärtigkeit, dasjenige, was Kummer verursacht. 3. In
noch engerer und gewöhnlicherer Bedeutung, 1) Reue, d. i. Unlust, über eine
begangene Handlung empfinden und an den Tag legen; in welchem Verstande es doch
nur in dem zusammen gesetzten bereuen üblich ist. 2) Reue, d. i. Unlust, über
eine begangene Handlung verursachen, mit der vierten Endung der Person, und der
ersten der Sache. Die Sache reuet mich. Sein Verbrechen reuet ihn. Fast fängt
mich meine Neugier an zu reuen, Weiße. Mein Betragen hat mich noch nicht
gereuet. Wird es sie bald reuen? Gell. Also reuete den Herrn das übel, 2 Mos.
32, 14. Damit mich auch reuen möchte das übel, das u. s. f. Jer. 26, 2.
Ingleichen als ein unversöhnliches Reciprocum mit dem Vorworte daß. Es reuet
mich, daß ich ihn beleidiget habe. Er reuet ihn noch nicht, daß er es gethan
hat. Wird es dich bald reuen, daß u. s. f. Denn es reuet mich, daß ich sie
gemacht habe, 1 Mos. 6, 7. Statt welcher Wortfügung auch zuweilen die zweyte
Endung des Nennwortes gebraucht werden kann. Du lässest dich des Übels reuen,
Ion. 4, 2. Es reuet mich der That, für: die That reuet mich. Dieses Zeitwort
erfordert allemahl die vierte Endung der Person. Es ist also ein Fehler, wenn
manche es mit der dritten verbinden, obgleich dieser Fehler nicht neu ist. Daz
rauuota mir, Notker. Da reuete es ihm, daß er die Menschen gemacht hatte, 1
Mos. 6, 6. Da reuete dem Herrn das Übel, Jerem. 26, 19. In welchen und andern
Stellen der Dativ vielleicht von der Unbeständigkeit der Herausgeber und
Correctoren herrühret, indem in andern richtiger die vierte Endung stehet. Anm.
In der letztern engern Bedeutung schon bey dem Ottfried riuan, im Nieders.
rouen und rijen, im Engl. to rue. Ehedem war es auch ein irreguläres Zeitwort,
denn bey dem Ottfried lautet das Imperfectum einiger Mahl rou für riuuete.
Übrigens ist für reuen im Hochdeutschen auch das verstärkte gereuen üblich,
welches in allen Fällen für dasselbe gebraucht werden kann. Siehe dasselbe.